Von allen guten Geistern verlassen: Eine Ausstellung zum Philosophenschiff

Der Dampfer „Oberbürgermeister Haken“

Am 19. Juli um 11 Uhr stellen die Slavistin Renata von Maydell und ihre Studierenden vor dem Café in der Universitätsbibliothek eine Ausstellung zur ersten Exilierung von Künstlern und Intellektuellen aus der noch jungen Sowjetunion vor. Wie dieses Projekt und das Fach Slavistik in den Malstrom gegenwärtiger Politik geriet, berichtet die Projektleiterin.

Studierende der Literatur-, Kunst- und Medienwissenschaften, der Slavistik und der Geschichte haben sich in zwei Seminaren an der Uni Konstanz mit einem 100 Jahre zurückliegenden Ereignis beschäftigt, das als „Philosophenschiff“ in die Geschichte einging. Wladimir Lenin hatte diese Operation veranlasst, bei der Wissenschaftler, Künstler, Literaten und Philosophen mit ihren Familien auf mehreren Schiffen und manche auch mit der Eisenbahn außer Landes gebracht wurden. Er wollte das Land von den Kräften säubern, die den Aufbau des neuen sowjetischen Staates behindern würden. Dafür ließ er Dossiers verfassen und Listen „unzuverlässiger“ Intellektueller anfertigen. Manche der Betroffenen waren davor von den Bolschewiki schon mehrfach verhaftet worden, einige schon zum Tode verurteilt, für andere kam die Ausweisung völlig überraschend. Leo Trotzki bezeichnete die Operation als Akt der Humanität, da man in weniger friedlichen Zeiten gezwungen sein könnte, solche Personen zu erschießen.

Zwei Dampfer liefen aus ukrainischen Häfen, aus Odessa und Sewastopol, nach Konstantinopel aus, zwei weitere aus Petrograd nach Stettin. Für die Ausstellung, die wir im Seminar vorbereiteten, haben wir uns den Dampfer „Oberbürgermeister Haken“ genauer angeschaut, der Ende September 1922 Petrograd in Richtung Stettin verließ, von wo die Ausgewiesenen nach Berlin weiterreisten.

Das Bild hat Symbolkraft: Das Schiff auf dem ruhigen spätsommerlichen Meer, auf dessen Deck sich Vertreter der geistigen Elite dieses großen, in Aufruhr geratenen Landes treffen. Ist es ein Narrenschiff oder eine Arche Noah? Und ist es Glück oder Unglück für die Betroffenen, hier zu sein?

Der Kiewer/Moskauer Husserlianer Gustav Speth hatte auf der Liste gestanden und hätte an Deck sein sollen, er setzte jedoch alles daran, von der Liste gestrichen zu werden. Er hatte Erfolg und blieb, blieb in der Sowjetunion unter zunehmend schwierigen Lebens- und Arbeitsbedingungen, wurde in den 1930er Jahren verhaftet, nach Sibirien verbannt und erschossen.

Ist es Glück oder Unglück für die Betroffenen, hier zu sein?

Die Passagiere der Dampfer indes hatten die Chance, wenn sie die Beschwerlichkeiten des Emigrantendaseins überwinden konnten, einen Platz im westeuropäischen oder amerikanischen Leben zu finden, sogar Karriere zu machen – und im eigenen Bett zu sterben.

Es gab den Plan, im Sommersemester 2022, zum Jubiläum, ein schwimmendes Seminar und eine Ausstellung über das Philosophenschiff auf einem Bodensee-Ausflugsschiff zu organisieren. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine schien dies nicht mehr unbedingt eine gute Idee zu sein. Liefe man nicht Gefahr, in ein falsches Fahrwasser zu geraten? Könnte es so aussehen, als partizipiere die Ausstellung an dem russischen Überlegenheitsdiskurs? Und könnte dies für die Bodenseeschifffahrt ein Image-Problem werden?

Iwan Ilin (rechts) auf dem Dampfer „Oberbürgermeister Haken“, gezeichnet von Iosif Matusevich

Und dann auch noch Iwan Ilin an Bord des „Oberbürgermeister Haken“ – der Rechtsphilosoph und Hegelspezialist steht in slawophiler Tradition, lehnt Pluralismus, Demokratie und Freiheit für Russland ab, propagiert stattdessen eine nationale christlich-faschistische Diktatur. Seine Texte fungieren als geistiger Steinbruch für Putin und die Führung des heutigen Russland. Putin unterstützte es, die in der Schweiz begrabenen Gebeine des Philosophen nach Moskau zu überführen.

Die Chance, im eigenen Bett zu sterben

Und dann wurde zum 100. Jubiläum des Philosophenschiffes in Moskau auf dem Arbat eine Ausstellung mit dem Titel „Große Philosophen Russlands“ eröffnet, mit Plakaten einzelner Persönlichkeiten, die ähnlich aussahen wie Plakate, die wir im Seminar entwarfen. Hier wurde – das klingt in einer Eröffnungsrede an – Russland zum Philosophenschiff, das die Welt erlösen soll.

Um nicht Gefahr zu laufen, in falsche Diskurse eingefügt zu werden, schien es für uns leichter zu sein, keine Ausstellung zu organisieren. Andererseits wurde durch die Überlegungen das Philosophenschiff zum Brennglas, durch das man in verschiedene Richtungen schauen kann.

Wir haben doch eine kleine Ausstellung aufgebaut, bei der wir uns auf Passagiere konzentriert haben, die an Bord des „Oberbürgermeister Haken“ gezeichnet wurden.

Am Mittwoch, dem 19. Juli um 11.00 Uhr wird die Ausstellung in der Bibliothek der Universität eröffnet. Alle Interessierten sind herzlich zur Führung und einem anschließenden Gespräch eingeladen. Informationen unter renata.maydell@uni-konstanz.de.

Text: Renata von Maydell.
Bilder:
– Schiff, Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Philosophenschiff#/media/Datei:Oberburgermeister_Haken.jpg
– Zeichnung, Quelle: http://scepsis.net/library/id_2593.html