Von ‚gewohnt arrogant‘ bis ‚ungewöhnlich angriffslustig‘

Als der DGB zum KandidatInnen-Plausch in den Singener Gasthof Kreuz bat, kamen bis auf den Abgeordneten Andreas Jung alle namhaften Bewerber. Es ging um die Rente ’67, um Grundsicherung und die private Vorsorge. Doch was die 60 Zuhörer zu hören bekamen, waren selten mehr als Wahlprogramm-Zitate. Darum konzentrieren wir unsere Berichterstattung auf eine Typologisierung der Kandidaten 

Christian Bäumler (CDU): Der Landesvorsitzende der CDU-Sozialausschüsse muss immer dann ran, wenn es um soziale Themen geht – Andreas Jung war wieder einmal „in Berlin verhindert“. Doch was der – an diesem Abend manches Mal bedauernswerte – Chef der christlichen Arbeitnehmer abspulen musste, war sattsam bekannt: Die CDU bleibt bei der Rente ’67 („allerdings sollten dann die Beschäftigten befähigt werden, bis 67 durchzuhalten“). Und den Mindestlohn will sogar die CDU, allerdings nicht flächendeckend und schon gar nicht gesetzlich vorgeschrieben („das ist Sache der Tarifpartner“). Der oberste Soziale bei den Christdemokraten vergaß jedoch, darauf hinzuweisen, dass mittlerweile viele Arbeitgeber aus dem Tarifverbund ausgeschieden sind und deshalb ein solches Übereinkommen mit den Gewerkschaften gar nicht möglich ist. Das monierte allein das Publikum – der Rest war Schweigen beim CDU-Mann.

Andreas Bergholz (Piraten): Eigentlich schade, dass der angehende Student so selten in KandidatInnen-Runden eingeladen wird. Sprachlich gewitzt und mit einer gehörigen Portion jugendlichen Charmes könnte er manche dröge Diskussion aufmischen – ein wenig mehr an politischem Grundwissen vorausgesetzt. So betete er bloß das Piraten-Credo vom „bedingungslosen Grundeinkommen“ herunter und stimmte ein in die an diesem Abend überwiegende Kritik an prekären Arbeitsverhältnissen. Aufhorchen ließ jedoch seine Einschätzung zur ‚privaten Vorsorge‘: „Ein Lobby-Dienst für die Versicherungen“. Der Applaus der linken Gewerkschafter war ihm sicher.

Nese Erikli (Bündnis 90/Die Grünen): Die grüne Kandidatin steigert sich unüberhörbar: Anfangs noch inhaltlich unsicher und rhetorisch verbesserungswürdig, hat sie sich nach wenigen Wochen im Wahlkampf zu einer ungewöhnlich angriffslustigen, sattelfesten Diskutantin gemausert, die sich auch nicht scheut, Positionen jenseits der Parteilinie zu vertreten. So weichte sie die Grünen-Position („Festhalten an der Rente 67“) auf, als sie Verbesserungen für weibliche Versicherte forderte. Die private Altersvorsorge nannte sie eine „Veräppelung der Wähler“ und legte nach: „Wer schon wenig verdient, kann auch nicht privat vorsorgen“. Und als einzige in der Runde scheute sie sich nicht, Mitdiskutanten in die Parade zu fahren, zum Beispiel, als sie Birgit Homburger korrigierte und Christian Bäumler der Falschaussage überführte: „Wenn Sie einer Lebensleistungsrente das Wort reden, warum haben Sie sie bislang nicht durchgesetzt?“

Birgit Homburger (FDP): Gewohnt arrogant in Auftritt und Argumentation kam die ehemalige Fraktionsvorsitzende daher – sie fühlte sich erkennbar nicht wohl bei den sozialen Themen und in dem Gewerkschafter-Kreis. Und blieb ihrer stur neoliberalen Linie treu. Mit Aussagen wie „lasst doch die Rentner nach 67 noch arbeiten, wenn sie es wollen“ oder „prekäre Arbeitsverhältnisse gibt es in Deutschland nicht“ verteidigte sie die Regierungspolitik ohne auch nur einen Hauch von Selbstkritik. Die Forderung nach einem Mindestlohn nannte sie ein „Arbeitsplatz-Vernichtungs-Programm“, und ihr Loblied auf die private Altersvorsorge erinnerte peinlich an den FDP- Versicherungslobbyisten Graf Lambsdorff der 70iger Jahre.

Marco Radojevic (Die LINKE): Umso länger der Wahlkampf dauert, desto mehr schält sich der 22jährige Student als heimlicher Star der KandidatInnen-Schar heraus. In seiner unaufgeregten, gleichwohl faktensicheren Diskussionsführung überzeugt er auch Skeptiker, wenn er „eine Mindestrente von 1050 Euro“ fordert, um der Altersarmut zu begegnen. Oder die private Vorsorge als „Sicherheits-Gaukelei“ entlarvt. Oder das Schweizer Vorbild der Rentenversicherung auch für unser Land einfordert -“dann würden endlich auch Architekten und Rechtsanwälte in die staatliche Rentenversicherung einzahlen“. Sein Bekenntnis zum Mindestlohn („aber bitte 10 und nicht nur 8,50 Euro, denn das reicht nicht zur Grundsicherung im Alter“) vergisst er in keiner der Kandidaten-Runden und die Vergleichszahlen zum Renteneintrittsalter aus anderen europäischen Staaten hat er auch stets parat. Dem fleißigen Kandidaten ist, unabhängig von der Parteizugehörigkeit, ein stolzes Ergebnis zu wünschen.

Tobias Volz (SPD): Wie alle aufrechten Sozialdemokraten kann einem der Kandidat aus Allensbach in diesem Wahlkampf fast leid tun: Allzu häufig deckt sich seine persönliche Meinung eher mit der Position der Linken als mit der seiner eigenen Partei. So bei der Frage nach der Höhe des Mindestlohns – als Unternehmer eines Pflegedienstes weiß er, was Hungerlöhne sind – oder bei der Bewertung arbeitsgerechter Arbeitsplätze („über 50 ist der Pfleger-Beruf kaum mehr machbar“). Dennoch verteidigt er die 67iger Rente, „weil es viele Menschen gibt, die über 65 Jahre hinaus arbeiten wollen“ und kann der privaten Vorsorge auch gute Seiten abgewinnen. Und so ist Tobias Volz ein Abbild seiner SPD in diesem Wahlkampf: Wir wollen Neues, aber für unsere Fehler in der Vergangenheit wollen wir nicht einstehen.

Noch zehn Tage bis zur Wahl, noch mindestens zwei Möglichkeiten, die KandidatInnen zu prüfen: Heute Abend im Konstanzer Konzil, am kommenden Dienstag im Konstanzer Treffpunkt Petershausen. Aber auch an unzähligen Info-Ständen überall im Landkreis.

Autor: hpk