Von Gummistiefeln zurück zu Pömps: Tina Lord sagt Tschüss

Tina Lord in ihrer Hollywood-Bar in Konstanz

„Ich habe mich von allem verabschiedet und in vielen Großstädten Abschiedsshows gemacht, aber das ist nicht Konstanz.“ Mit einem Lächeln im Gesicht und viel Schlagfertigkeit berichtet Tina Lord über ihre Lebensgeschichte und ihre kommenden, letzten Shows im Stadttheater Konstanz im Dezember. Bei einer gemütlichen Apfelschorle und neben ihrem Mann Erik (Sugar) sitzend, gibt die Konstanzer Travestie-Künstlerin ehrliche und tiefe Einblicke in über 50 Jahre Verwandlungskunst und ihr aufregendes Leben mit seinen Höhen und Tiefen.

Lords Interesse für feminine Kleidung und Make-Up waren bereits als Kind geweckt: „Ich habe mich als Kind schon gerne geschminkt und wollte immer gerne Prinzessin sein.“ Woher sie das Schminken gelernt hat? „Können“, antwortet Lord wie aus der Pistole geschossen, „einfach Können“. Auch ihre Mutter hätte immer hinter ihr gestanden und wäre später bei allen Shows gewesen. „Sie wäre heute noch stolz, wenn sie das erlebt hätte, dass ich nochmal im Konstanzer Stadttheater auftreten könnte“, betont Lord voller liebevoller Überzeugung.

Schwul zu sein war illegal

(Trigger-Warnung für diesen Abschnitt: Queerfeindlichkeit, Homofeindlichkeit)

Bei einem Blick in Lords Vergangenheit fällt insbesondere auch ein gesetzlicher Aspekt ins Gewicht: Durch Paragraph §175 war Schwulsein zumindest in Teilen noch bis in die 90er-Jahre verboten, was viele queere Menschen zwang, versteckt zu leben. Als schwuler Mann, der sich im Rahmen von Travestie-Kunst als Frau inszeniert, betraf dies also auch Tina Lord. Und auch die Travestie-Kunst selbst, also in Lords Fall die überzogene Darstellung des weiblichen Geschlechts im Rahmen einer Performance, galt als Tabu.

„Es war verpönt, als Frau herumzulaufen, und da war ich doch der erste in ganz Konstanz, der sich über das vollkommen hinweggesetzt hat“, erzählt Lord stolz. Auf einer inoffiziellen „Rosa Liste“, die die Polizei nach wie vor über schwule Personen in Konstanz geführt habe, sei sie zusammen mit AnaNas, die im Dezember mit ihr auftreten wird, an erster Stelle gestanden. Auch in ihrem eigenen Lokal, der Hollywood-Bar, hätte sie manchmal Angst gehabt um ihre Gäste. Denn dort seien so manches Mal Rechtsradikale und andere dubiose Besucher*innen gewesen, auf die sie ein Auge haben musste.

Tina Lord und ihr Partner Sugar beim CSD in Zürich vergangenes Jahr

Trotzdem sei sie als Frau gekleidet in Konstanz herumgelaufen, habe als Bar-Dame hinter der Theke gearbeitet und sei so auch in Kneipen oder Diskotheken gegangen. „Natürlich hat man einem da hinterhergeschaut. Aber ich habe nicht darunter gelitten, ganz im Gegenteil“, erinnert sich Lord mit einem Schmunzeln im Gesicht. „Ich fand es toll, dass ich so ein Exot war und heute noch bin. Ich habe viel Freude geschenkt, glaube ich.“ In ihrem mutigen und selbstbewussten Auftreten sieht Lord auch eine mögliche Erklärung dafür, dass ihr nie etwas passiert ist. Trotzdem betont sie mehrfach, dass sie das noch heute für faszinierend halte, weil sie sehr leichtsinnig gewesen sei.

In den letzten Jahrzehnten hat sich in der queeren Szene viel verändert und verschiedene sexuelle wie geschlechtliche Identitäten haben mehr Anerkennung in der Gesellschaft gewonnen. Trotzdem kann noch lange nicht von einer Gleichberechtigung gesprochen werden. Das sieht auch Lord so: „Die Szene hat sich natürlich toll verändert. Aber das sollte noch normaler werden.“ Das Wichtigste sei noch mehr Freiheit und vor allen Dingen Toleranz.

„Ich habe Spaß an der Verwandlung“

Tina Lord hinter der Theke ihrer Bar „Hollywood“ in Konstanz

Ihre überzeugende und starke Darstellung hat ihr auch dazu verholfen, professionelle Travestie-Künstlerin zu werden. So war sie über 50 Jahre lang als Tina Lord auf unterschiedlichsten Bühnen im gesamten deutschsprachigen Raum zu Hause. „Manchmal habe ich mehr in Tina als in Michael, das ist mein Name als Mann, gelebt“, schwelgt sie in Erinnerungen. Ihr habe einfach die Verwandlung Spaß gemacht und das Leben in diesen beiden Extremen. Mittlerweile lebt Lord seit 16 Jahren gemeinsam mit ihrem Mann und vielen Tieren auf einem Bauernhof in der Schweiz. „Das war viel Umschwung. Ich bin von den Pömps in die Gummistiefel“, lacht sie.

Auf die Frage nach Höhepunkten fängt Lord an zu strahlen. „Es gibt tausende Höhepunkte. Jede Show ist ein Höhepunkt.“ Sie hätte es geliebt, jedes Mal die Menschen mit Freude zu entlassen. Schnell legt sich allerdings auch ein Schatten über ihr Gesicht, als sie erzählt, dass der kommende Auftritt im Stadttheater zwar ein Höhepunkt sei, aber ihre Gesundheit einen großen Risikofaktor darstelle. Vor einigen Jahren hätte sie zwei Herzinfarkte gehabt. Lords Herzleistung liegt nur noch bei 25 Prozent. „Mir wurde ein Stück meines Lebens weggenommen und damit habe ich schon sehr zu kämpfen“, berichtet sie. Ihr fehlten der Applaus und die Anerkennung.

Ein letztes Mal auf die Bühne

Genau das sei auch der Grund gewesen, warum Lords Mann Erik Hahn in die Wege geleitet habe, dass sie noch ein letztes Mal auftreten kann. „[Erik] weiß, es ist mein dringendster Wunsch, in Konstanz tschüss zu sagen.“ Als Konstanzer ist die Stadt Lords Heimat, voll mit Erinnerungen und alten Bekannten. Mit tapferem Gesichtsausdruck fährt Lord fort: „Wir wissen noch nicht, ob ich die Show gesundheitlich durchhalte, aber ich traue es mir zu und ich glaube, dass es klappt.“

Tina Lord bei einem Auftritt in Stralsund

Nach acht Jahren Pause wird Tina Lord sich also im Konstanzer Stadttheater im Rahmen der Show Tina Lord – Time to say Goodbye noch einmal gebührend von ihrer Heimatstadt verabschieden. „Darauf bin ich doch sehr stolz und merke erstmal, wie groß meine Fußspuren hier in Konstanz sind“, berichtet sie gerührt. Gemeinsam mit jahrzehntelangen Freund*innen und Kolleg*innen kündigt Lord ein Travestie-Feuerwerk vom Feinsten an. Mit dabei sind AnaNas, Molly Mombasa, Sugar, Frau Huber, Conférencière Frau Woy, die Echte und Stargast Mike Hitz aus Zürich. „Wir haben alle irgendwas, also das ist auch für die anderen das letzte Mal“, lacht Lord. Sie ergänzt: „Wir haben uns ein tolles Programm ausgedacht.“ Das Publikum erwarten großartige Choreografien, Gesang, schlagfertige Sprüche und Kostüme, die allesamt aus Lords Fundus stammen, der über 50 Jahre zurückreicht. „Zu den anderen habe ich gesagt: ‚Bedient euch. Mehr ist mehr.‘“

Der Künstler*innenanteil des Erlöses der Show wird an den Tierschutzverein Konstanz gespendet werden. Außerdem will Lord einen Spendenaufruf über ihre Facebook-Seite starten. Jeder Euro zähle, berichtet sie. Der Scheck wird am ersten Showabend überreicht. „Wir wollten einfach keinen Gewinn machen, weil wir jetzt nicht mehr davon leben und das nur noch ein Dankeschön ist“.

Ein weiteres Ziel für die Abschlussshow weiß Lord sofort: „Ich wünsche mir, dass die Leute begeistert sind, rausgehen und sagen: Die Tina ist ja noch besser geworden. Schade, dass sie geht.“ Diese Einstellung scheinen Lords Fans schon jetzt zu teilen. Ihre erste Show am 21. Dezember war nach nur einer Viertelstunde restlos ausverkauft. Und auch für die spontan eingerichtete zweite Show gab es innerhalb kürzester Zeit keine Karten mehr. „Wenn das Theater nochmal sagt, ja, wir machen das, dann würde ich auch mehr Shows machen“, schließt Lord. Sie würden zahlreiche Nachrichten erreichen von Menschen, die keine Karten mehr ergattern konnten und darüber sehr enttäuscht seien. „Solche Sachen berühren mich schon extrem“.

Danach wird es ruhiger

Für die Zeit nach der Show haben Lord und ihr Mann nicht viel geplant. Es würde dann ruhiger werden und so weitergehen, wie die letzten Jahre auf ihrem gemeinsamen Bauernhof. „Ich hätte schon noch gerne Trubel, aber ich weiß, dass das gesundheitlich nicht geht“, erzählt sie. Für Lord geht es also danach von den Pömps zurück in die Gummistiefel.

„Darum will ich solche Erinnerungen nochmal für alle. Für mich und die anderen“, berichtet sie. In wenigen Wochen wird sie also mit ihren alten Freund*innen und Kolleg*innen das Konstanzer Stadttheater aufwirbeln. „Es ist eine riesengroße Erfüllung für mich, noch einmal in meiner Heimatstadt so abzugehen“, lacht Lord. „Da werden mir am Ende nochmal die Wimpern runterkommen vor Weinen.“

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Anmerkung: Im Text werden an manchen Stellen Begrifflichkeiten verwendet, die unter Umständen noch nicht im alltäglichen Sprachgebrauch integriert sind. Erklärungen zu den Begriffen finden sich beispielsweise hier.

Text: Connie Lutz, Bilder: Privat