Von Ignoranten, Teilzeitchinesen und Mitläufern

20110901-160825.jpgDer Sommer biegt auf die Zielgerade ein und so allmählich raschelt es auch wieder in der Abteilung Kommunalpolitik, denn bald sollten wir erfahren, wer bei den kommenden OB-Wahlen antritt. Vorher noch reist eine Konstanzer Delegation nach China, um über elementare Probleme zu diskutieren. Etwa zur gleichen Zeit wird in Konstanz die größte Saufschunkelei am Bodensee eröffnet. Jugendliche sind herzlich willkommen. Aber alles schön der Reihe nach.

Am 27.August wurde dem Konstanzer Terra-Verlag der Maultaschenpreis 2011 verliehen. Ebenfalls preisgekrönt wurden die Firmen E.W.Gohl (Singen) und der Insolvenzverwalter Norbert Wischermann, der bei der Reichenauer Firma Maurer-Atmos die Belegschaft gegeneinander aufhetzte. seemoz berichtete ausführlich, der SWR, Qlt, TV 3-online, Radio Seefunk zogen nach, ebenso das überregionale Internetforum LabourNet und auch die Berliner Tageszeitung Neues Deutschland brachte einen längeren Beitrag.

Das Maultaschenkomitee hatte vor der Preisverleihung die regionalen und lokalen Medien zu einer Pressekonferenz geladen. War letztes Jahr noch ein Vertreter des Südkurier mit am Tisch, so glänzte dieses Jahr die Tageszeitung durch Abwesenheit. Es scheint die Redaktion nicht zu interessieren, wer hier am westlichen Bodensee die Rechte seiner ArbeitnehmerInnen grob missachtet. Diese Ignoranz gleicht einem journalistischen Offenbarungseid. Da schreibt man doch lieber über die sinkenden Wassertemperaturen am Bodensee, skizziert minutiös den Aufbau der Bierzelte für das Oktoberfest oder hievt dröge Polizeiberichte ins Blatt. Das reicht offensichtlich, um im Oktober den Konrad-Adenauer-Preis für die „beste Regionalzeitung Deutschlands“ zu erhalten. Diese Auszeichnung wird in der Regel von einer feucht-fröhlichen Herrenrunde ausgewürfelt.

Ebenso eigentümlich las sich die Berichterstattung auf der Internetplattform see-online an. Denn die Betreiberin dieser Seite verzichtete darauf, die Namen der Preisträger zu nennen. Dann kann man es auch bleiben lassen. Den Preis für den Lacher des Monats August hat sie sich dennoch redlich verdient. Rückblickend auf den Ursprung des Maultaschenpreises ließ sie ihre LeserInnen wissen: „ (…) hätte die Altenpflegerin die Maultaschen damals nicht mitgenommen, wäre sie entsorgt worden.“ Was ein fehlendes „n“ doch anrichten kann.

Nachdem der Südkurier die Berichterstattung rundum verweigerte, gab es auf seemoz die Möglichkeit, ein Flugblatt über die Verleihung des Maultaschenpreises herunter zu laden und in der Stadt zu verteilen. Das wurde vielfach auch gemacht. Das Komitee dankt. Ab sofort aber gilt: Nach der Verleihung ist vor der Verleihung. Die Suche nach den Preisträgern für 2012 läuft bereits. Sachdienliche Hinweise werden jederzeit wohlwollend angenommen und geprüft.

Reisende, so der Volksmund, soll man nicht aufhalten. Wollen wir auch nicht, denn die Flüge sind längst gebucht und Ende September macht sich Baubürgermeister Werner mit vier Gemeinderäten im Handgepäck auf den Weg nach China in die Partnerstadt Suzhou. Der kleine Abstecher ist günstig, den außer den Flugkosten fallen für die Konstanzer Delegation keine zusätzlichen Ausgaben an.

Vor Ort wird es um bahnbrechende Erfolge im Städtebau gehen und da haben unsere Konstanzer der anwesenden Fachwelt doch einige Higlights zur Nachahmung anzubieten. Als da wären: Die kostengünstige „Seufzerbrücke“ am Bahnhof, die vorbildliche und bürgerfreundliche Pflasterung vor dem Konstanzer Münster, die intelligente Vorgehensweise beim Jahrhundertprojekt Konzert- und Kongresshaus, die zukunftsweisende Umsetzung des Park-and-ride-Systems, der rasante und stilvolle Umbau des Bahnhofvorplatzes zur Begegnungszone und die bahnbrechenden Entwicklungen und Visionen beim Thema Verkehr in der Innenstadt. So gesehen kann man den Ausflug der fidelen Truppe vom Bodensee nur unterstützen.

Ach so, war da nicht noch was mit den Menschenrechten? Stimmt, Grünen-Rätin Dorothee Jacobs-Krahnen wollte kürzlich im Rat den Antrag stellen, die Städtepartnerschaft mit Suzhou vorläufig einzufrieren, da es in China nicht gut bestellt sei um die Menschenrechte.Die Frau kennt sich da bestens aus, denn sie war bereits drei Mal in China. Doch kaum hatte sie ihren Antrag brav vorgelesen, zog sie ihn auch wieder zurück. Nun, knapp zwei Monate später, liebäugelt sie damit, den Antrag nochmal auf die Tagesordnung zu bringen. Es scheint wohl was dran zu sein an dem Gerücht, dass „Frau Oberwichtig“ zu Hyperaktivität und Kontrollverlust neigt, wenn ihr Name mal länger als eine Woche nicht in der Tageszeitung auftaucht.

Dennoch bleibt die Diskussion um die Einhaltung der Menschenrechte – egal ob in China, Guantanamo oder anderswo – ein ernsthaftes Thema, das aber leider allzuoft von Heuchelei durchsetzt ist und gelenkt wird von meist wirtschaftlichen Interessen. Ob die Konstanzer Delegation bei ihrem Besuch in Suzhou eine dementsprechende Protestnote überreicht? Wohl kaum.

Spätestens gegen Ende des Jahres wird es neue Erkenntnisse darüber geben, inwieweit Alt-Oberbürgermeister Bruno Helmle in den Nationalsozialismus verstrickt war. Der angebliche Knaller wurde Ende 2010 gezündet, als Stadtarchiv-Chef Jürgen Klöckler erklärte, Helmle habe enger als bisher gedacht, mit dem NS-System kooperiert. So ganz überraschend kommt diese Vermutung ja nicht. Denn Helmle, Jahrgang 1911, startete gegen Ende der NS-Zeit seine höhere Laufbahn und das sicher nicht als anerkannter Regimegegner. Jürgen Klöckler hat monatelang in Archiven recherchiert und erklärte kürzlich gegenüber seemoz: „Helmles Memoiren sind nachweislich geschönt und unvollständig“.

Noch vor Weihnachten soll eine Aufsatzsammlung erscheinen, die spannende Details verspricht und den Alt-OB in einem anderen Licht erscheinen lassen wird. Bruno Helmle  ist Ehrenbürger der Stadt Konstanz, Ehrensenator der Universität und wurde mit dem großen Bundesverdienstkreuz und der Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg dekoriert. Klöckler hat vor allem Helmles Zeit als Finanzbeamter während der NS-Zeit untersucht und vermutet, die Causa Helmle könnte nach der Veröffentlichung seiner Recherchen ein ähnlich brisantes Thema werden wie die langjährige Diskussion um den Dichter Wilhelm von Scholz. Bis es soweit ist, bleibt die Frage offen: War Helmle Nazi oder Mitläufer? Einigen wir uns doch auf einen vorläufigen Kompromiss. Bruno Helmle war zumindest ein mitlaufender Nazi.

Autor: H.Reile