Von Neu-Scholzianern und anderen

In den nächsten Tagen wird erneut über den braunen Dichterfürsten Wilhelm von Scholz diskutiert. Wäre es nicht an der Zeit, an Menschen zu erinnern, die tatsächlich unter Einsatz ihres Lebens einem mörderischen System die Stirn geboten haben? Dazu ein Interview mit dem Konstanzer Museumsleiter Tobias Engelsing.

Am 18.Januar tagt die Straßenbenennungskommission. Wieder mal geht es um das Dauerthema Wilhelm von Scholz. Eine Mehrheit ist wohl dafür, den Weg in Hermann-Hesse-Weg umzubenennen. Das scheint mir reichlich einfallslos und beliebig. Warum will man es sich so einfach machen?

Ob das so beschlossen wird, wissen wir erst nach der Sitzung. Allerdings war zu hören, dass die Alternative Hermann-Hesse-Weg vorab auf recht breite Zustimmung zu stoßen scheint. Hermann Hesse wohnte bekanntlich von 1904 bis 1912 auf der Höri. Während des „Dritten Reichs“ lebte er in Montagnola im Tessin, von wo er sich sehr für emigrierte Schriftstellerkollegen einsetzte. An seiner anti-nationalsozialistischen Einstellung besteht kein Zweifel. Doch ich fände es sinnhafter, wenn wir eine der wenigen tapferen Persönlichkeiten des lokalen Widerstands ehren könnten.

Es gab ja couragierte Zeitgenossen auch in dieser Stadt, die mutig gegen den Nationalsozialismus aufgetreten sind. Sollte man den Weg nicht nach dem Konstanzer Ehepaar Risch, das u.a. wegen Wehrkraftzersetzung vom Volksgerichtshof 1943 zum Tode verurteilt wurde, benennen?

Das wären Menschen, deren Verhalten während der NS-Diktatur jedenfalls mutiger war als dasjenige der Herren Franz Knapp, Fritz Arnold oder Otto Raggenbass, die ebenfalls noch Namensgeber von Konstanzer Straßen sind.

Wäre nicht auch das Konstanzer Ehepaar Durst eine Alternative? Sie brachten wohl politisch Verfolgte unter Einsatz ihres Lebens über die Grenze. 1938 wurden die Dursts von der Gestapo verhaftet. was ist mit ihnen passiert ?

Die Aktivitäten des Ehepaars Durst sind mir noch nicht bekannt. Aber für sie gilt, was für viele Biografien der Widersetzlichen und Widerständigen auf der lokalen, kleinräumigen Ebene zutrifft: Wir wissen noch sehr wenig von ihnen, weil Akten verschollen, oder, wie im Falle der Akten der Sondergerichte Mannheim und Stuttgart, erst seit kürzerer Zeit voll erschlossen und noch nicht hinreichend erforscht sind. Man sollte es zwar angesichts der täglichen Portion „History“ im Fernsehen nicht glauben, aber das Kapitel „Widerstand auf lokaler Ebene“ ist vielerorts noch ein echtes Defizit der NS-Geschichtsschreibung.

Sie haben sich eindeutig dafür ausgesprochen, den Scholz-Weg umzubenenen. Fallen ihnen noch andere Personen ein, die eines Straßennamens würdig wären?

Da wäre etwa an die widersetzlichen Schriftstellerinnen Tami Oelfken oder Käthe Vordtriede zu denken, deren heimliche Aufzeichnungen zum NS-Alltag und zur Judenverfolgung klarer sind als manche gewichtige Monografie der historischen Zunft. Ich denke aber auch an die Kreuzlinger Jüdin Erna Veith-Hammel, die unter großem persönlichen Einsatz einen Paketdienst für Lebensmittel, Kleidung und Medikamente für die in Gurs inhaftierten deportierten Konstanzer Juden organisierte und lange unterhielt. Leider werden viele Namen von mutigen Menschen, die anderen halfen und sich nicht an den rechtlos gewordenen Nachbarn bereicherten, für immer unbekannt bleiben: Sie vollbrachten ihre Taten in der Stille und haben auch in der Zeit der großen Wiedereingliederung der Täter nach 1945 nicht gewagt, über ihre Akte der Widersetzlichkeit zu sprechen.

Erstaunlich ist, dass sich bislang Regionalgeschichtler zu dem Thema nicht geäußert haben. Woran liegt das?

Das sehe ich anders: Die älteren Kollegen wie Arnulf Moser, Lothar Burchardt, Gert Zang oder Werner Trapp publizieren immer wieder Neues zum Thema NS-Zeit. Auch wir Jüngeren, etwa Jürgen Klöckler und Ralf Seuffert, sind durchaus aktiv. Die Konstanzer Aufarbeitung der NS-Zeit kann sich bundesweit sehen lassen. In manchen bayerischen Städten dürfen Autoren noch nicht mal den Namen des NSDAP-Ortsgruppenleiters in der Zeitung nennen. Doch das Thema verblaßt auch bei uns: Die Regionalgeschichte hat an der Uni Konstanz nicht mehr den institutionellen Stellenwert wie noch vor einigen Jahren. Und schließlich stellt auch die lokale Tageszeitung unter den ökonomischen und medienpolitischen Vorgaben des Internetzeitalters spürbar weniger Platz für besondere historische Themen zur Verfügung.

Am 14.  Januar wird in der  Villa Seeheim zum wiederholten Male über Scholz diskutiert. Ich kann mich nicht des Eindrucks erwehren, dass in der Stadt einige nicht davon lassen können, wider besseres Wissen an der braunen Weste des Dichters so lange herum zu bürsten, bis sie etwas heller wird. Wie sehen sie das?

Mir sind die Motive dieser Neu-Scholzianer bis heute nicht klar geworden. Im Südkurier-Feuilleton wurde vom Flirt des Dichters mit dem Nationalsozialismus geschwurbelt und vom Fehlen einer großen Scholz-Biografie: Was soll dieses quellenferne Geraune? Sollen sie sich auf den Hosenboden setzen, den großen Nachlass und andere Quellen fleißig durchackern und uns die große Scholz-Biografie bescheren, die uns zeigt, dass alles ganz anders war. Besonders gespannt wäre ich schon jetzt auf die Namen und Geschichte der Juden, die der ab 1933 fleißig antisemitisch geifernde Dichterfürst angeblich eigenhändig in die sichere Schweiz gerudert haben will.

Die Fragen stellte Holger Reile