Vorerst letzter Akt im Chérisy-Lohndumping-Prozess
Nach dem Schmieder-Prozess vorgestern nun kurz hintereinander eine zweite Berichterstattung aus dem Arbeitsgericht Radolfzell. Gestern fand dort der Prozess Knezevic seinen vorläufigen Abschluss. Leider wurde die Frage, ob auf der Baustelle Chérisy-Areal Lohn vorenthalten und Mindestlöhne nicht gezahlt wurden, nicht entschieden. Denn die eigentlich Beklagte hat inzwischen Insolvenz angemeldet – ein im Baugewerbe längst übliches Verfahren, um Regressansprüchen zu entgehen.
Herr Knezevic erschien auch zum heutigen Termin nicht – er musste auf dem Bau schuften. Stattdessen erschien für ihn Rechtsanwältin Reinke. Für die Gegenseite trat Assessor Gundacker vom Verband Bauwirtschaft Baden-Württemberg e.V., dem zuständigen Arbeitgeberverband, auf. Er vertrat die Willhelm Füssler Bau GmbH, die Generalunternehmerin hinter dem Bauvorhaben im Chérisy-Gelände (s. Foto). Die eigentliche Beklagte, die SEN Bau GmbH, hat inzwischen Insolvenz angemeldet. Für eine weitere Beklagte, die ZB Bau GmbH und eigentliche Vertragspartnerin der Willhelm Füssler Bau GmbH, war niemand zugegen. Ein wahrliches Gewirr an Beteiligten, wie häufig in Streitigkeiten des Baugewerbes – Subunternehmerschaft ist hier mittlerweile mehr Regel denn Ausnahme.
Gestritten wurde noch über Differenzvergütungen aus den Monaten November 2014 bis März 2015. Herr Knezevic machte geltend, mehr Stunden gearbeitet zu haben, als tatsächlich abgerechnet wurden. Die Arbeitgeberin, die SEN Bau GmbH, konnte über die tatsächlich gearbeitete Stundenzahl nichts beitragen, nachdem auch sie aufgrund der Insolvenz abwesend war. Übrig blieb die Generalunternehmerin, die schlicht alle Ansprüche mit Nicht-Wissen bestritt. Dies steht ihr nach wohl herrschender Rechtsprechung offen.
Im Ergebnis konnte dahinstehen, ob tatsächlich unbezahlte Arbeit geleistet wurde. Der auf das Arbeitsverhältnis anwendbare Tarifvertrag des Baugewerbes (Mindestlohn-TV II Bau) und der damit verbundene Rahmentarifvertrag Bau sehen eine Ausschlussfrist vor. Beim Verstreichen der Ausschlussfrist ohne vorherige Geltendmachung möglicher Ansprüche verfallen diese. So war dies wohl auch im vorliegenden Fall. Auch § 3 MindestLohnGesetz konnte die Ansprüche nicht mehr retten. Hiernach sind Ausschlussfristen nur soweit unwirksam, soweit damit der gesetzliche Mindestlohn abbedungen wird. Herr Knezevic erhielt zumindest 8,50 €/Std., auch für die von ihm geltend gemachten Arbeitszeiten. Damit wurde gerade die interessante Frage des Prozesses nicht geklärt: Hat die SEN Bau GmbH Lohndumping betrieben?
Die Parteien verglichen sich widerruflich (Frist zwei Wochen) auf 500 € Abfindung – wobei Assessor Gundacker ausdrücklich darauf verwies, mit diesem Vergleich kein Schuldeingeständnis anzuerkennen.
Simon Pschorr