Walter Eyermann und der Mord an Martin Katschker
Im März ist in Konstanz Walter Eyermann gestorben, erfolgreicher Immobilienmakler und vor Jahrzehnten auch einflussreicher Lokalpolitiker. Oberbürgermeister Uli Burchardt hat den ehemaligen Gemeinderat mit einem öffentlichen Nachruf gewürdigt, auch im Namen der Stadtverwaltung und des Gemeinderats. Gegen diese Vereinnahmung wehrt sich die Linke Liste, die an die braune Gesinnung und das reaktionäre Treiben Eyermanns erinnert. Grund für seemoz, noch einmal über die Geschehnisse im Sommer 1970 zu berichten, bei denen sich der NPD-Mann als Hetzer gegen „Asoziale“ hervorgetan und nach „Säuberungen“ gerufen hatte – mit tödlichen Folgen.
Samstag, 29. August 1970: Der Tankstellenlehrling Martin Katschker (17) trifft sich mit Freunden am Konstanzer Blätzleplatz. Plötzlich kommt ein Mann auf ihn zu, drückt ihm einen Hasentöter auf die Brust und löst den Bolzen. Dreißig Minuten später verstirbt Martin Katschker im Krankenhaus.
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Wenn es um Recht und Ordnung ging, war Walter Eyermann, damals Stadtrat der rechtsradikalen NPD, immer an vorderster Front. Eyermann hatte noch 1970 zusammen mit Adolf von Thadden den Landesparteitag der NPD im Konstanzer Konzil eröffnet. Nun, im Juli 1970, fühlte er sich berufen, richtig aufzuräumen und die Stadt von den „Gammlern“ zu befreien.
Eyermann organisiert Bürgerwehr
Konstanz kannte nur ein Tagesgespräch in jenem Sommer: „Gammler“ in der Stadt! Schnell wurden die harmlosen Hippies zum Feindbild erklärt und die Stimmung kochte hoch. Anlass war ein zweitägiges Popkonzert, das Mitte Juli 1970 im Konzil stattgefunden hatte. Am 20. Juli wollte Walter Eyermann in einer Gemeinderatssitzung wissen, „ob die Verwaltung bereit ist, den Gammlern das Konzil für weitere Veranstaltungen dieser Art zu sperren“. Und an den damaligen Oberbürgermeister Bruno Helmle stellte er die Frage, „welche Maßnahmen die Stadt durchführen will, um den Stadtgarten von diesen Figuren zu räumen“. Eyermann bot sich bei dieser Sitzung an, die Säuberungsaktion selbst durchzuführen, „zu der ich mit Sicherheit mehr als vierzig Bürger dieser Stadt finde, die sich daran beteiligen“. OB Helmle, der wegen des Popkonzerts unter Druck geraten war, delegierte die Ordnungsgewalt unverblümt an den NPD-Mann: „Wenn Sie das machen, Herr Eyermann, bin ich einverstanden“.
Der damalige DGB-Kreisvorsitzende und SPD-Gemeinderat Erwin Reisacher beurteilte das Geschehen so: „Die Formulierung des Oberbürgermeisters kann nicht anders denn als Aufforderung zur Bildung einer Bürgerwehr mit Lynchjustiz verstanden werden. In den Händen des Führers der NPD, W. Eyermann, wird diese gesetzlose Einrichtung zu einem unerträglichen und gefährlichen Instrument“.
„Asoziales Gesindel“
Bruno Helmle bestritt später, derlei Äußerungen jemals gemacht zu haben. Die Angelegenheit war ihm so peinlich, dass er das Protokoll der Sitzung vom 20.Juli 1970 nachträglich ändern ließ. Die nachweislich gefallenen Äußerungen Helmles und Eyermanns sind in dem geänderten Protokoll nicht einmal mehr sinngemäß enthalten. Während Helmle versuchte, die Vorwürfe abzubiegen, fiel ihm Eyermann in den Rücken. In einer Pressemitteilung an den „Südkurier“ vom 31. Juli 1970 bestätigte er die in der Sitzung gefallenen Sätze. Gesagt habe er sie aber nur, um die Verwaltung unter Druck zu setzen, „die Stadt von den Gammlern zu befreien“.
Eyermann ließ keine Gelegenheit aus, die Ressentiments gegen sogenannte Gammler und Hippies weiter zu schüren. Für den 7. und 8. August 1970 stand wieder ein Rockkonzert an und der NPD-Mann ließ in hoher Auflagenzahl ein Flugblatt in der Konstanzer Innenstadt verteilen, auf dem seine Meinung über die jugendlichen Pop- und Rockfans deutlich wurde: „… der Bürger muss sich gegen das arbeitsscheue und asoziale Gesindel der Berufsgammler auflehnen“. Im gleichen Flugblatt bezeichnete Eyermann den DGB als „Schutzpatron der Gammler“.
Südkurier mischt mit
Das Ortsblatt „Südkurier“ unternahm nichts, um die fehlgeleitete Diskussion in vernünftige Bahnen zu bringen. Den üblen Hasstiraden und Gewaltaufrufen Walter Eyermanns wurde kaum etwas entgegengesetzt. Die Kluft, die sich da auftat zwischen angeblich sauberen und anständigen Bürgern und den „langhaarigen, asozialen Elementen“ wurde sogar noch bewusst durch verfälschte Berichterstattung vertieft. Angeblich, so der Südkurier am 21. Juli 1970, sei ein Konstanzer Bootsführer von einem „Gammler in den See gestoßen“ worden. Einige Tage später stellte sich heraus, dass es der Bootsführer war, der einen „Gammler“ an den Haaren gepackt und ihn in den See geworfen hatte.
Fast 10.000 Musikfans in der Stadt
Obwohl es am 7. und 8. August 1970 ununterbrochen regnete, kamen etwa 10.000 Jugendliche zu dem Open-Air-Konzert. Die ursprüngliche Absicht der Veranstalter, das Festival im Bodensee-Stadion durchzuführen, stieß auf massiven Protest großer Teile der Bevölkerung und des Konstanzer Gemeinderats. Also stellte man den Veranstaltern das Klein-Venedig direkt am Bodensee zur Verfügung. Das Konzert verlief friedlich, es kam zu keinen nennenswerten Vorfällen. Nach dem Festival blieben einige Jugendliche in der Stadt und nächtigten am Blätzleplatz oder im Konstanzer Stadtgarten. Wo sollten sie auch sonst hin? Die Stadt reagierte und beauftragte die Polizei, den Blätzleplatz in Zusammenarbeit mit den Stadtwerken und mittels Wasserstrahl von den herumliegenden Schlafsäcken und Jugendlichen zu „reinigen“.
Der Mord an Martin Katschker
Der siebzehnjährige Tankstellenlehrling Martin Katschker hatte am 29. August, einem Samstag, bis in die Mittagsstunden an seiner Kreuzlinger Arbeitsstelle gearbeitet. Nachmittags traf er sich mit zwei Freunden am Konstanzer Blätzle-Platz, dem damaligen Jugendtreff in der Hertiepassage. Die drei Freunde saßen auf der Rückenlehne einer Bank, als der offensichtlich alkoholisierte, 38-jährige Druckereihilfsarbeiter Hans Obser mit gezücktem Hasentöter auf sie zu kam und sagte: „Ich bin von der Bürgerwehr und zähle bis drei, dann seid ihr verschwunden – oder es passiert was“. Dabei drückte er dem konsternierten Martin Katschker den Hasentöter auf die Brust. Obsers 10-jähriger Sohn versuchte, seinen Vater wegzuziehen. Das gelang ihm nicht. Obser löste den Bolzen, der Martin Katschker mitten ins Herz traf. Etwa 30 Minuten nach der Tat verstarb der junge Lehrling im Konstanzer Krankenhaus. Ein bundesweites Medienecho folgte. „Spiegel“ und „Stern“ berichteten über die Konstanzer Bluttat, von einem „Gammlermord“ war die Rede.
Der Prozess gegen Hans Obser
Eineinhalb Jahre nach dem Mord fand vom 14. bis zum 20. März 1972 vor dem Schwurgericht beim Landgericht Konstanz das Strafverfahren gegen Hans Obser statt. Der Vorwurf: Vorsätzliche Tötung. Den größten Teil der Zeit von der Tat bis zum Prozess verbrachte Obser in Untersuchungshaft. Ende des Jahres 1971 wurde er sogar vorübergehend auf freien Fuss gesetzt. Auf einen Einspruch des Oberlandesgerichts Karlsruhe hin wurde die Haftverschonung wieder rückgängig gemacht.
Der Prozess dauerte fünf Verhandlungstage. Die Konstanzer Bevölkerung, für die der Mord wochenlang Gesprächsthema war, zeigte an der Verhandlung wenig Interesse, der Saal blieb meist halb leer. Obser erklärte vor Gericht, er sei zu dieser Tat von niemandem angestiftet worden und von der Stimmung in der Stadt gegen „die Gammler“ habe er auch nichts gewußt. Er bezeichnete sich als „völlig unpolitisch“ und lese nicht mal Zeitung. Er habe sich lediglich über die Gammler am Blätzle-Platz geärgert. Die Tat bezeichnete Obser als das Ergebnis eines unglücklichen Umstandes. Als er Katschker den Hasentöter auf die Brust hielt, habe ihn sein Sohn am Arm gezerrt, dabei sei der Schuss gefallen. Der Sachverständige erklärte, bei Obser sei nach der Tat ein Blutalkoholgehalt von 2,33 Promille festgestellt worden. Das Urteil lautete: Drei Jahre Freiheitsstrafe ohne Bewährung wegen fahrlässiger Tötung und Nötigung. Die Zeit der Untersuchungshaft wurde auf die Strafe angerechnet. Der Staatsanwalt hatte vier Jahre beantragt.
Unverständnis über ein mildes Urteil
In den meisten Pressekommentaren wurde das Urteil als zu milde empfunden. Viele sahen in Obser einen politischen Gesinnungstäter, aufgehetzt von rechtsradikaler Propaganda. Werner Birkenmaier von der „Stuttgarter Zeitung“ schrieb damals dazu: „Die Konstanzer Justiz hat H. Obser freundlich behandelt (…), linker Umtriebe Verdächtige müssen zur Zeit geringerer Delikte wegen ebenso lange oder länger als Obser in der Zelle auf ihren Prozess warten. Auch muss die Frage gestellt werden, ob Obser mit ebenso viel richterlicher Milde hätte rechnen können, wenn er nicht zu denen gehörte, die für die Ordnung eintreten (…) Herr Obser ist ein ordentlicher Mann (…) Soviel Milde kann niemanden überraschen, nachdem das Gericht es einer 71-jährigen Zeugin nicht verwehrt hatte, ihren Unmut über die Jugend von heute abzuladen und sich beim Angeklagten für seine Tat zu bedanken. Es wäre jedenfalls verhängnisvoll, wenn die Gerichte in die Praxis zurück fielen, nach links hart und nach rechts milde zu sein“.
Der rechtsradikale Saubermann
Walter Eyermann, geistiger Urheber der Tat, blieb unbehelligt. DGB-Chef Erwin Reisacher hatte zwar Strafantrag gegen Eyermann gestellt, der aber abgelehnt wurde. Die Staatsanwaltschaft Konstanz sah in den Aktivitäten und Äußerungen Walter Eyermanns keine zureichenden Anhaltspunkte für ein Vergehen der Volksverhetzung.
Eyermanns politische Karriere ist ein gern vergessenes Stück Konstanzer Stadtgeschichte. Walter Eyermann wurde 1925 in Konstanz geboren, war Träger des goldenen HJ-Abzeichens und trat 1939 als jüngster Konstanzer der NSDAP bei. Dann verdingte er sich bei der Luftwaffe. Nach kurzer Kriegsgefangenschaft diente er sich nach 1945 den Franzosen als Dolmetscher an.
1950 trat er in die FDP ein, konnte sich dort aber nicht durchsetzen. Mitte der sechziger Jahre zog die rechtsradikale NPD in verschiedene Landesparlamente ein, auch in Baden-Württemberg. Eyermann wurde NPD-Mitglied und als solches auch Konstanzer Stadtverordneter. Nach dem Niedergang der NPD Anfang der siebziger Jahre war Eyermann Mitbegründer der „Bürgergemeinschaft Konstanz“ (BGK), für die er dann als einziger in den Gemeinderat gewählt wurde. Über die NPD-Mitgliedschaft Eyermanns müsse man hinweg sehen, hieß es in den Reihen der BGK, „das ist ein fähiger Mann“. Auch andere in Konstanz hatten nichts auszusetzen an Eyermanns brauner Gesinnung: Er war langjähriger Geschäftsführer des Haus- und Grundeigentümervereins und stellvertretender Vorsitzender des gleichnamigen Landesverbandes.
Bei den Gemeinderatswahlen 1980 erhielt Eyermann die mit Abstand meisten Stimmen aller Bewerber, rund 22 000. Die Konstanzer Wählerschaft störte sich nicht an Eyermanns politischem Hintergrund. Vor allem während der Amtszeit Bruno Helmles, dessen OB-Wahl Eyermann vehement unterstützt hatte, galt er lange Jahre als der eigentliche Strippenzieher in der Konstanzer Kommunalpolitik.
Im März 2020 ist Walter Eyermann, 94-jährig, in Konstanz gestorben. Aus der Tagespolitik hatte er sich längst zurückgezogen. Der Mord an Martin Katschker hat seiner Karriere nicht geschadet und ist in Konstanz längst vergessen.
Holger Reile
Bilder: Das Opfer Martin Katschker; Protestaktion in Konstanz nach der Mordtat. (Fotos: Privatarchiv)
Und mich widert es auch immer wieder und wieder an…auch im Hinblick auf die aktuelle Entwicklung (AfD usw…).
Von wegen Obser und Eyermann hatten nix miteinander zu tun: Ich sag nur Bürgertröpfle in der Huetlinstraße!
Mich widert’s einfach nur an… noch immer… und immer wieder.