Streiktag beim ZfP Reichenau
Das graunasse Wetter lud nicht gerade zum Verweilen ein – und doch hatten sich gestern knapp hundert Streikende bei der Gärtnerei am Rande des Zentrums für Psychiatrie (ZfP) Reichenau versammelt, um gegen die Blockadehaltung der Länder im laufenden Tarifkonflikt zu protestieren. Mit dabei waren auch Gewerkschaftsmitglieder aus anderen Einrichtungen des Landes Baden-Württemberg.
Ursprünglich hätte die Kundgebung mitten auf dem weitläufigen Betriebsgelände des ZfP Reichenau stattfinden sollen – doch die Geschäftsleitung habe das untersagt, berichtet Thomas Weisz von der Gewerkschaft ver.di. Auch zu einer Notdienstvereinbarung sei sie nicht bereit gewesen. Und doch haben, so Weisz, laut einer vorläufigen Schätzung rund 120 Beschäftigte des ZfP und der HTWG Konstanz die Arbeit niedergelegt. Denn die Empörung über die unnachgiebige Haltung der Länder ist groß: Die Beschäftigten, das zeigte die Stimmung am gestrigen Streiktag, wollen endlich ernst genommen werden; viele fühlen sich verarscht. Denn noch immer hat die Gegenseite noch nicht einmal ein Angebot vorgelegt. Dabei sind die Gewerkschaftsforderungen überaus bescheiden: fünf Prozent mehr Lohn, mindestens 150 Euro mehr für alle Landesbeschäftigten beziehungsweise 300 Euro für alle Lohnabhängigen im Gesundheitswesen, die in den vergangenen zwei Jahren unter besonders widrigen Umständen ihrem Dienst an der Gemeinschaft nachgekommen sind.
„Wenn wir nicht handeln, passiert nichts“ – davon sind alle KundgebungsteilnehmerInnen überzeugt. Und so gab es großen Applaus für alle RednerInnen: für Heike Gotzmann von der Katholischen Arbeitnehmer:innen-Bewegung (KAB) zum Beispiel, die sich mit dem Arbeitskampf solidarisch erklärte, oder für Normen Küttner vom Roten Kreuz (DRK), der daran erinnerte, dass die DRK-KollegInnen bei ihrer Tarifauseinandersetzung vor einem Jahr ebenfalls viel Unterstützung erfahren hätten. ZfP-Personalratsvorsitzender Gabriel Henkes wiederum machte klar, dass es bei diesem einen Streiktag nicht bleiben werde. Und Moritz Gallus von der ver.di-Aktivengruppe der Universität Konstanz brachte in seinem Redebeitrag (der hier ungekürzt wiedergegeben wird) auf den Punkt, worum es geht:
„An Unverschämtheit kaum zu überbieten“
„Als ich mir notieren wollte, was ich heute eigentlich sagen will, kam mir alles irgendwie recht einfallslos und wenig originell vor. Aber dann ist mir klargeworden: Das liegt daran, dass die Lage eigentlich gar nicht so kompliziert ist: Die Inflation steigt auf über vier Prozent und deshalb wollen wir fünf Prozent – im Grunde recht einfach und angesichts der aktuellen Lage auch noch eher bescheiden, wie ich finde.
Bereits im Frühjahr haben wir uns auf die Tarifrunde vorbereitet, Mitglieder und Nicht-Mitgliederbefragt, mit welchen Forderungen ver.di in die Verhandlungen gehen soll, und basisdemokratisch einen Forderungskatalog erarbeitet. Und wir haben von unseren Kolleginnen und Kollegen gehört, mit wie viel Einsatz sie sich durch Pandemie gekämpft haben und dafür gesorgt haben, dass der Betrieb an der Uni, an der HTWG, am ZfP und am Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) überhaupt weiterlaufen konnte. Ich erspare euch die Details, ihr kennt sie alle selbst nur zu gut.
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Schon im Frühjahr haben wir es geahnt: Die Verhandlungen werden hart. Denn auch die Arbeitgeber wollen etwas – sparen. Das alles ist natürlich nichts Neues. Aber ich muss schon sagen, dass manche Äußerungen der Arbeitgeber mich beinahe sprachlos zurückgelassen haben: Reinhold Hilbers, der Verhandlungsführer der Tarifgemeinschaft deutscher Länder, fabuliert von einer Inflation von 2,1 Prozent. Den Fachkräftemangel sieht er auch nicht. Und Unzufriedenheit bei den Beschäftigten? Fehlanzeige … Stattdessen wollen die Arbeitgeber über den sogenannten Arbeitsvorgang an den Eingruppierungen schrauben, um für die gleichbleibenden, wenn nicht stärkeren Arbeitsbelastungen am Ende weniger bezahlen zu müssen.
Corona hat uns allen einiges abverlangt. Beruflich aber auch privat. Und wir kämpfen uns durch. Wirklich bewältigen können wir diese Krise aber nur gemeinsam als Gesellschaft. Und dazu gehört auch, dass die, die sich engagiert und unermüdlich eingebracht haben, am Ende nicht noch die Gelackmeierten sind und weniger Geld im Beutel haben. Auch das ist eine Frage der Solidarität!
Dass wir hier heute streiken können, ist ein Grundrecht. Der Grund, aus dem wir das tun (müssen), ist – gelinde gesagt – eine Frechheit. Die Positionen der Arbeitgeber sind völlig fern der Realität. Die Belastungen der Pandemie halten an und sind natürlich nirgendwo stärker zu spüren als im Gesundheitswesen; aber auch an der HTWG, im BSZ und oben bei uns an der Uni sind wir alle Tag für Tag seit beinahe zwei Jahren im Krisenmodus. Im Sommer haben wir gehofft, dass es vielleicht bald überstanden ist, aber so wie Pandemie verläuft, wird sie uns noch eine ganze Weile beschäftigen …
Es wurde geklatscht und viel von Anerkennung gesprochen. Aber bisher ist es mir noch nicht gelungen, mit Applaus meine Miete zu bezahlen. Und der Fachkräftemangel sowie die permanente Überforderung unserer Kolleginnen und Kollegen im Gesundheitsbereich – den kann man halt auch nicht einfach wegklatschen.
In dieser Situation nicht mal einen Inflationsausgleich zahlen zu wollen, ist an Unverschämtheit kaum zu überbieten.
Jetzt kommt es darauf an, dass wir alle – an den Unis, den Hochschulen, den Kliniken etc. – ordentlich Druck machen. So sollten und so können wir uns nicht behandeln lassen. Aber Corona hat eben nicht nur Einfluss auf Arbeit und Privatleben, sondern leider auch auf die Gewerkschaftsarbeit. Und deshalb kommt es in dieser Lage auf jeden und jede Einzelne/n an – weil dafür, wie ernst diese Situation ist, können hier gar nicht genug Beschäftigte streiken.
Oben an der Uni haben wir da noch einen weiten Weg vor uns, aber auch dort tun wir unser Möglichstes und deshalb sind wir heute hier, um euch zu unterstützen und zu zeigen: Gemeinsam und solidarisch kämpfen wir für bessere Arbeitsbedingungen – am ZfP, an der HTWG, am BSZ und an der Uni.“
Kontaktadresse der ver.di-Aktivengruppe der Uni Konstanz: verdi@uni-konstanz.de
Der nächste Streik ist für kommenden Donnerstag, 25. November, geplant.
Text und Fotos (oben Versammlung auf dem Hof der Gärtnerei; unten Heike Gotzmann und Moritz Gallus am Mikrophon): Pit Wuhrer