Warum die ZfP-Beschäftigten auf der Reichenau zum Streik bereit sind

20130217-224619.jpgAm Donnerstag gibt es Warnstreiks im Öffentlichen Dienst. Einen der Schwerpunkte im Landkreis Konstanz macht das Zentrum für Psychiatrie Reichenau (ZfP) aus. seemoz sprach mit Günter Orawetz, Mitglied im ZfP-Personalrat, über die Forderungen der laufenden Tarifverhandlungen, die besonderen Belastungen der ZfP-Beschäftigten und die Streikbereitschaft des Pflegepersonals: „Warnstreiks sind überfällig“, so der langjährige Gewerkschafter und Beschäftigten-Vertreter

Mit dem Warnstreik reagiert die Gewerkschaft ver.di auf die Weigerung der Arbeitgeber auch in der zweiten Verhandlungsrunde, überhaupt ein Angebot vorzulegen. Du warst mit einer ganzen Reihe von Kolleginnen und Kollegen von der Reichenau am Verhandlungsort in Potsdam…

…und haben versucht, den Arbeitgebervertretern um den Verhandlungsführer, Finanzminister Bullerjahn aus Sachsen-Anhalt, Druck zu machen. Doch die öffentlichen Arbeitgeber sind stur. Dabei geht es um gut 77 000 Landesangestellte allein in Baden-Württemberg. Wobei gerade die Beschäftigten der Zentren für Psychiatrie – beispielsweise auf der Reichenau, Bad Schussenried und Weissenau – neben der Gehaltsforderung noch besondere Anliegen haben.

Darum geht es bei den Tarifverhandlungen:
ver.di verhandelt gemeinsam mit der GEW, der GdP und dem Beamtenbund und fordert 6,5 Prozent mehr Lohn und Gehalt sowie die Erhöhung der Ausbildungsvergütungen um 100 Euro und die garantierte Übernahme der Auszubildenden. Neben der Sicherung des Urlaubs und der tariflichen Eingruppierung von Lehrerinnen und Lehrern will ver.di auch die Begrenzung befristeter Arbeitsverträge zum Thema der Verhandlungen mit der Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) machen. Darüber hinaus fordern die Gewerkschaften Zusatzurlaub für Beschäftigte in psychiatrischen Einrichtungen sowie  eine Erhöhung und Dynamisierung der Feuerwehrzulage und – im Bereich Theater und Bühnen – die Einbeziehung des technischen Personals mit künstlerischen Aufgaben in den Geltungsbereich des Länder-Tarifvertrags. Die dritte Verhandlungsrunde ist für den 7. und 8. März 2013 in Potsdam vereinbart.

Ihr fordert zwei Tage Zusatzurlaub für Beschäftigte in psychiatrischen Einrichtungen. Warum solche Sonderbehandlung?

Weil unser Job besonders anspruchsvoll ist. Vor allem im psychiatrischen Bereich. Anders als im normalen Krankenhaus, wo die Patienten nach Tagen oder spätestens Wochen wechseln, haben wir es mit Sucht- oder Psychiatriepatienten über Monate oder sogar Jahre zu tun. Die eben andere Anforderungen stellen als Kranke nach einer Blinddarmoperation. Dennoch verdienen die Schwestern und Pfleger im Klinikum Konstanz zum Beispiel, das ja von der Kommune und nicht vom Land finanziert wird, seit 2013 rund 100 Euro mehr pro Monat als wir.

Gemeint sind rund 260 Krankenpfleger und Gesundheitsschwestern unter den gut 700 ZfP-Beschäftigten, die zudem noch eine Sonderausbildung haben. Was verdient eine solche Vollzeitkraft? 

Als Vollzeitkraft geht man/frau mit durchschnittlich 2600 Euro monatlich nach Hause. Aber mehr als ein Drittel der Pfleger schafft den Vollzeitjob nicht mehr und arbeitet nur noch Teilzeit mit dann auch gehörigen Abschlägen. Von 30 bis 79 Prozent reicht die Arbeitszeit-Reduktion. Davon sind 15 Prozent Männer mit sinkendem Anteil, aber 80 Prozent Frauen betroffen, die überdies noch im Drei-Schicht-Betrieb schaffen.

Die Arbeitsbelastung also ist zu hoch. Darum die Forderung nach zwei Tagen Zusatzurlaub?

Richtig. Zumal die öffentlichen Arbeitgeber den Urlaubsanspruch schon jetzt von 30 auf 26 Tage schmälern wollen. Bei Neueinstellungen gibt es schon jetzt nur noch 26 Tage. Und hinzukommt der moralische Druck aufgrund der schmalen Stellenbesetzung. Bei Krankheitsausfällen müssen allzu oft Kolleginnen und Kollegen aus dem Urlaub geholt werden, um die Lücken zu schließen. Aber wir machen das, weil wir uns den Patienten verpflichtet fühlen.

Helfersyndrom gegen Selbstausbeutung, gesellschaftliche Verpflichtung gegen Tarifvertrag?

Genauso ist´s. Während unserer Aktion letzte Woche in Potsdam (s. Foto) haben wir auf Plakaten gefragt, was der Gesellschaft, was den Politikern die Betreuung der Kranken wert ist. Denn es geht ja viel mehr um die Kranken-Betreuung als um uns. Wir sind nur der, wenn man so will, soziale Treibriemen, der die Betreuung am Laufen hält.

Wir groß ist die Streik-Bereitschaft unter den ZfP-Beschäftigten? 

Die Stimmung auf der Reichenau ist, vorsichtig ausgedrückt, angespannt. Selbst Unorganisierte, Beschäftigte also, die nicht in der Gewerkschaft sind, wollen sich am Warnstreik kommenden Donnerstag beteiligen. Wir alle meinen: Warnstreiks sind überfällig. Und, wie wir hören, gilt das nicht nur für Beschäftigte in psychiatrischen Einrichtungen, sondern auch für Angestellte anderer Staatsbetriebe in Landesverantwortung.

Der Aufruf der Gewerkschaft ver.di zum Warnstreik geht auch an Universitäten und Studentenwerke, an Straßenmeistereien und Regierungspräsidien, an sogar das statistische Landesamt und viele weitere Dienststellen des Landes. Wie wir hören, wollen sich auch Uni-Angestellte in Konstanz beteiligen…

Und unsere Forderungen, die immerhin für über 77 000 Angestellte im Öffentlichen Dienst des Landes aufgestellt wurden, sollen auch von den annähernd 200 000 Beamten übernommen werden. So zumindest die Forderung der Gewerkschaft. Es geht also um die Verdienst- und Arbeitsbedingungen von fast 300 000 Menschen in Baden-Württemberg.

Wir wünschen euch viel Erfolg in diesem Kampf. Und vielen Dank für diese Informationen

Autor: hpk

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ZfP-Beschäftigte bei der Taifverhandlung in Potsdam