Was darf Theater-Kunst?

Der Streit um die Premiere von „Mein Kampf“ am Konstanzer Stadttheater ist längst nicht vorbei: Erstens, weil es noch mindestens 12 weitere Vorstellungen bis zum 23. Mai geben wird. Zweitens, weil neue Briefe mit neuen Fragen kursieren, und drittens, weil morgen ein erhellendes Interview mit einer gescheiten Frau auf seemoz zu dem Thema erscheinen wird. Und schließlich hat sich das Theater direkt an sein Publikum gewendet; wir dokumentieren die Erklärung im Anschluss.

In einem Schreiben beschwert sich Intendant Christoph Nix bei Bürgermeister Andreas Osner. Der hatte offensichtlich im Stadttheater nachgefragt, ohne Nix zu informieren. Also antwortet Nix: Nein, es gebe keine Abo-Kündigungen aufgrund der „Mein Kampf“-Premiere. Ja, es gebe 14 Beschwerden, die allesamt beantwortet wurden. Und ja, es habe vier Zuschauer gegeben, die ihre Premieren-Karten zurück gegeben hatten. Und überhaupt läge die Zahl der Abonnements-Kündigungen bislang weit unter Durchschnitt der Vorjahre. Nach seemoz-Informationen erfolgte bislang keine Antwort auf diesen Brief.

Gleichzeitig wendet sich das Theater in dieser Sache nochmals an sein Publikum.


Lob dem Publikum

„Mit der Inszenierung von Mein Kampf in der Regie von Serdar Somuncu hat das Theater Konstanz eine Debatte angestoßen, über Erinnerungskultur und die Frage: Was darf die Kunst? Allenthalben wird das Theater gepriesen von Bürgermeistern und Kulturbeflissenen als ein Ort, der aufrütteln und provozieren soll. Doch kommt es zu Dissens und echtem Meinungsstreit, dann flüchtet man sich schnell zurück in den heimeligen Hafen der wohlfeilen Gemeinplätze.

Kulturbürgermeister Andreas Osner distanzierte sich schon im Vorfeld – ohne Kenntnis der Inszenierung. Am Abend der Premiere trat er vor die versammelten Kameras, um seinen Boykott auszudrücken, und jedes freie Mikrofon zu nutzen, denn diese Inszenierung sei die größte Schande für die Stadt, die er je erlebt habe. Dies also ist die größte Schande für die Stadt? Ein Theaterstück? Hier hat Herr Osner weder das Stück, noch die Inszenierung auch nur im Ansatz verstanden. Wie auch? – er hat die Inszenierung ja bis heute nicht gesehen. Nie ist er in Dialog mit den Künstlern oder dem Theater getreten, um sich zu informieren. Stattdessen schließt er sich der aufgeregten Diskussionskultur des Zeitalters von fake news an, die der Politik schadet. Ignorante Vorverurteilung hilft niemandem weiter und schon gar nicht einer differenzierten Debatte.

Im Vorfeld bekam das Theater Konstanz viel Kritik, aber auch viel Zuspruch, von Menschen verschiedenster Religionen, von Menschen aus verschiedensten Lebenslagen und Altersstufen. Viele Zuschauerinnen und Zuschauer haben sich nicht reflexhaft der Abwehr hingegeben, sondern sich auseinandergesetzt, argumentiert, gerieben an der Inszenierung. Das Theater hat eine Debatte in Gang gesetzt wie wir, besonders über Generationen hinweg, umgehen mit der Erinnerung an die Verbrechen der Nazizeit und welche Handlungsmaximen für unsere heutige Zeit daraus erwachsen.

Am Freitag der Premiere sah man im Foyer eine ganze Reihe Zuschauer mit selbstgebastelten Schildern: „Freischwimmer“ „Ich habe meine Karte bezahlt“ oder auch „Nix da“. Hier hat das Publikum reagiert: Wenn das Theater sie vor eine unmögliche Wahl stellt, dann machen sie nicht mit. Punkt. Das ist der Kern von eigenverantwortlichem Denken und Mut. Man hat immer eine Wahl, und wenn Du vor eine unmögliche gestellt wirst, dann spiel das Spiel nicht mit! So sieht Auseinandersetzung, so sieht Verantwortung aus. Wir sind stolz auf unser wunderbares Publikum.“

Theater Konstanz