Was ist eigentlich „Zweckentfremdung“ von Wohnraum?

Brauneggerstraße 25: Nur eines von mehreren leerstehenden Häusern in der Stadt.

Spätestens seit dem staatlicherseits rüde beendeten Versuch, ein leerstehendes Haus in der Markgrafenstraße wieder seinem Zweck zuzuführen, ist das Verbot solcher Zweckentfremdung wieder in aller Munde. Leere Behausungen sind wegen ihrer Knappheit in Konstanz untragbar, und doch gibt es sie in allen Stadtquartieren. Diesem Umstand soll durch das Zweckentfremdungsverbot entgegengesteuert werden. Aber was ist das eigentlich genau? Welche Folgen haben Verstöße dagegen? Und: Wo greift dieses Verbot nicht? Unser Gastautor, Jurist und Stadtrat, bringt Licht ins Paragrafen-Dunkel und zeigt auf, warum nachgebessert werden muss.

Das Zweckentfremdungsverbotsgesetz

2013 erließ das Land Baden-Württemberg das verfassungsgemäße[1] Zweckentfremdungsverbotsgesetz (abgekürzt ZwEWG). Laut Paragraf 1 dieses Gesetzes gilt es für „Gemeinden, in denen die Versorgung der Bevölkerung mit ausreichendem Wohnraum zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet ist. Eine Gemeinde fällt also nicht schon dann unter das Gesetz, wenn für die Bevölkerung kein ausreichender Wohnraum vorhanden ist, weil die Nachfrage das Angebot längerfristig übersteigt[2], sondern, wenn die Nachfrage besonders stark über dem Angebot liegt. In teuren Städten wie Konstanz, Mannheim, Stuttgart oder Karlsruhe reicht es aber nicht aus, lauter Luxusbauten zu errichten. „Angemessene Bedingungen“ müssen her. Konstanz fällt mit seinen zahlreichen Härtefällen auf der Warteliste der WOBAK eindeutig unter den Anwendungsbereich des Gesetzes[3].

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Diese Gemeinden mit Wohnraummangel können gemäß Paragraf 2 eine Satzung erlassen, die Zweckentfremdung genehmigungspflichtig macht. Zweckentfremdung liegt vor, wenn Wohnraum „überwiegend anderen als Wohnzwecken zugeführt“ wird –wenn also aus einer Wohnung etwas anderes als eine Wohnung gemacht wird. Das Gesetz zählt dazu spezifische Fälle auf, die Zweckentfremdungen darstellen. Dazu gehört, eine Wohnung in einen Gewerberaum umzuwandeln oder eine Ferienwohnung daraus zu machen. Insbesondere liegt aber eine Zweckentfremdung vor, wenn Wohnraum länger als sechs Monate leer steht. Eine Wohnung herunterkommen zu lassen, kann damit genehmigungspflichtig werden.

Die Stadt Konstanz hat eine solche Zweckentfremdungsverbotssatzung erlassen[4]. Deswegen ist es im Grundsatz nur erlaubt, Wohnraum umzuwandeln oder leer stehen zu lassen, wenn dafür eine Genehmigung vorliegt. Diese kann nur in engen Grenzen erteilt werden, beispielsweise, wenn der Antragssteller Ersatzwohnraum schafft, ein in Konstanz rein hypothetischer Fall. Wohnungsleerstand kann darüber hinaus durch besondere persönliche Umstände gerechtfertigt sein – damit sollen Sonderkonstellationen abgefedert werden; man denke beispielsweise an eine alte Person, die zunächst vorübergehend in ein Pflegeheim umzieht, deren Aufenthalt dort sich aber unerwartet verlängert.

Konsequenzen eines Verstoßes

Wer Wohnraum zweckentfremdet, ohne dafür eine Genehmigung zu haben, der verhält sich ordnungswidrig. Gem. Paragraf 5 Absatz 2 ZwEG kann diese Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße von bis zu 50.000 Euro geahndet werden. Das klingt für sich genommen erst einmal wenig – wir reden ja schließlich über Immobilienbesitzer*innen. Allerdings kann, wenn die Zweckentfremdung fortgesetzt wird, die Geldbuße immer wieder verhängt werden – solange, bis es wehtut.

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Darüber hinaus ist ein Verstoß gegen eine Zweckentfremdungssatzung ein Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit im Sinne des Polizeigesetzes. Das heißt: Die Polizei, konkret die Ortspolizeibehörde[5], kann anordnen, eine Zweckentfremdung von Wohnraum zu beenden und diese Anordnung erzwingen. Damit können zum Beispiel illegale Ferienwohnungen von den einschlägigen Internetseiten (AirBnB, Booking.com etc.) gelöscht oder in besonderen Fällen Personen in leerstehende Räume eingewiesen und der Eigentümer zur Duldung dieser Einweisung verpflichtet werden. In anderen Bundesländern gibt es dafür genauere Vorschriften – leider hat Stuttgart sich hierzu noch nicht durchringen können.

Stärken des Zweckentfremdungsverbots

Wir können also festhalten: Eine Wohnung ihrem Zweck zu entfremden wird teuer und eröffnet der Ortspolizeibehörde weitgehende Möglichkeiten, dagegen vorzugehen. Das Gesetz bietet damit eine der wenigen Handlungsmöglichkeiten, Leerstand und Wohnungsmissbrauch entgegenzuwirken. Damit kann Spekulation bekämpft werden – in Städten wie Konstanz dringend nötig! Darüber hinaus bietet es den Kommunen eigene Entscheidungsfreiheit. Will ich eine Zweckentfremdungssatzung? Verlasse ich mich auf die Wirkung von Bußgeldern oder gehe ich als Ortspolizeibehörde direkt gegen einzelnen Wohnungsleerstand vor? Damit können im Einzelfall verhältnismäßige, aber effektive Lösungen gefunden werden.

Schwächen des Zweckentfremdungsverbots

Aber ich muss ein wenig Wasser in den Wein schütten: Das Zweckentfremdungsverbot hat auch Nachteile. Leider regelt das ZwEWG, anders als in anderen Bundesländern, keine konkreten Handlungsmöglichkeiten. Wenn sich etwa eine Kommune entscheidet, eine betroffene Wohnung direkt dem Wohnungsmarkt zuzuführen, eröffnen sich erhebliche Streitpotentiale. Darüber hinaus ist es schwierig, überhaupt erst einmal zu ermitteln, ob eine Wohnung zweckentfremdet wird. Dabei ist AirBnB eine besondere Nuss für die Verwaltung: Obwohl hunderte Wohnungen in Konstanz vorübergehend und kurzfristig als Ferienwohnungen auf der Plattform angeboten werden, kann die Stadtverwaltung nicht einfach die Einträge auf dem Portal als Beleg verwenden. Wo die Ferienwohnung ist, teilt AirBnB immer erst nach der Buchung mit. Darüber hinaus muss eine Wohnung jedenfalls eine gewisse Zeit beziehungsweise wiederholt als Ferienwohnung genutzt werden, um im Sinne des Gesetzes das Kriterium einer gewerbliche Beherbergung zu erfüllen. Leider muss AirBnB diese Daten auch nicht herausgeben[6].

Größtes Manko jedoch: Nirgendwo steht, was genau „Wohnraum“ ist. Jetzt wird jeder vernünftige Mensch sagen: Ist doch klar – eine Wohnung eben. Doch wir wären keine Jurist*innen, wenn uns dazu keine Probleme einfielen. Tatsächlich ist die Frage, wann eine Wohnung eine Wohnung ist, eines der größten Schwierigkeiten rund um das Zweckentfremdungsverbot.

Die Zweckentfremdungssatzung in Konstanz regelt dazu in Paragraf 3 Absatz 1 Folgendes: „Wohnraum im Sinne der Satzung sind sämtliche Räume, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Satzung zur dauerhaften Wohnnutzung objektiv geeignet und subjektiv durch die/den Verfügungsberechtigte(n) dazu bestimmt sind.“ Das heißt: Eine Wohnung ist, was objektiv zum Wohnen geeignet ist (1), von dem der Eigentümer auch will, dass man darin wohnt (2) und das schon so war, als die Satzung erlassen wurde (3). Nach Paragraf 3 Absatz 3 Satz 2 der Konstanzer Satzung ist kein Wohnraum, „der Raum [der] bereits vor dem Inkrafttreten des Zweckentfremdungsverbotsgesetzes und seitdem ohne Unterbrechung in genehmigter Weise[7] anderen als Wohnzwecken diente“.

Diese Lösung ist kein Konstanzer Einzelfall, sondern wird in vielen baden-württembergischen Städten so praktiziert[8]. Die Formulierung geht zurück auf eine Definition des Landesgesetzgebers. Der führte in seiner Gesetzesbegründung aus: „Wohnraum im Sinne von Absatz 1 Satz 1 erfasst Wohnungen, die bei Inkrafttreten des Zweckentfremdungsverbots dem Wohnungsmarkt für dauerhaftes Wohnen zur Verfügung standen.“[9] Will sagen: Wohnung ist (nur), was dem Markt als Wohnung zur Verfügung stand, nicht mehr und nicht weniger.

Damit scheiden alle Altfälle aus dem Anwendungsbereich der Zweckentfremdungssatzung aus. Also: Ist der Leerstand älter als die Zweckentfremdungssatzung selbst – das heißt, stand die Wohnung schon beim Erlass der Zweckentfremdungssatzung leer – so ist es keine Wohnung im rechtlichen Sinne und damit liegt auch keine Zweckentfremdung vor. Blöd ist insbesondere, dass die Satzung maximal fünf Jahre gelten darf (Paragraf 2 Absatz 1 Satz 1 ZwEWG) und damit alle fünf Jahre neu erlassen werden muss. D.h. alles, was zu diesem (neuen) Zeitpunkt nach dem Willen des Eigentümers keine Wohnung ist, ist dann für die Zukunft keine Wohnung mehr.

Komisch? Absolut. Zwingend? Keinesfalls. Die Berliner Gesetzesfassung hat das Problem klüger gelöst: Dort ist jede Räumlichkeit, die zur dauernden Wohnnutzung geeignet ist, Wohnraum, wenn sie nicht explizit zu anderen Zwecken errichtet und bei Inkrafttreten der Satzung genutzt wurde.[10] So eine Regelung bräuchten wir meines Erachtens auch in Baden-Württemberg, dringend. Denn ehrlich gesagt: Wer ist schon so doof und fängt spontan an, seine Wohnung leer stehen zu lassen, wenn nicht schon zu Spekulationszwecken gebaut wird? Ist Wohnungsspekulation etwa weniger schlimm, wenn sie schon ganz lang erfolgte? Ich sage: Stuttgart, nachbessern.

Simon Pschorr


Fußnoten

[1] Discher, Die Rechtsprechung zum Zweckentfremdungsrecht im Jahr 2016 – Teil 1, ZfIR 2017, 433, 434; a.A. Heinemann, Die Verfassungswidrigkeit der Zweckentfremdungsverbotsgesetze der Länder, NVwZ 2019, 1070.
[2] VGH Mannheim NVwZ-RR 2018, 511 Rn. 12 zu § 56 LBO.
[3] Wobei den Kommunen da ein weiter Beurteilungsspielraum zusteht LT-Drs. 15/4277, S. 9.
[4] Zu finden unter: https://www.konstanz.de/site/Konstanz/get/documents_E1720419761/konstanz/Dateien/Service/Ortsrecht/VI%20Bauwesen/VI_09%20Satzung%20der%20Stadt%20Konstanz%20über%20das%20Verbot%20der%20Zweckentfremdung%20von%20Wohnraum%20in%20der%20Stadt%20Konstanz.pdf.
[5] VG Freiburg, Beschluss vom 17. April 2020 – 4 K 4710/19 –, juris, dort insb. Rn. 63 ff. mwN.
[6] BayVGH ZD-Aktuell 2019, 06755.
[7] Diese Formulierung steht m.E. im Widerspruch zu § 3 Abs. 1 der Satzung: Wenn es bei Inkrafttreten der Satzung schon keine Widmung als Wohnraum gab, so bestand zu keinem Zeitpunkt eine Genehmigungspflicht und auch keine Genehmigungsmöglichkeit. Ich denke, da sollte ein „oder“ stehen.
[8] Vgl. Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 26. Januar 2017 – 5 S 1791/16 –, juris, Rn. 23; VG Freiburg, Beschluss vom 11. Juli 2016 – 4 K 1586/16 –, juris, Rn. 23; VG Freiburg, Beschluss vom 17. April 2020 – 4 K 4710/19 –, juris, Rn. 67.
[9] LT-Drs. 15/4277, S. 10.
[10] Discher, Die Rechtsprechung zum Zweckentfremdungsrecht im Jahr 2016 – Teil 1, ZfIR 2017, 433, 439.