Was nun, gebeutelte Herren Lutz und Rau?

Mit ihrer Vorgehensweise in der Personalie Michael Lünstroth haben Chefredakteur Stefan Lutz und Lokalchef und Regionalleiter Jörg-Peter Rau dem Südkurier schweren Schaden zugefügt. Bundesweit wird seit Tagen über den Presseskandal am Bodensee und den massiven Glaubwürdigkeitsverlust der Tageszeitung vor Ort berichtet. Ein Ende der grundsätzlichen Debatte ist nicht in Sicht und das ist auch gut so.

Vor allem Stefan Lutz hat sich gewaltig getäuscht. Er ging davon aus, die Berichterstattung auf seemoz über das Schreibverbot und die Abmahnung für Lünstroth würde nur wenige Interessierte erreichen und könnte somit getrost vernachlässigt werden. Doch das Gegenteil trat ein: Kontext aus Stuttgart übernahm das Thema, transportierte es weit über die baden-württembergischen Grenzen hinaus und viele andere schlossen sich an. Der allgemeine Presse-Tenor war und ist vernichtend. Der Südkurier, so die Einschätzung fast aller Medien, habe im eigenen Haus die Presse- und Meinungsfreiheit untergraben und sich somit unglaubwürdig gemacht. Normalerweise spricht man dabei von Geschäftsschädigung und die Verursacher werden zur Rechenschaft gezogen. Normalerweise. Lutz und Rau dürfen für sich auch in Anspruch nehmen, Öl ins Feuer derer gegossen zu haben, die mit dem Begriff „Lügenpresse“ durch die Lande ziehen.

Was auf seemoz kürzlich nachzulesen war, hat sich mittlerweile bewahrheitet: Das Schreibverbot für Michael Lünstroth wurde aufgehoben, er darf seit einigen Tagen wieder unter seinem Namen veröffentlichen. Noch aber wird die Abmahnung aufrecht erhalten, die der Redakteur erhalten hat, weil er angeblich bei der Berichterstattung über das Scala seine „Sorgfaltspflicht“ verletzt haben soll. Aber auch dieser Vorwurf steht auf sehr wackligen Beinen, denn dem Vernehmen nach hat ein erfahrener Desktop-Redakteur den im Nachhinein beanstandeten Text gegengelesen und abgesegnet. Grund genug also, die offensichtlich zu Unrecht verhängte Abmahnung auf der Stelle zurückzunehmen. Somit stehen Lutz und auch Rau mit dem Rücken zur Wand. Haben sie soviel Restcharakter, ihren Fehler öffentlich einzugestehen?

Dass Michael Lünstroth darauf pochen wird, ist anzunehmen. Auskunft darüber gibt er verständlicherweise nicht, denn es ist durchaus möglich, dass es in dieser Frage noch zu einer arbeitsrechtlichen Auseinandersetzung kommt. Die vielen Unterstützungsbekundungen von Südkurier-LeserInnen und aus dem KollegInnenkreis stärken sicher seine Position. Ob er aber seine journalistische Zukunft noch beim Südkurier sieht, muss abgewartet werden. Wer von seinen direkten Vorgesetzten derart unsolidarisch zum Abschuss freigegeben wird, hat allen Grund, ernsthaft über seinen weiteren beruflichen Werdegang nachzudenken. Aber noch ist es nicht soweit.

Auffällig ist, dass sich vor allem die politische Konstanzer Kaste, abgesehen von wenigen Ausnahmen, mit Kritik am Meinungsmacher Nummer Eins lieber zurück hält. Dafür gibt es mehrere Gründe: Ein Großteil der politisch Agierenden bezieht seine kommunalpolitischen Informationen fast ausschließlich über den Südkurier, und da dieser seinen hausgemachten Presseskandal mit keinem Wort erwähnt, ist er zu vielen Südkurier-LeserInnen auch noch nicht durchgedrungen. Andere, darunter vorrangig GemeinderätInnen, die sehr wohl Bescheid wissen, handeln lieber nach dem Prinzip der drei Affen: Nichts hören, nichts sehen und nichts sagen. Sie sind meist zufrieden, wenn sie bei ihrer Frühstückslektüre ab und zu ihren Namen in der Zeitung lesen oder sogar mit einem mageren Sätzchen zitiert werden. Mehrere geben das auf Anfrage unter dem Siegel der absoluten Verschwiegenheit auch ganz offen zu. „Die Geschichte mit dem Lünstroth ist zwar eine Schweinerei, aber wir wollen es uns nicht völlig mit dem Südkurier verderben“.

Ähnlich verhält sich dem Anschein nach auch der Südkurier-Betriebsrat. Vor knapp zwei Wochen hat die Gesamtbetriebsratsvorsitzende Birgit Orlowski gegenüber seemoz erklärt, dass man in Absprache mit der Geschäftsführung zum Fall Lünstroth „absolutes Stillschweigen“ vereinbart habe. Das gilt wohl weiterhin und somit stellt sich unweigerlich die Frage: Wozu braucht man dann noch einen Betriebsrat?

H. Reile