Was sagen die Fraktionen zur OB-Attacke?
seemoz fragte – (fast) alle Fraktionen antworteten. Nachdem die Linke Liste Konstanz (LLK) sich bereits wenige Tage nach der Verbalattacke des OBs auf Holger Reile vor ihren Stadtrat gestellt hatte (seemoz berichtete), fragten wir bei den übrigen Fraktionen im Konstanzer Gemeinderat nach. Die Reaktionen von Freien Wählern und SPD ließen nicht lange auf sich warten, die FGL brauchte eine Fraktionssitzung, um ihren Standpunkt zu formulieren, FDP und Junges Forum antworteten trotz nochmaliger Nachfrage nicht. Dass eine Stellungnahme der CDU gänzlich ausblieb, wundert uns allerdings nicht. Die Antworten im Wortlaut:
Jürgen Ruff (SPD): Stadträte haben die Pflicht, die Verwaltung zu kontrollieren
Oberbürgermeister Uli Burchardt wirft Stadtrat Holger Reile (Linke Liste) vor, der Stadt vorsätzlich zu schaden und damit gegen seine Pflichten als Stadtrat zu verstoßen. Dies wolle er rechtlich prüfen lassen. Dabei hat der Oberbürgermeister kurz aus einem Handbuch für Gemeinderäte zitiert. Er hätte besser daran getan, sich aus der Gemeindeordnung zu informieren.
Dann tun wir es:
Die Gemeindeordnung sagt: Der Gemeinderat ist die Vertretung der Bürger und somit das Hauptorgan der Gemeinde. Er entscheidet über Grundsatzfragen der Kommunalpolitik und hat die Aufgabe, Bürgermeister und Verwaltung zu kontrollieren. Treten Missstände auf, so hat der Gemeinderat auf ihre Beseitigung hinzuwirken. Zu den Pflichten der Stadträte gehört es, ihr Amt „uneigennützig und verantwortungsbewusst zu führen.“ Selbstverständlich steht auch Stadträten das Recht auf freie Meinungsäußerung zu.
Unseres Erachtens würde der Oberbürgermeister bei einer rechtlichen Auseinandersetzung scheitern. Das ist auch gut so. Die Gemeindeordnung verpflichtet Stadträte nämlich nicht dazu, zu allem Ja zu sagen. Und alle Stadträte haben nicht nur das Recht, über Kommunalpolitik zu informieren, Entscheidungen zu kommentieren und auch zu spotten. Es ist geradezu ihre Pflicht, Kritik zu üben. Dabei ist es unerheblich, ob es dem Oberbürgermeister oder bestimmten Gruppen im Rat oder in der Stadt gefällt.
Viele Bürger sehen in der Mitteilung, zu der der Oberbürgermeister nicht einmal Wortmeldungen zugelassen hat, einen Einschüchterungsversuch. Uli Burchardt hat damit weder sich persönlich noch der kommunalen Demokratie einen Dienst erweisen. Im Gegenteil!
Stellungnahme der Freien Wähler:
„Wir wissen nicht, ob das Verhalten von Stadtrat Reile rechtlich anfechtbar ist, wir wissen auch nicht, ob der Oberbürgermeister wirklich rechtliche Schritte einleiten wird. Allerdings müssen wir Stadtrat Reile zugute halten, dass er von Anfang an gegen die Investition in ein Tagungshaus war und sich durch die mehr als ärgerlichen Entwicklungen der letzten Zeit nun bestätigt sieht. Der Oberbürgermeister hingegen hat unbenommen davon die Pflicht, den Erfolg des Hauses als Ziel zu proklamieren und für diesen Erfolg auch alles zu tun. Eindeutig wurden im Bodenseeforum große Fehler gemacht – allerdings halten wir auch den Artikel von Holger Reile nicht für glücklich. Er ist zwar unter der Überschrift „schräg&schrill“ zu finden, doch er ist keine wirklich gelungene Satire und als solche für Menschen, die nicht aus unserer Region stammen, auch nicht ohne weiteres zu erkennen. Da ist der Ärger zu verstehen, wenn potenzielle Kunden des Hauses sich beim Geschäftsführer melden, um zu fragen, ob an den Schließungsgerüchten etwas dran sei und ob ihre Veranstaltungen denn noch stattfinden werden.
Wir empfehlen den streitenden Akteuren, sich so schnell als möglich zu einem persönlichen Gespräch zu treffen, damit beide ihre Sichtweisen im geschützten Rahmen austauschen können, die des Stadtoberhauptes, der um den Erfolg des Hauses kämpfen muss, und die des Journalisten, der die Entwicklung jederzeit kritisch verfolgen können muss.“
Für die Freien Wähler Dr. Ewald Weisschedel und Anselm Venedey
Vorwürfe Oberbürgermeister Burchardts gegenüber Holger Reile
Der Vorstand der FGL nimmt in einer Pressemitteilung Stellung zu den Vorwürfen des OBs:
Die FGL kritisiert die öffentlich während der jüngsten Gemeinderatssitzung ausgesprochene Drohung des OB, gegen Stadtrat Reile ‚vorgehen‘ zu wollen, wegen dessen kürzlich auf seemoz.eu veröffentlichten Glosse. Die Glosse kritisierte in sarkastischer Form die dramatische wirtschaftliche Krise des von der Stadt gegründeten Tagungszentrums.
Kritik am Verwaltungshandeln ist typische Aufgabe der Stadträte und kann keinesfalls unter ‚Untreue‘ subsumiert werden. OB Burchardt sollte sich bewusst machen, bzw. dahingehend beraten lassen, dass Stadträte, die nach ihrer durch Rücksicht auf das öffentliche Wohl bestimmten Überzeugung handeln, nach der Gemeindeordnung vollständigen Schutz vor solchen Angriffen genießen.
Der Vorstand der FGL
Das Fegefeuer ist unausweichlich und exklusiv nur in Zeiten der hochheiligen Feierlichkeiten zum Konstanzer Konzil wiederholbar. Ganz schön clever von unserem OB, jetzt den Reile auf dem bewährten Altar des Jan Hus zu opfern. Das Feuer, es röste letztendlich den Richtigen! Einziges Problem für den OB – die rigiden Brandschutzvorschriften – da kennt das Landratsamt kein Grüß Gott! Ablass jedoch ist jederzeit flexibel verhandelbar…
Das berüchtigte kommunistische Konstanzer Gemeinderatsmitglied Reile wurde in Prag gesichtet. Dem Vernehmen nach habe er sich aus Sorge um Leib und Leben abgesetzt. Die Ratsmehrheit hingegen erwartet ihn zu einer öffentlichen Rechtfertigung seiner als Unbotmäßigkeit empfundenen Kritik am Stadtoberhaupt und an Entscheidungen des hochwohllöblichen Stadtrats. Man sichere ihm selbstverständlich freies Geleit zu.
Das Verfahren soll im Bodenseeforum stattfinden. Die Veranstaltung wird bereits intensiv beworben.
Nun, die Glosse, die hier der Stein des Anstosses war, war nicht besonders gelungen in meinen Augen, im Gegensatz zu manch anderen unter „Schräg und schrill“. Die Reaktion des OBs ist jedoch nicht nur überzogen, sondern für die Stadt schädigend. Es ist auch nicht der erste Versuch gegen unliebsame Veröffentlichungen vorzugehen, Causa Lünstroht lässt grüssen.
Die Reaktion des OBs ist nicht nur einfach schlechter Stil, sie zeigt auch, wie wenig souverän unser Stadtoberhaupt agiert. Ich hätte mir für unsere Stadt Besseres gewünscht.
Herr Reile ist ein ausgezeichneter Journalist und als solcher auch stadtbekannt. Es ist traurig, dass ein OB eine Satire nicht erkennt und mit juristischen Mitteln droht. Hat die Trump’sche Art hier schon Einzug gehalten? Oder warum wird ein Stadtrat mit evtl. Konsequenzen bedroht?
Eine Frage sei mir gestattet: „Wer kommt eigentlich für die Verschwendung unserer Steuergelder auf, die durch die personellen Fehlentscheidungen mit Millionen Abfindungen entstanden sind?“ Kein Privatunternehmer kann sich eine derartige personelle Fehlentscheidung leisten. Der hätte schon lange Insolvenz anmelden müssen. Das ist übrigens keine Satire, sondern traurige Realität.
Ha, erwischt…
Dem Herrn Schmeding ist es „im Jahr der Bundestagwahl… wichtiger denn je, unsere Werte zu verteidigen.“
Ach, sonst weniger wichtig? Schönen Dank für den tiefen Einblick. War zwar schon immer klar, aber einer muß es ja mal aussprechen.
Ich kenne Holger Reile jetzt eine ganze Weile. Häufig bin ich nicht seiner Meinung und es ist in der politischen/journalistischen Arbeit auch nicht immer einfach mit ihm. Aber ich schätze ihn als Kommunalpolitiker und als Journalist. Vielen Leser*innen des Seemoz wird es ähnlich gehen: In unserer Twitter-Demokratie zählen fast nur Überschriften ohne Tiefgang, Oberflächlichkeit, statt journalistischer Recherche. Holger Reile ist sowohl als Kommunalpolitiker als auch als Journalist unbequem. Der von mir sehr geschätzte Autor Wolfgang Schorlau sagte vor einiger Zeit auf einer Veranstaltung in Singen, dass Medien in unserer Gesellschaft eine Art vierte Gewalt mit wichtiger Kontrollfunktion sind. Genau das ist richtig und trifft sehr auf die „Kausa Reile“ zu.
Der deutsche Bundestag beschloss kürzlich eine Empfehlung an die UNO, einen UNO-Beauftragten für Journalist*innenrechte einzurichten bzw. zu ernennen. Dies angesichts der zunehmenden weltweiten Gewalt gegen sie. Unbequeme, die Finger in den wunden Punkt legende Journalist*innen mit fragwürdigen Rechtsmanövern zu bedrohen, ist ein Stil der Kohlschen Ära der 80er und 90er Jahre, wo Politiker wie Theo Waigel kritischen Journalisten regelmäßig mit der Rechtskeule des „Schadens für unser Land“ gekommen sind.
Es bleibt sachlich, nüchtern und objektiv in Konstanz festzustellen, dass der einzige Schaden für die Stadt, der bisher festgestellt werden kann, derjenige ist, dass die Anlaufkosten eines (zumindest fragwürdigen) Tagungs- und Seminarzentrums mit Stadthallen-Charakter völlig aus den Rudern laufen und mit dieser Situation seitens der Führung der Stadtverwaltung nicht von Anfang an offen und transparent umgegangen worden ist. Einerseits Millionen für ein Tagungszentrum (gestattet mir es etwas überspitzt zu formulieren) „zum Fenster hinaus zu werfen“ und andererseits die Kindergärten-Gebühren für die Eltern deutlich zu erhöhen, zeigt nach meiner persönlichen Ansicht, wie falsch die politischen Prioritäten in Konstanz (in vielen Bereichen) seitens der Verwaltungsspitze (und anderer) gesetzt werden.
Bitte halten wir Meinungsverschiedenheiten aus, auch wenn sie sehr deutlich und tief sind. Wenn das Verhalten von Holger Reile „stadtschädigend“ war, dann ist die wirtschaftliche Führung des Bodenseeforums grob fahrlässige Verschwendung öffentlicher Gelder. Beides ist Blödsinn. Satire ist Teil des Journalismus und muss dies auch bleiben.
Im Jahr der Bundestagwahl ist es wichtiger denn je, unsere Werte zu verteidigen. Ich als Kandidat und (sicherlich auch meine Partei) Bündnis 90/Die GRÜNEN stehen der Vorgehensweise des Oberbürgermeisters kritisch gegenüber und bekunden unsere Solidarität mit der Person & der Arbeit von Holger Reile.
Martin Schmeding, Singen
Bundestagskandidat Bündnis 90/Die Grünen
Wahlkreis Konstanz
Stichwort Fasnacht: Wie werden denn künftig die närrischen Beiträge vom Oberbürgermeister eingestuft, die sich über unsere Stadtpolitik lustig machen? Müssen diese künftig vorab der Stadtführung vorgelegt werden, um einen möglichen Image-Schaden fernzuhalten? ‚Fasnacht‘ ist schließlich ein Begriff, den nicht jeder kennt, und auch solche Beiträge werden bei Goggle gefunden ohne den Hinweis, dass es sich um Satire handelt. Wie also umgehen mit den zu erwartenden närrischen Beiträgen rund um das Bodenseeforum oder anderer Themen unserer Stadt, Herr Burchardt, wenn für Sie Suchmaschinen-Einträge Maßstab ist, was inhaltlich über die Stadt publiziert wird?
Hat einer aus dem Geheimdienstkontrollgremium geleakt? Oder warum vergreift sich ein OBengel aus unserer schönen Provinz so im Ton? Schuld sind die Medien. Weniger Senatsanhörungen über russische Hacker auf Foxnews glotzen könnt helfen.
Wie man politisch zu Holger Reile steht, ist eine Sache. Daß sich aber
ausgerechnet die sonst so fastnachtsnarrenlastige CDU eines
Kommentars enthält, enttäuscht mich. Vielleicht hätte Reile
seine Satire im „reim dich oder ich freß dich“ Stil der Konstanzer Konzilfastnacht schreiben sollen, damit sie in der „Wiege der alemannischen Fastnacht“auch von jenen als Glosse verstanden wird, deren Humor offenbar nur vom 11.11. bis zum Aschermittwoch reicht. Da kann man nur noch „Gottfried Stutz“sagen. Wäre noch interessant zu erfahren, ob man auch Ben Becker aufgrund seiner Äußerungen zum BOFO mit Klage gedroht hat.