Was taugt der Kündigungsschutz den Siemens-Beschäftigten?
Der Konstanzer Siemens-Betriebsrat hatte es längst befürchtet: Wie dem Wirtschaftsausschuss mitgeteilt wurde, plant Siemens den Verkauf der LAS-Sparte. In einem Brief an die Mitarbeiter kündigt Strandort-Geschäftsführer Jörg Ernst ominöse „Personalanpassungen“ an, die den Bereich Postautomatisierung am Standort Konstanz treffen werden. Betriebsräte und Beschäftigte sind schockiert und rebellieren
In einer Mitarbeiter-Versammlung der Konstanzer Siemens-Geschäftsleitung Donnerstag-Nachmittag, zu der weder Gewerkschaftsvertreter noch Journalisten zugelassen waren, gab es allerdings keine konkreten Informationen. Weder Sektionsleiter Sami Atiya noch der erst seit Juni im Amt befindliche Standort-Chef Jörg Ernst mochten etwas zu Kauf-Interessenten oder Arbeitsplatz-Abbau-Plänen oder Zeitplänen sagen: „Bla-bla“ schimpften die Beschäftigten, und der Betriebsrat überlegt jetzt weitere Aktionen: „Die Gewerkschaftsmitglieder im Betrieb werden über Maßnahmen der Gegenwehr entscheiden“. Auf jeden Fall wird es Anfang nächster Woche eine neue Betriebsversammlung unter Leitung des Betriebsrates geben, in der die ‚Route des Widerstandes‘ beratschlagt wird.
Ende des Kündigungsschutzes?
Claus Schweijäck, Betriebsratsvorsitzender in der Bücklestraße (links im Foto), ist noch aus einem anderen Grund stinksauer: Gleichzeitig mit der Information des betriebsrätlichen Wirtschaftsausschusses vorgestern in München wurde die Presse informiert und von der Geschäftsleitung der Eindruck erweckt, als sei der Verkauf der Konstanzer Geschäftssparte (Briefpostautomatisierung und Gepäckbeförderung auf Flughäfen) bereits in trockenen Tüchern: „Ein eindeutiger Verstoß gegen das Betriebsverfassungsgesetz, das zunächst eine ernsthafte Beratung im Wirtschaftsausschuss vorschreibt“, so Raoul Ulbrich, zweiter Bevollmächtigter der IG Metall (Bildmitte) und Gewerkschaftsbetreuer der Konstanzer Siemens-KollegInnen. „Mit dieser Missachtung der Mitbestimmungsrechte verabschiedet sich das Siemens-Management von der bisherigen vertrauensvollen Zusammenarbeit“.
Ein Verkauf der Konstanzer Siemens-Filiale würde wohl auch den Kündigungsschutz für die gut 900 Beschäftigten in Konstanz außer Kraft setzen. Wenn die Konkurrenz aus Frankreich, Italien oder Japan das zuletzt kränkelnde Konstanzer Geschäft übernimmt, dürfte der per Konzernbetriebsvereinbarung vereinbarte, unbefristete Kündigungsschutz für alle Siemens-Mitarbeiter – so die Gesetzeslage – nach spätestens einem Jahr auslaufen. Mehr noch: Die Arbeitnehmer-Vertreter, so Volker Schmitz (im Foto rechts), befürchten, dass rechtzeitig vor einer solchen Übernahme die Personalabteilung versuchen wird, mit Abfindungsangeboten und Alters-Teilzeit-Versprechen die Belegschaft auszudünnen. „Und sie damit verkaufsreif zu machen“.
Opfer der Renditewut
Damit scheint die Konstanzer Siemens-Niederlassung zum Opfer der konzernweiten Sparwut zu werden. Denn gleichwohl: Siemens geht es prächtig – das vergangene Geschäftsjahr (immer ab Oktober gerechnet) war das zweitbeste der Firmengeschichte; gleichzeitig mit dem Konstanzer Arbeitsplatz-Abbau kauft das Unternehmen für gut zwei Milliarden Euro einen britischen Hersteller von Signal- und Leittechnik im Eisenbahn-Bereich hinzu.
Es geht schlicht um eine Verbesserung der Umsatzrendite: Statt wie bislang 9,5 Prozent sollen es zukünftig 12 Prozent sein, hat unlängst Konzernchef Peter Löscher verkündet. Da stört der Bereich Postautomatisierung in Konstanz nur, der aus USA und Deutschland keine neuen Aufträge mehr erwarten kann, denn diese Märkte scheinen gesättigt. Und das Geschäft mit der Gepäckbeförderung auf Flughäfen will man in der Münchener Konzernzentrale wohl nicht weiter ausbauen.
Was bleibt? Der einstige Industriestandort Konstanz darf sich von dieser Bezeichnung endgültig verabschieden. Die Siemens-Beschäftigten (200 in der Produktion, 700 in der Entwicklung) müssen um ihr verbrieftes Recht des Kündigungsschutzes kämpfen. Und Betriebsrat und Gewerkschaft wollen alle Möglichkeiten der Gegenwehr nutzen: „Denn Pessimismus hilft nicht weiter“.
Autor: hpk
kann man nur beipflichten
Wenn schon Kultur, dann diese:
„Dieser Staat läßt sich nicht lumpen,
wenn er sich belumpen läßt:
Einer kriegt das Gold in Klumpen –
Euch, euch gibt man bald den Rest.
Rufet: „Hoch die Dividende!“,
wenn ihr euch zum Stempeln trollt!
– Sei gesegnet ohne Ende,
Heimaterde, wunderhold!“
(Jura Soyfer, ✝ 1939 im KZ Buchenwald)
@Bernhard Hanke
Aus meiner Sicht haben Sie da Recht! Wenn es nachher darum geht den Job zu sichern ist sich jeder selbst der nächste – auch beim Betriebsrat. Auch im Betriebsrat geht es nur um Macht. Siemens hat entschieden. Punkt.
Der nachfolgende Songtext von Udo Jürgens passt hierzu meiner Meinung nach gut.
„Lieb Vaterland, du hast nach bösen Stunden
aus dunkler Tiefe einen neuen Weg gefunden.
Ich liebe dich, das heißt ich hab‘ dich gern,
wie einen würdevollen, etwas müden, alten Herrn.
Ich kann dich nicht aus heißem Herzen lieben,
Zuviel bist du noch schuldig uns geblieben.
Die Freiheit, die du allen gleich verhießen,
die dürfen Auserwählte nur genießen.
Lieb Vaterland, magst‘ ruhig sein,
die Großen zäunen Wald und Ufer ein.
Und Kinder spielen am Straßenrand,
lieb Vaterland!
Lieb Vaterland, wofür soll ich dir danken?
Für die Versicherungspaläste oder Banken?
Und für Kasernen, für die teure Wehr?
Wo tausend Schulen fehlen,
tausend Lehrer und noch mehr.
Konzerne dürfen maßlos sich entfalten,
im Dunkeln steh’n die Schwachen und die Alten.
Für Krankenhäuser fehlen Dir Millionen,
doch unsere Spielkasinos scheinen sich zu lohnen.
Lieb Vaterland, magst ruhig sein,
die Großen zäunen ihren Wohlstand ein.
Die Armen warten mit leerer Hand,
lieb Vaterland!
Lieb Vaterland, wofür soll ich dich preisen?
Es kommt ein Tag, da zählt ein Mann zum alten Eisen.
Wenn er noch schaffen will, du stellst ihn kalt,
doch für die Aufsichtsräte sind auch Greise nicht zu alt.
Die alten Bärte rauschen wieder mächtig,
doch junge Bärte sind dir höchst verdächtig.
Das alte Gestern wird mit Macht beschworen,
das neue Morgen, deine Jugend geht verloren.
Lieb Vaterland, magst ruhig sein,
doch schlafe nicht auf deinen Lorbeeren ein.
Die Jugend wartet auf deine Hand,
lieb Vaterland!
Lieb Vaterland, magst ruhig sein,
doch schlafe nicht auf deinen Lorbeeren ein.
Die Jugend wartet auf deine Hand,
lieb Vaterland!
2. Version von 1998
Lieb Vaterland, du hast nach bösen Stunden
aus dunkler Tiefe einen Weg gefunden.
Ich liebe dich, das heißt ich hab‘ dich gern,
wie einen würdevollen, alten Herrn.
Ich kann dich nicht aus heißem Herzen lieben,
zuviel bist du noch schuldig uns geblieben.
Den Platz am Licht, den allen du verhießen,
den dürfen Auserwählte nur genießen.
Lieb Vaterland, magst ruhig sein,
doch schlafe nicht auf deinen Lorbeeren ein.
Die Jugend wartet auf deine Hand,
lieb Vaterland!
Lieb Vaterland, wofür soll ich dir danken?
Für Versicherungspaläste oder Banken?
Atomkraftwerke für die teure Wehr
wo Schulen fehlen, Lehrer und noch mehr.
Konzerne dürfen maßlos sich entfalten,
im Dunkeln steh’n die Schwachen und die Alten.
Für Krankenhäuser fehlen dir Millionen,
doch das Geschäft mit Schwarzgeld scheint zu lohnen.
Lieb Vaterland, magst ruhig sein,
die Großen sperren ihre Herzen ein.
Die Kleinen stehen wieder mal am Rand,
lieb Vaterland!
Lieb Vaterland, wofür soll ich dich preisen?
Zu früh schon zählt ein Mann zum alten Eisen.
Wenn er noch Arbeit will, du stellst ihn kalt.
Als Aufsichtsrat sind Greise nicht zu alt.
Lieb Vaterland, magst ruhig sein,
doch schlafe nicht auf deinen Lorbeeren ein.
Die Jugend wartet auf deine Hand,
lieb Vaterland!
Lieb Vaterland, magst ruhig sein,
doch schlafe nicht auf deinen Lorbeeren ein.
Die Jugend wartet auf deine Hand,
lieb Vaterland!“
Bitte nicht weinen!!
Die „vertrauensvolle Zusammenarbeit von Betriebsrat und Geschäftsleitung“, wie sie das Betriebsverfassungsgesetz festschreibt, hat in diesem Land noch nie etwas getaugt. Am wenigsten, wenn es um die Erhöhung des Profits geht. Aber das wissen ja die aufrechten Gewerkschafter bei Siemens!
Wenn es dem Chef gut geht
Die Sozialpartnerschaft läuft zu ganz großer Form auf. Aber in Konstanz kann man ja einiges machen, das woanders unmöglich durchsetzbar wäre. Ein Beispiel die Firma Maurer und die rechtlichen Kapriolen um den Fall.
Früher hat die Gewerkschaftsarbeit beinahe unmöglich gemacht: „Wenns dem Chef gut geht, gehts mir auch gut“. Wenn es heute dem Chef gut geht, läuft die Belegschaft Gefahr, daß er auf perverse Ideen kommt.