Wege aus der Wohnungsnot: Mieterbund kritisiert Leitlinien-Entwurf

Weil die Corona-Pandemie nahezu alles überlagerte, ist eine der größten Problem­zonen der Konstanzer Lokalpolitik fast aus den Schlagzeilen verdrängt worden. In einem Brief an den OB brachte sie der Mieterbund jetzt in Erinnerung. Der am 1. Juli in Kraft getretene neue Mietspiegel dokumentiert schonungslos das Versagen der städtischen Wohnungspolitik. In den vergangenen drei Jahren ist die Durchschnittsmiete weiter gestiegen – um über zehn Prozent. Der Mieterbund-Vorsitzende Herbert Weber verlangt Gegenmaßnahmen. Einen wohnungspolitischen Vorstoß der Verwaltung findet er enttäuschend.

Anlass des Schreibens war eine Vorlage der Stadtverwaltung für den Haupt- und Finanzausschuss, mit der die 2018 im Handlungsprogramm Wohnen (HaProWo) formulierte Absicht festgezurrt werden soll, städtische Bauplätze an Zielgruppen zu vergeben, die im unteren und mittleren Preissegment bauen wollen. Dazu hat die Stadtspitze ihre Fachleute jetzt Leitlinien verfassen lassen, die laut eigenen Angaben Spekulation vorbeugen und Bauherren an entsprechende Vergabekriterien binden sollen.

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Geplant sind dafür sogenannte Konzeptvergaben, wie sie für Baugemeinschaften schon gelten. Diese Vergabearten will man im Rathaus nun auch auf Bauvorhaben im mittleren Preissegment (geplant gemäß HaProWo: rund 1300 neue Wohneinheiten bis 2030) ausdehnen sowie auf den Teil des geförderten Wohnungsbaus (HaProWo-Ziel: 2000 Einheiten), der nicht von der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Wobak abgedeckt wird. Die „Leitlinien Konzeptvergabe“, so die Verwaltung, sollen künftig garantieren, einerseits den unterschiedlichen Anforderungen für die städtischerseits im Handlungsprogramm definierten Rahmenbedingungen gerecht zu werden, und gleichzeitig ein einheitliches Vorgehen möglich zu machen.

Städtische Vergabepläne „eine Enttäuschung“

Für Herbert Weber, den langjährigen Frontmann der MieterInnen-Organisation am Bodensee und zugleich Stadtrat der SPD im Konstanzer Gemeinderat, ist der von der Verwaltung dazu vorgelegte Entwurf indes „eine Enttäuschung“. Das Ziel, bezahlbares Wohnen im unteren und mittleren Preissegment zu schaffen, hadert Weber mit der Vorlage, finde sich nur als allgemeiner Grundsatz, nicht jedoch in „den entscheidungsrelevanten Mindestanforderungen und Auswahlkriterien“. Diese indes müssten „klare Priorität“ haben. Zudem bildeten die Auswahlkriterien die „Notwendigkeit der dauerhaften sozialen und gemeinwohlorientierten Bewirtschaftung“ nur unzureichend ab. Konkret: Der Spekulation vorbeugende lange Preisbindungen seien zwar erwähnt, entscheidend „ist jedoch, dass auch nach Ablauf der Preisbindung die Mieten auf einem sozialverträglichen Niveau verbleiben“.

Keine Gnade vor den Augen des Mietrechtsexperten findet schließlich die Absicht, eine offene Konzeptvergabe, bei der gewählte Kommunalgremien außen vor blieben, als Regelfall festzuschreiben. Das betreffe den „Kernbereich der Planungshoheit der Gemeinde“. Soziale Stadtentwicklung brauche aber „Bürgerbeteiligung und Entscheidungen durch demokratisch legitimierte Gremien.“

Kritik übt Weber überdies am Zustandekommen des Leitlinien-Entwurfs. Dem Rathaus wirft er vor, ihn „keineswegs gründlich im Bündnis für Wohnen“ erörtert zu haben, in dem neben VertreterInnen von Verwaltung und Gemeinderat verschiedene wohnungsmarktpolitische Akteure versammelt sind. Der Mieterbund-Chef wörtlich: „Ich rate Ihnen dringend, das Thema zunächst in Politik und Arbeitskreis zu beraten, damit eine fachkundig basierte Entscheidung möglich wird, die den Konstanzer Wohnungsmarkt tatsächlich entlastet.“

Rathaus weist Vorwürfe zurück

Hat der Mieterbund-Chef mit den harschen Vorwürfen den Finger in eine offene Wunde gelegt? Dafür spricht die ungewohnt kurze Reaktionszeit. Gerade mal zwei Tage brauchte es für einen Antwortbrief aus dem Rathaus, in dem Uli Burchardt seinen Baubürgermeister alle Vorwürfe zurückweisen ließ. Karl Langensteiner-Schönborn betont, der Leitlinien-Entwurf berücksichtige „Spekulationsfreiheit“ als „selbständiges Auswahlkriterium für die Vergabe einer Grundstücksoption bei allen Verfahren“ durchaus, so würden Genossenschaften, Erbpacht sowie die Dauer der Miet- bzw. Kaufpreisbindung „entsprechend positiv gewichtet“. Langensteiner-Schönborn verwies zudem auf die Funktion der Wobak, deren im Handlungsprogramm festgeschriebene Rolle beim Bau geförderten Wohnraums von den Leitlinien unberührt bliebe und deren Funktion „uneingeschränkt unterstützt“ werde.

Mit diesen ziemlich unkonkreten Ausführungen gibt sich Herbert Weber indes nicht zufrieden. In einer Replik auf Langensteiner-Schönborns Antwort begrüßt er zwar, dass der Baubürgermeister die Bedeutung von Spekulationsfreiheit und sozial-orientierten Wohnungsbauakteuren herausstellt. Der Mieterbund bleibe aber bei seiner Auffassung, „dass die dauerhafte und nicht nur befristete Garantie von Sozial- und Preisbindungen durch gemeinwirtschaftlich agierende Träger nicht ausreichend im Kriterium Spekulationsfreiheit berücksichtigt wird“. Auch in Sachen Entscheidungsfindung gibt er nicht klein bei. Es sei gut, dass der Bürgermeister die Hoheit der kommunalen Selbstverwaltung nochmals betone. Davon sei allerdings „weder im Beschlussantrag noch in den Leitlinien Konzeptvergabe“ die Rede. Weber beharrt deshalb auf einer im ersten Brief vorgeschlagenen Erweiterung des städtischen Beschlussantrags, die sicherstellen soll, dass in allen Grundstücksangelegenheiten der Gemeinderat immer das letzte Wort hat (siehe Kasten). Der Haupt- und Finanzausschuss, dem das Verwaltungspapier bei seiner Sitzung am 10.7. zur Vorberatung vorlag, sah das vermutlich ähnlich, verwies er es doch zur Überarbeitung zurück.

Wesentliche grundstückspolitische Entscheidungen können nicht über den Gemeinderat hinweg getroffen werden. Ohne das Ergebnis weiterer Beratungen vorwegzunehmen, halte ich es für notwendig, den Beschlussantrag um eine Ziffer 3 zu ergänzen:
Der Gemeinderat (bzw. HFA) behält die Entscheidungskompetenz über die Vergabe städtischer Grundstücke für den Wohnungsbau. Soweit diese nicht durch die ortsansässigen, dauerhaft tätigen Bestandshalter entwickelt werden, schlägt die Verwaltung dem Gemeinderat vor, welche Verfahrensart der Konzeptvergabe angewandt werden soll.

Kommentar: Zu kurz gesprungen

Die Intervention des Mieterbund-Vorsitzenden Weber ist aus Sicht einer dem Gemeinwohl verpflichteten Stadtentwicklungs- und Wohnungspolitik unbedingt unterstützenswert. Es ist höchste Zeit, gerade auf diesem wichtigen kommunalpolitischen Sektor belastbare Pflöcke einzurammen. Unverbindliche Absichtserklärungen, das zeigen praktisch ungemindert steigende Mieten, sind sinnlos. Wer Spekulation wirksam bekämpfen will, muss Mietpreise dauerhaft niedrig halten. Das klappt nicht, wenn Wohnungsunternehmen nach Auslaufen wie immer gearteter Preisbindungen freie Hand haben. Und wer eine Baupolitik will, die sich wirklich am öffentlichen Bedarf orientiert und nicht profitgetriebenen Investoren das Feld überlässt, muss das Heft des Handelns in der Hand behalten.

Um eine entscheidende Frage drückt sich auch der Mieterbund indes herum: Warum fordert er nicht, dem Verkauf städtischen Grund und Bodens generell einen Riegel vorzuschieben? Die Bodenvergabe nur noch in Erbpacht würde die Souveränität über die Nutzung der darauf errichteten Immobilien verbindlich sichern. Ein Modell, wie das funktionieren kann, hat die Linke Liste jüngst vorgelegt. Auch Luigi Pantisano übrigens, der neuer Oberbürgermeister in Konstanz werden will, hat diese Lösung auf dem Zettel. Der Herausforderer hat sich festgelegt: „Als Oberbürgermeister werde ich keine städtischen Grundstücke und Immobilien an Investoren verkaufen, sondern an die städtische WOBAK, Genossenschaften oder gemeinnützig in Erbpacht vergeben, damit mehr bezahlbare Wohnungen entstehen.“

J. Geiger

Bild: Auf dem Vincentius-Areal entstehen hochpreisige Wohnobjekte, mit denen die LBS Profite machen will. Die Stadt bleibt außen vor. (O. Pugliese)