Wenn Empörung die Auseinandersetzung verhindert

Hakenkreuz oder Davidstern? Eine einfache Frage sorgt am Konstanzer Theater für eine Diskussion über Ethik und Moral. Über die Grenzen von Satire in der Empörungsgesellschaft.

Die Empörung ist groß. Nicht nur, dass der eher krawallige Kabarettist Serdar Somuncu ausgerechnet am 20. April mit der George-Tabori-Farce „Mein Kampf“ Premiere feiert, nein, das Theater begleitet das auch noch mit einer fragwürdigen Eintrittskartenvergabe: Wer sich für die Dauer der Aufführung ein Hakenkreuz anheftet, kommt umsonst rein, wer sich einen Davidstern ans Revers heftet, muss den regulären Eintrittspreis zahlen. Es soll ein inszenatorischer Kniff sein, versichert der Regisseur, das Stück soll beginnen, noch ehe etwas auf der Bühne passiert. Letztlich ist es ein ziemlich radikaler Versuch, die Besucher dazu zu zwingen, sich mit dem Stoff auseinanderzusetzen.

Hakenkreuz oder Davidstern? Täter oder Opfer? Die Zuschauer sollen sich schon am Eingang bekennen. Auch wenn das Theater in der Sache inzwischen ein bisschen zurückgerudert ist (wer nicht will, muss den Davidstern nun nicht mehr während der Aufführung tragen), stellt sich doch die Frage: Wie zum Geier kommt man auf so eine Idee? „Ich hatte gehofft, dass jeder regulär zahlt und sich einen Davidstern anheftet, als Geste der Solidarität“, erklärte Regisseur Somuncu gegenüber dem Spiegel. Passiert ist aber etwas anderes: Zum Zeitpunkt des Interviews mit dem Hamburger Nachrichtenmagazin hatten sich schon 35 Menschen Gratiskarten bestellt und so erklärt, dass sie kein Problem damit haben, einen Abend lang ein Hakenkreuz zu tragen. Serdar Somuncu reagiert konsterniert: „Entweder die Leute sind wirklich rechts. Oder sie werfen aus Geiz ihre Gesinnung über den Haufen. Das ist erschreckend.“

So geschmacklos man die Aktion des Theaters finden kann, aber man muss zugeben, dass Somuncu hier durchaus einen wunden Punkt trifft. Denn: Das wäre jetzt eigentlich das Thema für eine breite gesellschaftliche Debatte. Wer entscheidet sich freiwillig für das Hakenkreuz? Warum tut er oder sie das? Ist das eine politische oder doch nur eine monetäre Erklärung? Aber stattdessen stürzen sich die meisten Medienberichte vor allem auf die Ticketaktion des Theaters.

Daraus lassen sich vor allem zwei Dinge lernen. Erstens: Satire stellt sich selbst ein Bein, wenn sie um ihrer eigenen Radikalität willen die Zwischentöne vergisst. So wie die Aktion jetzt daherkommt, ist sie zwar radikal. Aber vor allem radikal gleichgültig gegenüber den Opfern des Nazi-Terrors. Kein Wunder, dass da das eigentliche Thema „Wie rechts sind wir heute?“ untergeht.

Zweitens: Die Empörungsgesellschaft hat keine Geduld für tiefer gehende Auseinandersetzungen. Noch hat keiner die Inszenierung von Serdar Somuncu gesehen und doch schreien viele schon „Skandal!“ Das ist dann wohl das Ergebnis, wenn ein unsensibler Regisseur auf eine ungeduldige Öffentlichkeit trifft. Die erste Chance zur Debatte ist damit vertan. Aber die nächste kommt bestimmt – spätestens nach der Premiere von „Mein Kampf“ am 20. April.

Michael Lünstroth (der Text erschien zuerst auf www.thurgaukultur.ch)