Wenn Geflüchtete sich organisieren

seemoz-Flüchtlinge-Aktionstage-1Auf der Abschlusskundgebung zu den Aktionstagen „Fluchtursachen bekämpfen, Waffenexporte stoppen!“ gab es Redebeiträge und ein offenes Mikrofon auf der Konstanzer Marktstätte. Mit dabei Tobias Pflüger, stellvertretender Vorsitzender der Partei Die Linke.

„Wir wollen eine friedliche Kundgebung“. Mit diesen Worten wurde die Abschlusskundgebung zu den Aktionstagen am Samstagnachmittag eröffnet. Freilich eine wichtige Festsetzung, aber hier in Konstanz nicht mehr als eine Formalie. Im touristischen, flaneurhaften Trubel des Altstadtlebens versammelten sich gut 50 Personen auf der Marktstätte, um erneut Transparente zu entrollen und die Rüstungsindustrie als eine Ursache für Krieg, Vertreibung und Flucht anzuprangern. Doch von Eskalation ist die Veranstaltung weiter weg als die SPD vom Sozialismus. Statt in Kampfmontur stehen Konstanzer Polizisten in kurzärmeligen Hemden und lässiger Pose da, das einzige, was sie vermummt an diesem sonnigen Samstagnachmittag ist eine Sonnenbrille. Und statt Schlagstock oder Pfefferspray ragt ein Flyer der Veranstalter aus ihrer Hosentasche.

seemoz-Abschluss-Demo 017Es ist der Abschluss mehrerer, dreitägiger Aktionen (seemoz berichtete), deren Ziel es war, Ursachenforschung zu betreiben statt nur Symptome zu bekämpfen. Es ging auch darum, ein Zeichen zu setzen gegen Rüstung und Militarismus und für eine humanitäre und ursachenorientierte Flüchtlingsdebatte. Denn diese Auseinandersetzung, so sind sich die Beteiligten einig, muss Teil der öffentlichen Diskussion werden, auch und gerade, weil die Interessenvertreter der Waffenindustrie diese Debatte massiv blockieren.

„Wir sind hier nicht zum Urlaub“

Zu Anfang wandte sich der Organisator Rex Osa, selber vor sieben Jahren aus Afrika geflohen, an die Demonstranten. „Heute genießen wir Kaffee und das gute Wetter, aber was morgen kommen wird, wissen wir nicht. Wir müssen nachdenken, denn unser aller Zukunft ist in Gefahr“. Erneut erklärte er, dass niemand freiwillig seine Heimat verlasse. „Wir möchten gerne wieder in unsere Heimat, zu Freunden und Verwandten, aber solange dort blutige Konflikte herrschen und weiterhin Waffen dorthin exportiert werden, sind wir in Gefahr.“ Nochmals betonte er: „Wir sind hier nicht zum Urlaub oder aus Spaß“ So gehe es in dieser Debatte nicht ausschließlich um Flüchtlinge, sondern vielmehr um Fragen der Menschlichkeit.

seemoz-abschluss-PflügerPflüger fragte gleich zu Beginn seiner aufrüttelnden Rede: „Warum fliehen Menschen und was hat das mit dieser Region zu tun?“ Er wies darauf hin, dass der Bodensee die führende Rüstungsregion sei und kritisierte die Aussage, Deutschland handle nach einer restriktiven Waffenexportpolitik und verwies auf die Genehmigungen für Rüstungsexporte im ersten  Halbjahr 2015. „Diese Exporte haben einen Gesamtwert von 6,6 Milliarden Euro. Das ist in etwa so viel wie im gesamten Jahr 2014“. So müsse man sich in einer Gesellschaft fragen, wie Gelder ausgegeben werden und für wen und was.

„Ich schäme mich für dieses Land“

Zudem machte er auf die destabilisierende Wirkung der westlichen Interventionspolitik aufmerksam. Die meisten Geflüchteten weltweit kommen aus Ländern wie Afghanistan und Syrien. Die Politik der Türkei bezeichnete er als zynisch und verwies dabei auf die scheinheilige Bekämpfung des IS bei gleichzeitiger Bombardierung von Stellungen der PKK. Die Redewendung „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“ gelte hier jedenfalls nicht.

Deutschland rangiere zahlenmäßig auf Platz 50 der Länder, die Flüchtlinge aufnehmen. Und auch das Verhältnis von Geflüchteten zur Gesamtbevölkerung sei bei weitem nicht so hoch wie bei den Spitzenreitern Türkei, Pakistan oder dem Libanon. „Wir brauchen eine wahre Willkommenskultur“, appellierte er, „wenn in Deutschland Angriffe auf Flüchtlinge stattfinden, dann schäme ich mich für dieses Land“.

seemoz-Abschluss-Demo 034Jürgen Weber betonte, es sei keine Selbstverständlichkeit, dass Geflüchtete sich selbst organisieren. Und er wies auf die politische und historische Verantwortung dieses Landes hin und erinnerte an die verbrecherische Durchsetzung kolonialer Interessen und den Völkermord an den Herero durch Deutschland in Afrika. Auch fragte er, wie zukünftige Generationen das Flüchtlingsleid bewerten werden: „Wird in Geschichtsbüchern über brennende Heime im damaligen Wohlstandsdeutschland etwas geschrieben stehen?“ Auch kritisiert er die unsachliche Stimmungsmache, wenn eine Unterscheidung zwischen guten und schlechten Flüchtlingen gemacht wird. „Schützen wir unsere Grenzen nicht mit Waffen, sondern reichen die Hände“.

„Produkthaftung für Waffenproduzenten“

Beim offenen Mikro kamen verschiedene Stimmen zu Wort. Neben dem Appell, sich gegen die ‚Hauptsache-billig-Mentalität‘ zu entscheiden, wurde, bewusst vereinfacht, eine Produkthaftung für Waffen vorgeschlagen, wie es sie bei nahezu jedem Produkt zu finden ist. Auch Thomas Ndingha forderte die Verantwortlichen auf, Verantwortung zu übernehmen. „Wer Waffen produziert, muss Verantwortung übernehmen“. Auch Refugees kamen wieder zu Wort. Sie bekräftigten, dass niemand freiwillig seine Heimat verlassen würde. Eine Frau setzte eine Gedenkminute für auf der Flucht ums Leben gekommene Menschen durch. Eine andere Frau resümierte schließlich: „Denn ohne das Wissen ums Warum rückt sich das Bewusstsein nicht zurecht.“

Rafael Cueva (Text), Nico, hpk, Charly, Andrea Siedow (Fotos)

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