Wenn Straßennamen nicht mehr genehm sind…
Über Straßennamen wird derzeit viel gestritten: Zwar wurde die Konstanzer Von-Emmich-Str. umbenannt, doch die Anwohner protestieren bis heute; in Radolfzell diskutiert man über die Lettow-Vorbeck-Str., was sogar zu bundesweiten Protesten führte. Ausgang: Offen. Der Historiker Arnulf Moser erklärt hier, warum auf politische Namen bei Straßennamen ganz verzichtet werden sollte. Denn sie unterliegen immer dem Wandel der politischen Systeme, wie viele Beispiele aus Konstanz belegen.
Straßenbenennungen haben unter anderem die Funktion, verdiente Persönlichkeiten zu ehren und im Gedächtnis der Bevölkerung zu bewahren. Auch siegreiche Schlachten wie verloren gegangene Gebiete sollen auf diese Weise in der Erinnerung fortleben. Gerade der Wechsel der politischen Systeme führt aber oft zu Umbenennungen. In Ungnade gefallene Personen sollen aus dem öffentlichen Gedächtnis gelöscht, neue Helden aufgebaut werden. Umbenennungen können auch Ausdruck einer kritischen Auseinandersetzung und Neubewertung sein wie im Falle des Wilhelm-von-Scholz-Weges. Bei anderen Persönlichkeiten traten erst viel später neue Informationen zutage, die zu einer kritischen Diskussion führen, etwa bei Oberbürgermeister Franz Knapp und seiner Rolle im Dritten Reich oder bei dem Kreuzlinger Bezirksstatthalter Otto Raggenbass und seiner Haltung zu den jüdischen Flüchtlingen. Die Vortragsreihe von Stadtarchiv und Rosgartenmuseum im Herbst 2010 hat auf die Problematik so mancher Personenehrung hingewiesen.
Für Hitler musste es schon die Seestraße sein
Großereignisse verlangen nach einem Straßennamen. So verdrängte beim 550jährigen Konzilsjubiläum 1965 das Konzil Friedrich Schiller, der später mit einer bescheidenen Straße beim Hauptfriedhof, aber neben Goethe, abgefunden wurde. Geprüft werden muss stets , ob die Straße für den neuen Namensträger angemessen ist. Im Jahre 1933 wollte man Adolf Hitler nicht gerade das Kuhgässchen geben, es musste schon die Seestraße sein, während für Hermann Göring dann der Mittelweg in Wollmatingen genügte. Nicht jede Umbenennung im Dritten Reich wurde nach 1945 wieder rückgängig gemacht. So musste der demokratische Oberbürgermeister und spätere Reichfinanzminister Hermann Dietrich 1934 seine Straße an den soeben verstorbenen Rechtshistoriker Konrad Beyerle abgeben. Gegen Beyerle ist bis heute nichts einzuwenden, aber es kam zu keiner neuen Ehrung mehr für Dietrich.
Neubaugebiete geben die Möglichkeit, thematische Schwerpunkte zu setzen, so etwa ab 1926 das Musikerviertel, ab den 50er Jahren die Industrie- und Technikpioniere im Industriegebiet, ab den 60er Jahren im Berchengebiet Ortsnamen aus der DDR und den ehemals deutschen Ostgebieten. Bei den neuen Wohnstraßen in der Klosterkaserne in den 80er Jahren (Venedey, Elser, Spiegel, Großhans, Gutjahr, Bärtschi) wie in der Cherisykaserne in den 90er Jahren (Metzger, Bloch, Schürmann-Horster) wurden Opfer des Dritten Reiches mit Straßen geehrt.
Die Reichsgründung wie der Krieg von 1870/71 haben ihre Spuren in Konstanz hinterlassen. Kaiser Wilhelm I. erhielt die Straße vom Sternenplatz bis zum Zähringerplatz (jetzt Theodor-Heuss-Straße), während für Bismarck eine Straße bei den Rieterwerken vorgesehen war (Bücklestraße). Geehrt wurden die Generäle Helmut von Moltke und August von Werder (Buchnerstraße), an Schlachtenorten zunächst Belfort (Alter Wall), dann Weißenburg (Hegaustraße) und Sedan (St. Gebhardplatz Südseite und Säntisstraße bis Mainaustraße). Im patriotischen Überschwang des Sommers 1914 wurden rund um die Jägerkaserne Personen aus den Befreiungskriegen gegen Napoleon ausgezeichnet, nämlich Gneisenau (Gustav-Schwab-Straße), Scharnhorst (Conradin-Kreutzer-Straße) und die Straße des Freiherrn vom Stein. Weitere Namensgebungen aus dieser Epoche wurden beschlossen, aber nicht ausgeführt: Blücher, Yorck, Lützow, Schill und Körner. Graf Zeppelin erhielt bereits zu Lebzeiten nach seinem 70. Geburtstag 1909 eine Straße.
Rabiate Umbenennungen im Dritten Reich
Nach dem Ersten Weltkrieg gab es nicht viel zu feiern. Die Erinnerung an das verlorene Elsaß wurde mit einer Elsässerstraße (Alemannenstraße) wachgehalten. Statt der geplanten Bismarckstraße führte jetzt der Bismarcksteig zu seinem Turm. Nach dem 80. Geburtstag von Reichspräsident Hindenburg wurde 1927 eine Straße nach ihm benannt (vorher Fürstenbergweg), während Reichspräsident Friedrich Ebert einen Platz erhielt, den er bereits 1933 wieder an Hindenburg abgeben musste. Die Schriftsteller Ludwig Finckh und Hermann Hesse erhielten 1926/27 einen Weg beim Waldhaus Jakob. Im Dritten Reich übernahm der NS-freundliche Finckh den Weg des Pazifisten Hesse, nach 1945 war es umgekehrt.
Der Neubau der St. Gebhardkirche mit einem St. Gebhardplatz rund um die Kirche in Petershausen veränderte 1929 die Straßennamen des ganzen Viertels. Die Sedanstraße war auf die Hälfte reduziert. Den Rest der Hildastraße übernahm Nikolaus Hug. Großherzogin Hilda erhielt die Ludwigstraße übertragen (Im Neugut). Münsterpfarrer Brugier übernahm die Viktoriastraße, dafür ging an Prinzessin Viktoria, die ihrem schwedischen Ehemann die Insel Mainau mitgebracht hatte, die Hochbergstraße hinter der Schule Petershausen. An den Prinzen Max von Baden ging die noch namenlose jetzige Konrad-Witz-Straße.
Besonders rabiat waren die Umbenennungen im Dritten Reich. Gauleiter Wagner erhielt die Laube, Arbeitsminister Seldte die Schützenstraße, Albert Leo Schlageter, der zum Märtyrer der Bewegung hochstilisiert wurde und einen Bezug zu Konstanz hatte, die Brauneggerstraße. Die Rheinbrücke ging an Horst Wessel, die Wilhelmstraße ab der Abzweigung Mainaustraße an die SA. Die Bodanstraße erhielt zunächst der deutschnationale Politiker Hugenberg. Aber da die Nazis keine Koalition, sondern die Alleinherrschaft wollten, wurde die Straße 1935 nach der Volksabstimmung in Saarlandstraße umbenannt. Als 1935 ein Erlass kam, dass keine Straßen mehr nach lebenden Personen benannt werden sollten, waren die Nazi-Größen bereits in ganz Deutschland auf den Straßenschildern „verewigt“.
Jan Hus ging an die Römer
Die Nazis schufen eine neue militärische Tradition aus dem Ersten Weltkrieg heraus. Dazu gehörten die Schlachtenorte Cherisy (Eisenbahnstraße), Tannenberg (Winkelstraße) und Langemarck (Konrad-Witz-Straße). Sie ehrten die Jagdflieger Boelcke (Reutestraße), Immelmann (Bücklestraße) und Richthofen (Hardtstraße). Und sie ehrten General von Emmich für seine Beteiligung am Überfall auf das neutrale Belgien 1914 (vorher Fürstenbergstraße). Hinzu kamen Straßen, die an verlorene Gebiete im Osten erinnern sollten, nämlich Marienburger Straße (Buhlenweg), Memelerstraße (Haspelweg) und Danzigerstraße (Freibürgleweg). Nach dem deutschen Einmarsch in das Sudetenland 1938 durfte es in Konstanz keine tschechischen Straßennamen mehr geben. Jan Hus ging an die Römer, und für Hieronymus von Prag kam die Pfauengasse nach dem Haus zum Weißen Pfauen. Im Krieg gab es dann wichtigere Dinge als neue Straßennamen.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden nicht nur die Straßenbenennungen des Dritten Reiches aufgehoben, sondern auch auf Betreiben der französischen Besatzungsmacht alle Namen, die auf Kriege gegen Frankreich bzw. auf das Elsaß hinwiesen. Nur Moltke und Stein durften bleiben. Dass Emmich diese Säuberung überlebte, ist nur so zu erklären, dass nach 1945 niemand mehr wusste, wer Emmich war und dass er schon am 1870er Krieg beteiligt war. (Anm.d.Red.: Mittlerweile ist eine Umbenennung gerade der Von-Emmich-Str. beschlossen).
Die Zeit von Kaiser Wilhelm I. war vorbei. Der untere Teil beim Sternenplatz ging 1951 an den aus Konstanz stammenden Freiburger Erzbischof Conrad Gröber, der obere Teil 1965 an Bundespräsident Theodor Heuß. Zu den politischen Namensgebungen kann man als Zeichen einer neuen deutsch-französischen Politik die Straße für den französischen „Gouverneur“ André Noel von 1951 zählen (Teil der Luisenstraße), sowie die Fontainebleau-Allee, ebenso als Signal gegenüber der Schweiz die Otto-Raggenbass-Straße von 1968 (vorher Schwedenstraße).
Kein badisches Bewusstsein
Auffallend ist, dass in Konstanz im Gegensatz zu Freiburg oder Karlsruhe die zumeist aus dem Jahre 1912 stammenden großherzoglich-badischen Namen nach und nach gelöscht wurden. Mit dem badischen Bewusstsein war es bei den lange vorderösterreichischen Konstanzern wohl doch nicht so weit her, wie auch die Abstimmungsergebnisse zugunsten des Südweststaats zeigen. Schon 1936 wurde aus der Hildastraße die Straße Im Neugut. Nach dem Krieg wurden die hinter der Schule Petershausen vorgesehenen Straßen für Bertold und Viktoria aufgegeben, und die Steinstraße wurde bis zum Zähringerplatz verlängert. Deshalb liegt die Feuerwehr jetzt nicht an der badischen Karl-Friedrich-Straße, sondern an der preußischen Steinstraße. An badischen Namen sind neben dem Zähringerplatz letztlich nur Friedrichstraße, Luisenstraße, Amalienstraße und Markgrafenstraße übrig geblieben.
Wenn man aus diesen vielen Umbenennungen im Wechsel der politischen Geschichte ein Fazit ziehen möchte, so dieses, dass man mit politischen Namen bei Straßennamen gar nicht vorsichtig genug sein kann und am besten auf sie verzichten sollte.
Autor: Arnulf Moser, aus „Konstanzer almanach 2012“
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