Wenn Wegschauen tötet…und der Staat die Nazis finanziert
Es ging um mehr als nur den NSU (Nationalsozialistischer Untergrund) und die Untersuchungsausschüsse dazu. Es ging vor allem um die Arbeit der deutschen Sicherheitsbehörden, über die Katharina König jüngst in Konstanz berichtete. Die Thüringer Landtagsabgeordnete sitzt zusammen mit Martina Renner für die Linksfraktion im Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss und gilt als Expertin für die Nazi-Szene nicht nur in Ostdeutschland
Und dort ist Katharina König in ihrem Element, die selbst im Jena der 90er-Jahre aufgewachsen ist. So kennt sie die NSU-Terroristen Uwe Mundlos, Beate Zschäpe, Ralf Wohlleben, Uwe Böhnhardt und deren rechten Freundeskreis noch als Gegenseite ihrer politischen Arbeit damals. Zu dieser Zeit wurden ihr und Antifa-Gruppen vorgeworfen, dass sie die Nazis bräuchten, um selbst politisch existieren zu können.
Im Thüringen der 90er versucht man mit dem Bundesjugendprogramm „Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt“ (Agag) der Gewalt durch Neonazi-Strukturen Herr zu werden. Agag, damals von Bundesfamilienministerin Angela Merkel ins Leben gerufen, kritisiert König als entpolitisiert, da der oftmals rassistische Hintergrund von Gewalt ausgeblendet wurde. Zusätzlich finanzierte Agag auch mehrfach von Nazis besetzte Häuser und genutzte Jugendtreffs, unter anderem in Jena, Weimar oder auch in Johanngeorgenstadt (Sachsen, Erzgebirge). Teilweise seien die Sozialarbeiter aus diesem Bundesprogramm selbst Neonazis gewesen. Ein weiterer von Agag finanzierter Raum: Der Winzerclub in Jena, u.a. Rückzugsort von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe und Schauplatz von Rechtsrockkonzerten.
V-Mann als Chef des ‚Thüringer Heimatschutz‘
„In Saalfeld, ca. 40km von Jena entfernt, ist zudem der Hauptsitz des ,Thüringer Heimatschutz‘ (THS), der in der Lage war, thüringenweit 150 bis 200 Neonazis innerhalb kürzester Zeit auf die Straße zu bringen“, sagt König. Tino Brandt, Mitbegründer des THS, wurde 2001 als Verfassungsschutzspitzel enttarnt. Auch Nazis aus Baden-Württemberg nahmen an Veranstaltungen des THS teil – umso verwunderlicher, dass es bis heute keinen NSU-Untersuchungsausschuss im Ländle gibt.
Weiter stellte König anschaulich die persönlichen Verquickungen von heutigen NPD-Funktionären, staatlichen Institutionen, dem Blood&Honour-Netzwerk und der NSU-Terrorzelle dar. Der NSU setzte die rassistische Blood&Honour-Ideologie fast eins-zu-eins um und erhielt auch aus dem Netzwerk bis ca. 2005 Unterstützung. Im Untergrund sei dem NSU auch André Eminger behilflich gewesen, der im Münchener Prozess mit angeklagt ist.
Dass die Morde der Zelle einfach so geschehen konnten, mag manchen angesichts der Tatsache verwundern, dass mindestens 24 Verfassungsschützer in ihrem unmittelbaren Umfeld tätig waren. Jedoch stellt die Referentin deutlich heraus, dass vom Verfassungsschutz mehrfach Leute angeworben wurden, die zwar einerseits mehr oder minder glaubwürdige Informationen an die Behörde weiterreichten, andererseits durch deren Verfassungsschutzgehälter aber auch Nazistrukturen unterhielten. Brisantes Beispiel: Andreas Rachhausen, der nach einem Unfall das Fluchtauto der Nazibande abholte und als „Gewährsperson Alex“ für den Verfassungsschutz arbeitete. Heute ist Rachhausen, der weiter Neonazi-Strukturen unterstützt, Inhaber einer Firma für Klimaanlagentechnik, die unter anderem Aufträge des Bundesinnenministeriums erhalten soll.
„Das Honorar liegt über dem Durchschnittseinkommen“
Vorteile für die Nazis, sich vom Verfassungsschutz anwerben zu lassen, legt die Referentin ebenso dar: „Das Honorar liegt schon vielfach höher als das Durchschnittseinkommen in Thüringen. Tino Brandt hat allein für seine Tätigkeit in sieben Jahren 200.000 DM erhalten und galt als Top-Quelle – jedoch nicht wegen des Informationsgehaltes seiner Aussagen“, sagt König und ergänzt später, dass teilweise auch der Verfassungsschutz seine bezahlten Neonazi-Informanten vor Durchsuchungen der Polizei warnte.
Ein besonderes Augenmerk im Zusammenhang mit der Polizei legt Katharina König auf die Geschehnisse um Ku-Klux-Klan-Gründungen (kurz: KKK) in Deutschland. So habe Achim Schmid, der von 2000 bis 2002 die „European White Knights of the Ku Klux Klan“ leitete und gleichzeitig V-Mann beim Verfassungsschutz war, auf Staatskosten eine Reise in die USA-finanziert bekommen, um sich dortige Ku-Klux-Klans für den Aufbau von Klan-Strukturen in Deutschland anzuschauen. In diesem Zusammenhang ist der Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter zu sehen, „den man nicht als ,Polizisten als Symbol des Staates‘, die hingerichtet werden, abtun sollte“, sondern dringend aufgeklärt werden müsse, da führende Mitglieder des Ku-Klux-Klans Kollegen aus Kiesewetters Umfeld waren und und darüber hinaus Mitglieder des KKK aus Thüringen stammten.
Aber nicht nur die Aufarbeitung der Morde über Behörden und Justiz findet die Landtagsabgeordnete wichtig. Ihr kommt es darauf an, dass Presse und gesellschaftliche Akteure genügend Druck aufbauen, um die Morde aufzuklären. Ebenso müssten die Städte, aus denen das NSU-Trio stammt, einen Umgang mit der Sache finden.
Nazis regelten den Einlass zum Rock gegen Rechts-Konzert
Dass es in Jena nach einem 60.000 Besucher starkem Konzert gegen Rechts Äußerungen gab, wonach man Jena als erste Nazi-freie Stadt Deutschlands bezeichnete, findet König jedoch, werde der Sache nicht gerecht. Zwar habe man versucht, beim Konzerteinlass extra Security-Firmen für den Einlass zu vermeiden, von denen bekannt war, dass sie Neonazis beschäftigten. Andererseits hätten die angefragten Unternehmen nicht genügend personelle Kapazitäten gehabt und Subunternehmen beschäftigt und so „machten auch Nazis den Einlass zum Rock gegen Rechts.“
Ansonsten aber auch Positivbeispiele aus Jena: „Es gab eine Stadtkonferenz, bei der Mitarbeiter der Justiz, Behörden und Jugendarbeit zusammenkamen und geschaut haben, ,was haben wir damals falsch gemacht, was können wir heute verbessern‘. Im Gegensatz dazu hat eine Stadt wie Zwickau (Sachsen) bis heute „keinen geeigneten Umgang gefunden.“
Katharina König nimmt um die Schlussfolgerung an der NSU-Affaire kein Blatt vor den Mund: „Wenn man ein Fazit ziehen muss, dann, dass Rassismus tötet und da geht es einerseits um den strukturellen Rassismus in Form von Abschiebungen, Asylgesetzgebung etc., aber andererseits auch um den alltäglichen Rassismus. Ein Beispiel: Die Studie Thüringen-Monitor der Universität Jena hat für das Jahr 2011 festgehalten, dass 56% der Thüringer der Aussage ,Deutschland ist gefährlich überfremdet‘ zustimmen. Thüringen hat allerdings einen Migrantenanteil von gerade mal 1,8%.
„Wenn im Abschlussbericht des Bundesuntersuchungsausschusses das nicht einmal erwähnt, bzw. kritisiert wird, dann halte ich die überall beschworene Harmonie dieses Ausschusses zwar immer noch für gut. Aber ich glaube auch, dass es manchmal besser ist, sich zu streiten und auch gegenteilige Meinungen zu äußern und auch als solches zu erwähnen. Es sollte nicht nur in einem Sondervotum von Grünen, Linken und SPD zur Geltung zu kommen.“
Verschiedene Meinungen zum NPD-Verbot
Trotz allem ist Katharina König innerhalb der Linken nicht unbedingt eine Befürworterin eines NPD-Verbots. Aus dem Publikum darauf angesprochen, stellt sie klar: „Man kann den Namen verbieten, aber die Gesinnung bleibt. Und ich glaube, dass es dann eine kurzzeitige gesellschaftliche Beruhigung gibt, aber die führt nicht dazu, dass an dem gesellschaftlichen Problem irgend etwas ändert. Außerdem ist die NPD eine Art Seismograph. Sie zeigt an, wie viele der Wählerinnen und Wähler tatsächlich bereit sind, sich hinter eine so explizit rassistische Partei zu stellen. Allerdings kann ich den Gedanken Verbotsverfahren jedoch nachvollziehen, wenn darum geht, Nazistrukturen den finanziellen Nährboden zu entziehen.“
In der abschließenden Fragerunde stellt König noch einmal ganz klar heraus: „Man sollte den Blick ein wenig wegbekommen vom ,Nazis marschieren irgendwo auf‘. Das ist zwar richtig und wichtig und ich mach‘ das ja selber oft genug und fahr‘ dann auf die Gegendemo. Viel wichtiger ist jedoch der alltägliche Rassismus in den Köpfen der Bevölkerung, der sich an solchen Zahlen wie vom Thüringen-Monitor belegen lässt. Das sind unsere Nachbarn, unsere Freunde, vielleicht zum Teil sogar wir selber. Wir müssen dort ansetzen, weil man damit faktisch den geistigen Nährboden entzieht, auf dem sich Neonazis dann bewegen. Da ist es auch wichtig, endlich einmal über ältere Menschen nachzudenken und da anzusetzen, nicht nur bei den jungen“, bekräftigt Katharina König.
Autor: ryf
Alle Achtung vor Ihrem Engagement Frau Mensah-Schramm. Sie können gewiss sein, das Ihr Projekt von vielen stillen Menschen geschätzt wird.
Erst gestern sah ich folgende Graffiti auf den beschädigten Fensterscheiben eines Thai Nachtclubs in Singen Ecke Bahnhofstr. / Hauptstr.: „Anti-Anti“ beschädigte Schaufensterscheibe „Fa verrecke !“.
Im letzten Absatz stimme ich Frau König zu. Allerdings erlebe ich es ständig, dass ich bei meinen über 27 Jahre währenden Aktionen gegen den Alltagsrassismus selbst von einigen Linken gemieden werde. Auf Kontaktversuche wird nie reagiert, auch nicht von Frau König und auf div. Veranstaltungen spart man sich mein Projekt hierzulande.
Manchmal habe ich sogar den Eindruck, das man eher gegeneinander arbeitet, anstatt miteinander zu arbeiten.
Das bringt uns sicher nicht weiter.