Wer ist eigentlich „Die Wirtschaft“?
Kleinere Scharmützel lieferte man sich im Konstanzer Gemeinderat am letzten Donnerstag, als es darum ging, einen Wirtschaftsausschuss zu gründen, in dem Vertreter von Wirtschaft und einschlägigen Institutionen dem Gemeinderat Vorschläge unterbreiten sollen, wie Konstanz wirtschaftlich denn zu stärken sei. Dabei traten teils wunderliche Vorstellungen, wer überhaupt zur Wirtschaft dazugehöre, zutage
Gelegentliche Erosionserscheinungen schrecken immer wieder die für die Wirtschaft in Konstanz Verantwortlichen. Takeda, Centroterm und Transco dürften so manchem Wirtschaftsförderer schwere Stunden bereiten – aber neue Besen kehren bekanntlich gut, und der Konstanzer Oberbürgermeister Uli Burchardt versucht, in dieser Hinsicht keine Ausnahme zu sein. Er zeigte sich besorgt über die nach seinen Angaben mittelmäßige Existenzgründungsquote und die Wirtschaft überhaupt in Konstanz. Deshalb schlug er dem Gemeinderat vor, angesichts der bedrohlichen Gemengelage einen „beratenden Wirtschaftsausschuss des Gemeinderates zur Stärkung des Wirtschaftsstandortes Konstanz“ ins Leben zu rufen. Angehören sollen dem 13 Gemeinderätinnen und -räte, der OB, zwei Bürgermeister, IHK, Handwerkskammer, Uni, HTWG, zwei Bänker sowie drei auserlesene Unternehmerpersönlichkeiten.
Ganz ausdrücklich ist übrigens anzumerken, dass ein in der Stadt kursierendes Gerücht jeder Grundlage entbehrt: Dem Gemeinderat wurde nicht vorgeschlagen, die Pachten und Mieten in Konstanz zu beschränken, so dass es sich angehende Existenzgründer auch tatsächlich leisten können, in Konstanz zu arbeiten oder gar zu leben.
Das alles wollten zahlreiche Volksvertreter und Volksvertreterinnen so denn doch nicht haben. Nun mag man sich fragen, was ein Ausschuss bewirken soll, der bis zur nächsten Gemeinderatswahl vielleicht noch 3 oder 4 Mal zusammentritt, aber die Frage, ob man angesichts der Arbeitsüberlastung des Rates überhaupt noch einen weiteren Ausschuss benötige, trat schnell in den Hintergrund. Es ging vielmehr darum, wer denn in diesem Gremium vertreten sein solle. Und so kam es denn, dass so manche gewählten Vertreter des Gemeinwohls das Unterfutter ihrer Ideologie deutlicher zeigten, als es ihnen eigentlich lieb sein sollte. Hanna inders (SPD) Vorschlag, neben all den Männern zusätzlich auch Gleichstellungsbeauftragte oder gar Arbeitnehmervertreter und -innen hinzuziehen, wurde von Roger Tscheulin (CDU) unverzüglich als durchsichtiger Versuch, die Angelegenheit zu zerreden, gebrandmarkt. Die Fragestellung des Ausschusses sei vielmehr „was können wir für die Wirtschaft tun“, und wenn es der Wirtschaft gut gehe, gehe es schließlich allen gut. Da kam natürlich die Frage auf: Wer ist „die“ Wirtschaft? Eine deutliche Antwort gab Johann Hartwich (FDP), der am rüdesten auf den Punkt brachte, wie es um das bürgerliche Weltbild beschaffen ist: Für ihn ist jede Arbeitnehmerbeteiligung überflüssig, denn, so Hartwich wörtlich, und man lasse sich das auf der Zunge zergehen: „Ein guter Unternehmer diskutiert für seine Mitarbeiter mit und vertritt deren Interessen gut mit.“
Wären die Verhältnisse zwischen Kapital und Arbeit denn tatsächlich derart harmonisch, wie Hartwich das behauptet, müsste man im Interesse des Unternehmertums eigentlich Arbeitnehmer einladen, für die Firmenbesitzer mitzureden, weil Unternehmer doch stets Terminprobleme und keine Zeit für ein Palaver in irgendwelchen öffentlichen Ausschüssen haben. Holger Reile (Linke Liste) konstatierte denn auch folgerichtig, dass für Hartwich und Consorten Arbeitnehmer und Gewerkschaften offensichtlich überhaupt nicht vorhanden seien, und forderte gleichzeitig einen Sitz für die Linke Liste im Wirtschaftssausschuss.
Hand aufs Herz: Den Rest kann der Debatte kann man sich denken, auch wenn man nicht dabei war. Ein Gastronom und Hotelier forderte die Mitsprache des Tourismus im Ausschuss, jemand beklagte, dass kein Unternehmen mit seinen Herzensanliegen herausrücken werde, wenn die Sitzungen öffentlich seien und forderte damit indirekt den Ausschluss der Öffentlichkeit, und der wie immer auf Effizienz bedachte Uli Burchardt schlug der SPD vor, sie könne doch für die Arbeitnehmer sprechen, dann bräuchten die keine eigene Vertretung. Sancta simplicitas! Zur „Wirtschaft“ sind scheint’s keinesfalls Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer oder gar Arbeitslose zu rechnen, also die überwiegende Mehrheit derer, die morgens zur Arbeit geht, unter „Wirtschaft“ verstehen wichtige Teile des Konstanzer Gemeinderates einschließlich des Oberbürgermeisters ausschließlich die Kapitaleigner, die anderen 95% der Konstanzer tauchen in ihrem Weltbild erst bei der nächsten Wahl als Stimmvieh wieder auf.
Ohne Papier geht’s auch – meistens
Eine Stärke der Verwaltung ist es bekanntlich, dem Gemeinderat viel zu versprechen und dann wenig zu halten, bis man ihr auf die Pelle rückt. Das ist oft auch kein Problem, weil Gemeinderätinnen und -räte sich mit der Beteuerung der Verwaltung, sie werde sich um dies oder jenes kümmern, zufrieden sind und nie wieder auf das Thema zurückkommen. Aber manchmal stellt sich, wenn Gemeinderäte wie in diesem Fall Holger Reile mal nachhaken, auch heraus, dass die Verwaltung hinter den Kulissen tätig war und im Stillen tat, was man ihr vor geraumer Zeit aufgetragen hatte. So berichtete Roland Bunten vom Hauptamt, dass es jetzt ziemlich konkret wird mit dem papierlosen Büro und dass man damit beim Gemeinderat beginnen werde: Anfang 2014 soll der Gemeinderat mit spezieller Software bestückte Tablet-PCs erhalten, auf welche die bisher in Papierform gedruckten Unterlagen dann elektronisch heruntergeladen werden sollen. Was er hinzuzufügen vergaß ist, dass sich dann in Zukunft so manche Gemeinderäte und -innen den Kram dahoim auf eigene Kosten ausdrucken werden, weil sie der digitalen Zukunft noch nicht so ganz über den Weg trauen.
Etwas weniger optimistisch zeigte sich Roland Bunten, als es um die Frage nach der Wiederaufnahme der Liveübertragungen aus dem Gemeinderat im Internet ging, die in den Händen des Südkuriers vom Livestream sehr schnell zum Trockenwadi mutiert waren. Bunten blieb dabei: Aus juristischen Gründen dürfen nach seinen Angaben Städte solche Livestreams nicht selbst anbieten, sondern müssen ein Medienhaus heranziehen, und für Übertragungen aus dem Konstanzer Gemeinderat gibt’s keinerlei Interessenten unter den Medien. Aber die Sache ist noch lange nicht eingeschlafen, denn im Juni wollen sich vier Städte mit dem Landesdatenschutzbeauftragten treffen, um die Geschichte auszuloten. Und – so fügte Bunten hinzu – es gebe mehrere Firmen, die die komplette technische Ausrüstung für eine solche Übertragung preisgünstig für 500 Euro im Monat vermieten. Es hörte sich also beinahe so an, als sei in dieser Frage noch nicht das letzte Wort gesprochen.
Weniger offenherzig zeigte sich die Verwaltung, als es darum ging, was denn nun der Prüfbericht der Gemeindeprüfungsanstalt zum Finanzgebaren des hiesigen Orchesters ergeben habe. OB Uli Burchardt bestätigte, dass der Bericht vorliegt, meinte aber, dieser dürfe nicht veröffentlicht werden, weil in ihm bestimmte Personen erkennbar seien. Er will dem Gemeinderat gegen Monatsende eine Fassung vorlegen, in der alle Informationen, die Rückschlüsse auf Personen zulassen, geschwärzt sind (eins ist jedenfalls klar: auf Intendant Riem, auf Claus Boldt und den ehemaligen Oberbürgermeister Horst Frank wird ohnehin niemand zurückschließen, denn die hatten mit der Sache gewiss nichts zu tun). Immerhin ist diese Fassung wohl noch so aufschlussreich, dass für die Öffentlichkeit, die die erheblichen Verluste des Orchesters zu tragen und auch die Prüfung zu berappen hat, erst einige Wochen später ein dann nochmals weiter bearbeiteter Bericht präsentiert werden soll, der so umgeschrieben werden soll, dass nun gar keine der handelnden Personen mehr zu erkennen ist. Mit dem Geld der Steuerzahlerinnen und -zahler erstellt die Verwaltung also einen schonungslos aufklärerischen Bericht über ein Finanzdefizit, der die Verantwortlichkeiten glasklar benennt, aber so verwässert ist, dass kein Verantwortlicher identifiziert werden kann. Im Juli kommt das Thema dann in den Gemeinderat, und vermutlich wird man bis dahin feststellen, dass der Gemeinderat diesen Bericht nicht nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit, sondern auch unter Ausschluss des Gemeinderates debattieren muss.
Es ist doch nett, dass die Konstanzer Verwaltung meine persönlichen Daten wie gerade geschehen an Wirtschaftsinstitute weiterreicht, die mich aus heiterem Himmel mit Schreiben belästigen, in denen sie mir die Teilnahme an irgendwelchen Verlosungen nahelegen, dass sie mir aber nicht erlaubt zu erfahren, wer ein paar hunderttausend Euro öffentlicher Gelder versenkt hat. Das Gesetz verbietet es in seiner erhabenen Gerechtigkeit eben immer noch Millionären wie Habenichtsen gleichermaßen, unter den Brücken zu schlafen und auf den Straßen um Brot zu betteln.
O. Pugliese