Widerständiges „Conti“

Seit Wochen steht es nun da und wirkt wie ein gerade fertiggestellter „Rohbau“: das bis auf seinen Betonkern und die Rohrleitungen zurückgebaute „Conti“-Hochhaus an Singens Hauptstraße. Ganz klar, das jahrelang als „Schandfleck“ geschmähte Gebäude leistet Widerstand gegen seinen Abriss. Angeblich hätte Singens Oberbürgermeister Bernd Häusler dem Conti gern mit Dynamit den Garaus gemacht, aber solch ein „Knalleffekt“ wäre zu aufwändig, zu gefährlich und viel zu teuer gekommen. Ein Bagger mit langem Ausleger sollte daher bis Mitte November Stockwerk um Stockwerk abtragen. Doch das klappt nicht.

Die von der Stadt im Rahmen einer öffentlichen funktionalen Ausschreibung („funktional“ heißt, dass die Auftragnehmerin das geeignete Abrissverfahren eigenverantwortlich auswählen durfte) beauftragte Fachfirma hat Bedenken gegenüber ihrem eigenen Konzept. Es bestehe das Risiko, dass Bauteile herunterfallen könnten und dabei womöglich jemand zu Schaden käme. So herrscht vorerst Stillstand. Man arbeite mit Hochdruck daran, „um gemeinsam mit der Spezialfirma eine Lösung zu finden, wie dann das Conti effizient und gefahrlos rückgebaut werden könne“, teilt die Stadtverwaltung in „Singen kommunal“ (ihrer offiziellen Zeitung) mit, um die BürgerInnen wissen zu lassen, dass die Verzögerung des Abrisses nicht an ihr liege. Ein von der Firma erstelltes Statik-Gutachten liege ihr mittlerweile vor.

Sozialer Wohnungsbau bleibt Thema

Aber interessanter als der Noch-nicht-Abriss von Singens Hochhaus aus den 1960ern, dessen Wohnungen nach und nach von der Stadt angekauft wurden, ist die aufkeimende Diskussion, warum man dieses Gebäude überhaupt abreißen wolle. Nun, da es komplett der Stadt gehöre, könne sich diese doch die nochmals steigenden Abbruchkosten sparen und es stattdessen wieder instand setzen, um hier dringend benötigten, bezahlbaren und sozialverträglichen Wohnraum zu schaffen. Auch der Conti-Erbauer und ehemalige Bauunternehmer Ernst Herz hat sich an Singens Lokalzeitungen gewandt: Die Statik des Conti sei gut, da Stahl damals günstig gewesen und großzügig verbaut worden sei – daher trotze es seinem Abriss. Und die Wände seien mit einem patentierten Mantelbetonsystem aus reinen Naturstoffen, ohne Asbest, erstellt worden. Der nackte Rohbau, der durchaus einen gewissen Charme hat, ist also absolut robust … Aber sein Ende bleibt absehbar, weil er weichen muss, für das geplante neue Scheffel-Areal, das dann ein Investor bebauen soll.

Aus der Verantwortung für sozialen Wohnungsbau hat sich die Stadt Singen mit der Pleite der städtischen Wohnbaugesellschaft GVV bekanntlich verabschiedet. Und doch, das Thema bleibt. Schon Anfang des Jahres hatte die SPD mit einer Diskussionsveranstaltung öffentlich darüber nachgedacht, wie in der Stadt günstiger (und geförderter) Wohnungsbau geschaffen werden könnte. Und jüngst hat deren Fraktionsvorsitzende Regina Brütsch auf die steigende Zahl der von Obdachlosigkeit bedrohten Alleinerziehenden hingewiesen. Allerdings reichlich spät, denn lange genug gehörte sie selbst dem einstigen GVV-Aufsichtsrat an, und in den letzten beiden Jahren hat auch ihre Fraktion mehr Zeit und Energie darauf verwendet, die Segnungen der geplanten Shoppingmall zu preisen.

Ruhe um den Konsumtempel

Überhaupt: Wie steht es um den Konsumtempel? Ruhig ist es um ihn geworden. Verdächtig ruhig. Der Bahnhofsvorplatz solle ab Frühjahr 2018 umgebaut werden, informierte der Oberbürgermeister im Oktober. Man wolle zeitgleich mit ECE beginnen und bis Herbst 2019 sollen das „Cano“ und der Bahnhofsvorplatz fertig sein. Aber mit dem Umbau werde erst begonnen, wenn der städtebauliche Vertrag mit ECE unterzeichnet und das Geld für das Zollareal da sei. War hier nicht geplant, dass der Vertragsabschluss gleich nach der Sommerpause erfolgen sollte und dann noch im Dezember mit dem Abriss des Holzer-Baus begonnen werde? Jetzt ließe sich spekulieren, warum noch nichts geschehen ist … Liegt es an ECE? Fehlen Investoren und/oder Mieter? Trübt der derzeit schwache Franken bereits die Hoffnung auf die großen Scharen von Schweizer Einkaufstouristen? Oder sinkt der Stern der Shoppingmalls nicht nur in den USA, sondern jetzt mit der üblichen zeitlichen Verzögerung auch hier bei uns?

So mancher Center-Gegner fängt schon an zu träumen, dass am Ende der Deal doch noch platzen könnte. Aber Träume werden bekanntlich selten wahr, zumal dieser Wunschtraum der einen der Alptraum etlicher anderer wäre: des OBs, der großen Mehrheit des Gemeinderats und vor allem der „Lebendigen Singener“, hätten diese doch die Champagnerkorken zu früh knallen lassen. Also Geduld, „wird schon noch werden“ steht zu befürchten – vielleicht schon jetzt, wenn diese Zeilen gelesen werden.

Trostpflaster für die Hegau-Straße

Zum Trost wird der erste Teilabschnitt der Hegaustraße schon mal neu „gepflastert“: helle sandsteinbeige, großformatige Betonplatten werden bald den Weg „veredeln“, ums künftige „Cano“ soll es schließlich besonders schick aussehen. Oder, so die städtische Version: Auch Singens Einkaufsnebenstraßen werden aufgemöbelt, denn man wolle den dort ansässigen Einzelhandel ja nicht vernachlässigen … Aber auch diese Neugestaltung braucht schon Wochen länger als anfangs angekündigt und sorgt vorerst mehr für Unmut als für Freude bei Geschäftsinhabern und Fußgängern.

Fritz Murr