Wie aus Demonstrationen ein Dialogformat wurde

Auch kaltes Wetter am Morgen hält das Frühstücksbus-Team nicht davon ab, mit zahlreichen Menschen ins Gespräch zu kommen. Foto: Lena Reiner

In Friedrichshafen dreht in diesem Jahr der „Frühstücksbus“ bereits zum dritten Mal eine Woche lang seine Runde und macht an unterschiedlichen Stationen halt, um zum Gespräch einzuladen. Dahinter steckt eine Gruppe politisch interessierter Menschen, die zunächst als loser Zusammenschluss aktiv waren und schließlich zum Jahresende 2017 den gemeinnützigen Verein „Frühlingserwachen“ gegründet haben. Mit ihnen hat sich unsere Autorin zum Gespräch getroffen.

Der Name ist beinahe das Einzige, was von den ersten Anfängen übrig geblieben ist, denn zu Beginn war nicht der Dialog das Ziel. „Es ging ums Aufwachen, darum, dass die ganze Gesellschaft in einen Winterschlaf gefallen ist und sich von den Rechten erzählen lässt, dass Geflüchtete eine große Gefahr darstellen.“, erläutert Luca Messerschmidt, der von Anfang an dabei war und heute eines von drei Sprecher- bzw. Vorstandsämtern des Vereins bekleidet. „Am Anfang ging es uns vor allem darum, Rabatz zu machen und zu zeigen: Die AfD ist hier nicht erwünscht.“, erinnert sich David Mairle, der ebenfalls vom Tag eins an der Initiative treu geblieben ist.

Das erste gemeinsame Teetrinken

Im Januar 2016 begann „Frühlingserwachen“, Gegenveranstaltungen vor dem größten Veranstaltungshaus in Friedrichshafen, dem Graf-Zeppelin-Haus, zu organisieren, während drinnen die AfD ihre Veranstaltungen abhielt. Jeweils in ein bis zwei Wochen wurde eine Aktion geplant, immer dann, wenn ein neuer Besuch der Partei angekündigt gewesen war: künstlerisch kreativ verliehen sie ihrer Ablehnung Ausdruck. „Dabei waren wir nie rein studentisch, obwohl das die Tageszeitungen oft so berichtet haben. Es waren von Anfang an Gewerkschafter dabei, Vertreter demokratischer Parteien und sogar Passanten haben sich uns spontan angeschlossen.“, erzählt Mairle. Umgedacht hätten sie dann, als sie bei einer der Aktionen länger geblieben seien und so mit Sympathisanten der AfD ins Gespräch kamen. Daraus sei die Idee entstanden, einen anderen Weg zu wählen, das erste gemeinsame Teetrinken wurde ins Leben gerufen.

Frühlingserwachen e.V.

… ist ein gemeinnütziger Verein mit Sitz in Friedrichshafen, der sich für eine weltoffene und tolerante Gesellschaft vor Ort einsetzt. Frühlingserwachen bietet verschiedene Formate an, die das Gespräch fordern (u.a. politisches Speeddating). Die Vereinsmitglieder glauben, dass ein Zusammenleben in aller Vielfalt möglich ist.

Der Frühstücksbus ist das größte Dialogformat von Frühlingserwachen. Mit kostenlosem Kaffee, Tee und Gebäck tourt er eine Woche lang durch einen Ort und macht täglich in einem anderen Ortsteil Halt, wo ein mobiler Gesprächsraum geschaffen wird, der niederschwellig für alle zugänglich ist. Mit dabei ist jeweils ein Standortteam von vier bis fünf Menschen, die sich im Vorfeld in einem professionellen Workshop im achtsamen Zuhören und gewaltfreier Kommunikation an Stelle von Gegenargumentationen geübt haben. Durch das kostenlose Angebot sind auch Menschen willkommen, die sich keinen Kaffee außer Haus leisten könnten.

„Wir hatten viel zu wenig heißes Wasser dabei und so ließ uns der Hausmeister spontan in die Küche. Da gab es einen ganz alten Wasserkocher, der total langsam war.“, erinnert sich Messerschmidt an den ersten Versuch eines Dialogangebots. Das Ergebnis? „Wir waren baff. Wir haben die Leute richtig irritieren können, wie wir da standen und ihnen Tee anboten.“ Johanna Reichel: „Ich will dazu sagen, dass wir nach den ersten Veranstaltungen immer mit einem richtig schlechten Gefühl nach Hause gegangen sind, innerlich aufgewühlt, verärgert. Wir haben schon schnell gemerkt: Das ist nicht konstruktiv, was wir da machen. Und dann kam das Teetrinken, das war viel besser. Da wurden Fronten aufgeweicht.“

Ein mobiles Dialogkonzept

Es folgte ein Bürgerfest am 6. März im benachbarten Lammgarten während einer weiteren Parteiveranstaltung, diesmal als eigenständiges Meeting und nicht als reines Gegenprogramm. „Das war das erste Mal, dass wir richtig gemerkt haben, dass das, was wir machen, auch einen Wert für die Stadtgesellschaft hat.“ Gleichzeitig sei ihnen aber klar gewesen, dass der Wirkungsradius zu klein gewesen sei. Die Menschen hätten schließlich gezielt in den Biergarten an der Uferpromenade kommen müssen. Und so sei schließlich die Idee entstanden, ein mobiles Dialogkonzept ins Leben zu rufen. „Ich habe mich mit dem damaligen Leiter der Netzwerkstelle für Asyl, Thomas Köhler, zum Kaffee getroffen und ihm von unseren Erfahrungen erzählt“, erinnert sich Messerschmidt. Köhler habe zugehört und schließlich gemeint, er habe ja immer schon von so einer Art Frühstücksmobil geträumt, das durch die gesamte Stadt toure und Menschen beim Kaffee zum Gespräch einlade.

Gesagt, getan. Von den „Flüchtlingsdialogen des Landes“ gefördert, bei einem Netzwerktreffen für Ehrenamtliche für gut befunden, wurde der erste „Frühstücksbus“ zur Landtagswahl 2016 in die Tat umgesetzt.

„Wir haben gemerkt, dass wir einen Nerv treffen und offene Türen einrennen“, erinnert sich Reichel. „So viele Leute haben uns geholfen.“ Den Bus stellte die Arkade – ein Ravensburger Trägerverein gemeindepsychiatrischer Angebote mit Untergruppe in Friedrichshafen -, die Kaffeemaschine der örtliche Weltladen, Lebensmittel gab es von Supermärkten und von Bäckereien teilweise reduziert, teilweise gratis, und das Team setzte sich aus vielen Engagierten zusammen, darunter unter anderem Gemeinderätin Christine Heimpel von der SPD, Streetworkerinnen der Arkade, Ehrenamtlichen des Eine-Welt-Vereins und der Bahnhofsmission sowie dem Leiter der Teestube, Jürgen Kegelmann.

Acht Standorte in sieben Tagen und zahlreiche Gespräche später war klar: „Das machen wir weiter.“ Florian Nägele von der Arkade urteilte in einer Abschlussrunde: „„Ich hab die Idee anfangs echt für sehr naiv gehalten. Und dann habe ich euch während der Woche besucht und gesehen: das ist ja voll aufgegangen!“

Vorurteile abgebaut, Zusammenhalt gestärkt

Das Konzept habe sich dabei aus den Erfahrungen mit Gegendemonstrationen entwickelt. „Wir haben gelernt, dass Dagegenhalten und Dagegenreden nichts bringen. Vielmehr möchten wir Menschen dazu anregen, mit Menschen in Kontakt zu treten, die eben nicht ihre Meinung teilen.“, erläutert Reichel. So könnten Vorurteile abgebaut und ein stärkerer Zusammenhalt innerhalb der Gesellschaft geschaffen werden.

„Friedrichshafen ist bunt, vielfältig und zeichnet sich durch viele kleine Projekte und jede Menge Zivilcourage aus. Was schon lange klappt, kann auch in Zukunft funktionieren. Wir vertreten ein positives und hoffnungsvolles Verständnis von Vielfalt und gemeinschaftlichen Zusammenleben.“, heißt es dazu im Leitbild von „Frühlingserwachen“.

Für die Zukunft wünscht sich „Frühlingserwachen“ viele Engagierte, die andernorts ebenfalls einen Frühstücksbus etablieren, der ein- bis zweimal im Jahr die Runde macht. Zur Unterstützung bietet der Verein Vorlagen für Flyer und Plakate sowie Pressemitteilungen, eine Schritt-für-Schritt-Anleitung, persönliche Beratung und gegebenenfalls sogar die Vermittlung von Fördermitteln an.

Lena Reiner

Kontakt: info@fruehlingserwachen.org – Webseite: www.fruehlingserwachen.org