Wie das Gendern über Konstanz in den deutschen Sprachraum kam
Das Gendern ist eines der heiß diskutierten Themen unserer Zeit. Der Gedanke, dass Sprache mehr als nur ein starres, bedeutungsloses Gebilde ist, ist aber kein Konstrukt des 21. Jahrhunderts, sondern lässt sich für Deutschland auf die späten 1970er zurückführen. In dieser Zeit ist Konstanz ein zentraler Schauplatz, über den Gendern, vor allem dank zwei starker Frauen, letztlich auch weitreichend in den deutschen Sprachraum kam.
International gesehen lässt sich die feministische Linguistik, also die Erforschung der Sprache aus feministischer Perspektive, auf die Schwarzenbewegung in den USA in den späten 1960er-Jahren zurückführen. In dieser Zeit wurde vermehrt Kritik an abwertenden Begriffen wie dem N-Wort oder dem M-Wort laut. Das löste weitreichende Kritik an Begriffen und Formulierungen in verschiedensten Sprachen aus. Basierend darauf wurde eine umfassende feministische Sprachkritik laut, die nicht nur einzelne Begriffe, sondern die gesamte Grammatik verschiedener Sprachen als unterdrückendes System enttarnte. So gilt auch für die deutsche Sprache, dass Frauen beispielsweise im generischen Maskulinum untergehen und einen Status der zweiten Wahl innetragen, wie es Luise F. Pusch formuliert. Gemeinsam mit Senta Trömel-Plötz gilt diese als Hauptbegründerin der feministischen Linguistik in Deutschland. Ebenfalls erwähnenswert ist an dieser Stelle Marlis Hellinger, die in Zusammenarbeit mit den beiden erstgenannten Frauen sowie Ingrid Guentherodt 1980 die „Richtlinien zur Vermeidung sexistischen Sprachgebrauchs“ herausbrachte und damit entsprechende Forschung zu geschlechtergerechter Sprache in Gang brachte.
Von der traditionellen Wissenschaft zum Feminismus
Bevor die beiden zentralen Protagonistinnen ihren Weg zur feministischen Linguistik fanden, waren sie bekannte Größen in ihrem Forschungsfeld. Trömel-Plötz studierte Linguistik in den USA, promovierte sowie habilitierte sich und war schließlich ab 1980 Professorin am Fachbereich Sprachwissenschaft der Universität Konstanz. Puschs Lebensweg verlief ähnlich. Sie studierte Anglistik, Latinistik und allgemeine Sprachwissenschaft in Hamburg, promovierte und habilitierte sich schließlich 1978 ebenfalls für das Fach Sprachwissenschaft an der Universität Konstanz. Pusch wurde durch vielfältige Stipendien gefördert und genoss durch ihren früheren Fokus auf traditionelle Linguistik großen Erfolg. Obgleich die Universität Konstanz damals als Reformuniversität galt, waren Trömel-Plötz und Pusch neben über hundert männlichen Professoren die ersten und einzigen angestellten Frauen dort.
Während beide Frauen anfangs noch gerne an deutschen Universitäten und auch in Konstanz gesehen waren, änderte sich das mit dem Jahr 1978 rasant. In diesem Jahr veröffentlichte Trömel-Plötz erstmals ihren soziolinguistischen Text „Linguistik und Frauensprache“ in der Fachzeitschrift „Linguistische Berichte“. Darin erörtert sie, dass eine Verwicklung von biologischem und grammatikalischen Geschlecht bestehe und was daran problematisch sei. Mit diesem Aufsatz legt Trömel-Plötz den Grundstein für eine Kritik am vermeintlich geschlechtsneutralen generischen Maskulinum, das in Wahrheit alle nicht-männlichen Geschlechter unsichtbar mache.
Auf ihre Veröffentlichung hin erfährt die Sprachwissenschaftlerin großen Gegenwind, weshalb sich Pusch entscheidet, ihre damalige Freundin zu unterstützen. 1979 veröffentlicht sie deshalb ihren Aufsatz „Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, doch weiter kommt man ohne ihr“, in dem sie die Idee von Trömel-Plötz bestärkt und Sprache als wandelbares Konstrukt darlegt. In verschiedenen Interviews erzählt die damals 35-Jährige Pusch, dass sie diesen Aufsatz für eine ihrer besten Arbeiten gehalten habe.
Wie wenige Seiten feministischer Linguistik wissenschaftliche Karrieren beendeten
Die männlich dominierte Universität habe das aber anders gesehen. Während die beiden vor der Veröffentlichung der zuvor genannten Aufsätze noch problemlos Einladungen zu Fachveranstaltungen und erfolgreiche Bewerbungen vorzuzeigen hatten, blieben diese kurz danach plötzlich aus oder verliefen im Nichts. Insgesamt erfuhren die beiden starken Gegenwind aus ihrem eigenen Fachgebiet, was letztlich dazu führte, dass ihnen ihre wissenschaftliche Karriere in Deutschland verbaut wurde. So beendeten also wenige Seiten feministischer Linguistik in kürzester Zeit zwei erfolgversprechende wissenschaftliche Karrieren in Deutschland.
Sowohl Trömel-Plötz als auch Pusch sehen den Grund dafür heute im politischen Stimmungsbild der damaligen Zeit. So wurde Pusch gesagt, dass sie die Harmonie am Fachbereich störe. In einem Interview mit Ronald Feemster von 1986 im Konstanzer Magazin „Nebelhorn“ formuliert sie trocken: „Wenn die Frau schweigt und ihre Meinung nicht sagt, dann herrscht die männliche Harmonie. Und die habe ich wohl gestört.“ Trömel-Plötz wandert damals in die USA aus, um dort als freie Linguistin und Autorin zu arbeiten, während Pusch ihre neue Beschäftigung in der Veröffentlichung von Aufsätzen, Glossen, Streitgesprächen, aber auch Vorträgen und Workshops im Rahmen der deutschen Frauenbewegung findet.
Der Stein kam ins Rollen
Die beiden zentralen Protagonistinnen teilten sich das Gebiet der feministischen Linguistik damals auf, um Konkurrenz zu vermeiden. So übernahm Trömel-Plötz das Gebiet der feministischen Gesprächsanalyse, in der sie beispielsweise Gesprächsanteile und Anzahl an Unterbrechungen in gemischtgeschlechtlichen Unterhaltungen untersucht hat. 1982 erschien dazu ihr Buch „Frauensprache. Sprache der Veränderung“. Dagegen spezialisierte sich Pusch auf das linguistische System, wozu sie 1984 ihr Buch „Das Deutsche als Männersprache: Diagnose und Therapievorschläge“ publizierte. Darin hebt sie hervor, dass die deutsche Sprache geprägt sei von einer Unterordnung der Frau gegenüber dem Mann, was den gesellschaftlichen Status von Frauen sprachlich widerspiegele. Als Lösung schlägt sie damals eine teilweise Entgeschlechtlichung der Sprache vor beziehungsweise das Binnen-I, zum Beispiel „AutorInnen“, sowie generische Femininformen. Bei diesen würden weibliche Formen, wie beispielsweise „Autorinnen“, genutzt, die dann alle Personen einschließen, also auch männliche Autoren. Damit stellt Letzteres das weibliche Pendant zum generischen Maskulinum dar.
Beide Veröffentlichungen schlagen damals weite Wellen und lösen breite Diskussionen um geschlechtergerechte Sprache aus. Durch ihren unermüdlichen Einsatz und mit Unterstützung der Frauenbewegung sowie dem deutschen Kulturbetrieb haben die beiden Linguistinnen es geschafft, dass Unternehmen und Zeitungen wie die heute weit bekannte Tageszeitung taz angefangen haben, gendergerecht zu formulieren. Damit haben sie den Stein hin zu geschlechtergerechter Sprache von Konstanz aus wesentlich ins Rollen gebracht.
Und wie sieht es heute aus?
Heute ist Puschs Buch über 140.000-mal verkauft worden, sie wurde unzählige Male als Lektorin oder für Vorträge eingeladen und genießt, genauso wie Trömel-Plötz, hohes Ansehen im Kontext der feministischen Linguistik. Den Kampf gegen das Patriarchat in der Sprache und allgemein begreift Pusch auch heute noch als zentral und beschreibt bei einem Podiumsgespräch auf der Feministischen Sommeruni 2018 Feminismus als eine Herzensgelegenheit.
Mittlerweile ist Gendern ein zentrales Thema in der Gesellschaft, das zwar noch wie vor kontrovers diskutiert wird, aber breite Aufmerksamkeit erlangt hat. So gibt es an zahlreichen Universitäten, in Unternehmen oder Firmen Empfehlungen und Vorschriften zum Gebrauch von gendergerechter Sprache. Das Binnen-I wurde dabei mittlerweile von anderen Zeichen wie dem Genderstern, dem Unterstrich oder dem Doppelpunkt abgelöst. Hintergrund dessen ist ein Kompromiss zwischen Frauenbewegung und der queeren Community, die den ursprünglichen Gedanken der Berücksichtigung der Frau in der Sprache weiterentwickelt hat, hin zu einer sprachlichen Sichtbarmachung aller Geschlechter. Mit den nachfolgenden Generationen wurde feministische Sprachkritik also zunehmend intersektional betrachtet. So nennt der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband e.V. (DBSV) in einer Stellungnahme beispielsweise das Gendersternchen als Version, die einem Konsenszeichen zwischen den unterschiedlichen beteiligten Gesellschaftsgruppen am nächsten komme.
Sprache braucht Wandel durch Sprachkritik
Die zahlreichen Diskussionen und die Arbeit an einer gerechten Sprache sind wichtig und richtig, denn Sprache ist untrennbar mit Machtfragen verbunden! Gleichzeitig werden mit der größeren Aufmerksamkeit des Genderns aber auch die Gegenstimmen lauter, die von einer Sprachpolizei schimpfen und keinen Sinn darin sehen. Eines ist den Gegenstimmen gemeinsam: Sie erkennen nicht an, dass Sprache mehr als nur starre Worte ohne Bedeutung sind, obwohl dies durch zahlreiche Linguist*innen und Beiträge im Rahmen der Sprachkritik bereits zur Genüge erläutert wurde. Worte tragen eine tiefere Bedeutung in sich, sie rufen Assoziationen hervor und sie können sowohl inkludierend als auch exkludierend sein. Das Gendern ermöglicht es, in der Sprache Menschen aller Geschlechter zu berücksichtigen und ist damit Grundlage für gerechte Sprache.
Und auch wenn das Gendersternchen noch keine optimale Lösung ist und sowohl von Gendergegner*innen allgemein als auch teilweise von feministischen Linguist*innen wie beispielsweise Pusch kritisiert wird, gilt dennoch: Sprache wird nicht von heute auf morgen perfektioniert und es muss Übergangsphasen auf dem Weg hin zu geschlechtergerechter Sprache geben. Das hat damals schon Pusch erkannt und das gilt bis heute. Sprache ist wandelbar, wie gegendert wird ist wandelbar, und ich freue mich darauf, diesen Prozess hin zu einer geschlechtergerechten Sprache mitzuerleben und mitzugestalten.
Das Gendern kam über Konstanz in den deutschen Sprachraum. Jetzt wird es Zeit, dass wir endlich kollektiv einsteigen in den Zug Richtung geschlechtergerechter Sprache im breiten Rahmen und dafür sorgen, dass die Bemühungen von Trömel-Plötz, Pusch und vielen anderen noch mehr bewirken, als sie es ohnehin schon getan haben!
Autor*in: Connie Lutz
Bild: RODNAE Productions auf Pexels
Bildbeschreibung für Menschen mit eingeschränktem Sehvermögen: Das Bild zeigt eine weiblich gelesene Person mit schwarzer Mundmaske, die ein schwarzes Schild vor ihrem Körper in den Händen hält, auf dem mit weißem Tape „I want to be heard“ (dt.: Ich möchte gehört werden.) zu lesen ist.
Quellen zur weiteren Auseinandersetzung:
- Leseclub: „Das Deutsche als Männersprache“ von und mit Luise Pusch
- Sookee und Luise Pusch „Feminismus und Sprache“. Feministische Sommeruni 2018. Das Gespräch gibt es mittlerweile auch hier als Buch zu lesen.
- Luise F. Pusch und der Genderstern. Ein Interview mit Christine Olderdissen von Genderleicht.
Ich kann es wahrlich nicht nachvollziehen ,das nun, wo es endlich Fortschritte gibt für die Selbstbestimmung in punkto Geschlechtlicher Identität ,es so viel Wiederstand dagegen gibt. Den Missbrauch ,der hier beim Selbstbestimmungsgesetz herbeigeredet wird, gab es doch für Menschen die sich jenseits der ihnen zugewiesenen Geschlechteridentitäten bewegt haben ,als Alltagserfahrung ständig. Um ihren Weg zu finden mussten sie gegen Mauern der Fremdbestimmung ankämpfen .Das dies sich nun langsam ändert ,sollte doch auch im Sinne eines sich solidarisch verstehenden Feminismus sein.
Ich zitiere:
„Jetzt wird es Zeit, dass wir endlich kollektiv einsteigen in den Zug Richtung geschlechtergerechter Sprache …“
Dazu möchte ich sagen: „Kollektiv“ steige ich in keinen Zug. Und wer „wir“ ist, ist noch ungeklärt. Wie es auch ungeklärt ist, was „geschlechtergerechte“ Sprache ist und wer die diesbezügliche Entscheidungs- und Definitionsmacht hat.
Aber ich bin dafür, dass darüber offen und frei diskutiert wird.
So ist es – unliebsame Feministinnen werden, auch heute noch, gecancelt.
Luise Pusch hat sich übrigens gerade erst in der taz zum Selbstbestimmungsgesetz sehr kritisch geäußert – sie lehnt es ab, da es nicht genügend durchdacht ist und zum Missbrauch einlädt. (Interview vom 15.04.23). Sehr lesenswert!
https://taz.de/!5925435/
Schöne Grüße an „Connie Lutz“.