Wie es Bürgermeister Boldt mit der Wahrheit hält

20110913-224032.jpgDas ist ein Lehrstück in Demokratie: Ein Konstanzer Stadtrat, hier: Jürgen Wiedemann (NLK), später unterstützt von Eberhard Roth (CDU), traut den Aussagen von Bürgermeister Boldt nicht, sondern lässt sie vom Regierungspräsidium in Freiburg überprüfen. Und wird bestätigt. Der Fall des gefeuerten Chefarztes Prof. Müller-Esch gewinnt damit eine neue Dimension. Und schon wird der Rücktritt von Bürgermeister Claus Boldt gefordert.

Es war am 28. April 2011, Rathaus Konstanz, nicht-öffentliche Sondersitzung des Gemeinderates in seiner Eigenschaft als Stiftungsrat, einziger Tagesordnungspunkt: Fristlose Kündigung von Prof. Dr. Müller-Esch als Chefarzt des Zentrums für Innere Medizin am Klinikum Konstanz. Die Forderung von Stadträten, Müller-Esch in der Sitzung zu hören, wird vom zuständigen Bürgermeister Claus Boldt mit dem Hinweis abgeschmettert, die Gemeindeordnung lasse das gemäß Paragraf 33,2 nicht zu. Nach fünfstündiger Sitzung stimmt der Stiftungsrat der Kündigung mit 18 zu 11 Stimmen zu (seemoz berichtete mehrmals). Ein Protokoll dieser Sitzung übrigens liegt nach Auskunft mehrerer Stadträte bis zum heutigen Tag nicht vor.

§ 33 Gemeindeordnung Baden-Württemberg 

(2) Der Vorsitzende kann den Vortrag in den Sitzungen des Gemeinderats einem Gemeindebediensteten übertragen; auf Verlangen des Gemeinderats muss er einen solchen Bediensteten zu sachverständigen Auskünften zuziehen.

Es darf, um es vorsichtig auszudrücken, gefragt werden, ob dieser Hinweis auf Paragraf 33 überhaupt sachdienlich war – das Regierungspräsidium immerhin kommt in seiner Stellungnahme zu dem Schluss, Müller-Esch hätte durchaus angehört werden können. Und der letzte Satz des Freiburger Schreibens liest sich wie eine Ohrfeige: „Wir haben die Stadtverwaltung gebeten, den Stiftungs- bzw. Gemeinderat über die Möglichkeit der Mitwirkung Dritter in den kommunalen Gremien künftig richtig und vollständig zu informieren“.

Neue Diskussion im Gemeinderat

Die Stadträte Roth und Wiedemann haben dieses Schreiben in Konstanz breit gestreut. Und sie haben beantragt, auf der nächsten Sitzung des Gemeinderates am 22. September dieses Thema zu diskutieren. Ausdrücklich fordern sie Oberbürgermeister Frank auf, dies in einer öffentlichen Sitzung beraten zu lassen.

Bürgermeister Boldt wird wohl an dieser Gemeinderatssitzung nicht teilnehmen – „er ist auf Dienstreise“. An der Spitze einer Schauspieler-Delegation des Konstanzer Theaters reist er nach Irak/Kurdistan. So wird er die Diskussion im Gemeinderat leider versäumen. Wie auch die Eröffnung des Internisten-Kongresses unter der Präsidentschaft von Müller-Esch am kommenden Wochenende im Konstanzer Insel-Hotel (Seemoz berichtete). Statt seiner soll Dr. Christiane Kreitmeyer im Namen der Stadt den Ärzte-Kongress eröffnen.

Pikant, denn auch die FGL-Stadträtin stimmte dereinst wohl für die Entlassung des Chefarztes. Pikant außerdem, dass Bürgermeister Boldt offensichtlich im Vorfeld des Kongresses bei der veranstaltenden Südwestdeutschen Gesellschaft für Innere Medizin zu bedenken gab, ob man denn gut beraten sei, an Müller-Esch als Tagungspräsidenten festzuhalten – der Kongress tagt trotzdem unter Taktführung des einstigen Chefarztes, die Antwort der Veranstalter dürfte also eindeutig gewesen sein.

Nicht verpassen dürfte Bürgermeister Boldt allerdings die Rücktrittsforderung an seine Adresse. Die nämlich wurde von der Linken Liste Konstanz bereits am 13.9. an die Medien versandt; hier die Mitteilung im Wortlaut:

Bürgermeister Boldt muss zurücktreten 

In der nichtöffentlichen Stiftungsratssitzung im April hat eine Mehrheit beschlossen, den ehemaligen Leiter des Zentrums für Innere Medizin des städtischen Klinikums, Gert Müller-Esch, im Eilverfahren zu entlassen. Mehrere Gemeinderäte, darunter auch die der Linken Liste, forderten damals, dass Müller-Esch die Möglichkeit eingeräumt werden solle, im Rat seine Sicht der Dinge darzulegen. Bürgermeister Claus Boldt erklärte daraufhin, man habe dies seitens der Verwaltung rechtlich geprüft, es sei nach § 33, Absatz 2 der Gemeindeordnung jedoch nicht möglich.
Das Ergebnis der von den Stadträten Wiedemann und Roth beim Regierungspräsidium beantragten Überprüfung dieser Behauptung Boldts lässt nur zwei Schlussfolgerungen zu: Entweder kennen der Bürgermeister und seine Leute die Gemeindeordnung nicht oder er hat den Gemeinderat belogen, um den Rauswurf so schnell und geräuschlos wie möglich über die Bühne zu bringen. Denn das Regierungspräsidium schreibt klipp und klar, dass die Gemeindeordnung durchaus die Möglichkeit bietet, Müller-Esch als „betroffene Person Gelegenheit zu geben, seine Auffassungen im Gemeinderat vorzutragen“.
Claus Boldt, der Konstanz schon im „Maultaschenfall“ zu trauriger Berühmtheit verholfen hatte, ist unserer Überzeugung nach damit endgültig untragbar geworden. Ob Unfähigkeit oder arglistige Täuschung – ein solcher Mann ist für die kommunale Demokratie inakzeptabel. Er muss abtreten.

Solche Volksvertreter braucht unsere Demokratie

Und das alles ist nur der Hartnäckigkeit zweier Stadträte zu danken, die sich mit der arroganten Auskunft eines vermeintlich kompetenten Juristen und Bürgermeisters nicht zufrieden gaben. Sondern nachhakten, bestätigt wurden und nun die Diskussion um die Entlassung von Prof. Müller-Esch neu aufrollen. Solche Volksvertreter braucht unsere Demokratie. Und die in Konstanz offensichtlich besonders.

Autor: hpk

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