Wie retten wir unsere Erde? – 44. Naturschutztage in Radolfzell suchen nach Lösungen

Die Erderhitzung war ein Schwerpunktthema der 44. Naturschutztage von BUND und NABU am vergangenen Wochenende in Radolfzell. So wurde auch der Gerhard Thielcke-Naturschutzpreis an zwei Preisträger verliehen, die den „Klimawandel ins öffentliche Bewusstsein gebracht haben“: an den Umweltjournalisten Werner Eckert und an die Fridays for Future-Gruppe Konstanz. Deren Vortrag „Was passiert, wenn die 1,5-Grad-Grenze überschritten wird?“ machte drastisch deutlich, wie sehr sich die Jugend von der Politik beim Handeln für eine zukunftsfähige Klimapolitik weiterhin im Stich gelassen fühlt.

Eigenlob für das Klimapaketchen

Nach Eröffnung der Naturschutztage durch BUND-Landesgeschäftsführerin Sylvia Pilarski-Grosch und einem Grußwort von Radolfzells Oberbürgermeister Martin Staab, versuchte Rita Schwarzelühr-Sutter (MdB und Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Umwelt, Sicherheit, Naturschutz und nukleare Sicherheit) die Aktivitäten der Bundesregierung zur angestrebten Klimaneutralität dem Publikum nahezubringen: Das Thema sei „in der Mitte der Gesellschaft angekommen“ … bis 2050 „werden wir zwar nicht alle Treibhausgase vermeiden können, aber die, die es tatsächlich noch gibt, dann in den Senken entsprechend binden“. Ein Umbau der Wirtschaft und Gesellschaft sei machbar, gab sie sich überzeugt.

Rita Schwarzelühr-Sutter

Von der Klimakonferenz in Madrid hätte sie sich mehr erhofft, diese sei „kein Schub nach vorn gewesen“, aber es sei „vor allem der EU bei den Verhandlungen zu verdanken, dass wir nicht hinter Paris zurückgefallen sind“. Und weiter: „Wir haben also insgesamt in Madrid zwar Fortschritte gemacht, es gab eine Verständigung, aber auf dem nächsten Klimagipfel in Glasgow, da kommt es dann zum Schwur, wie die Klimabeiträge angeschärft werden, so dass wir das 2-Grad-Ziel bzw. das 1,5-Grad-Ziel tatsächlich erreichen“, redete sie den mehrheitlich als enttäuschend kritisierten Minimalkonsens des Klimagipfels schön – mit Lob für Ursula von der Leyens angekündigten New Green Deal: „Darum sollte aus meiner Sicht das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 auch gesetzlich verankert werden und unter deutscher Ratspräsidentschaft [im Europarat] im nächsten Jahr wollen wir das Klimaschutzgesetz auch finalisieren.“

Leitbilder habe die Bundesregierung festgelegt, 54 Milliarden Euro werde diese für den Klimaschutz zur Verfügung stellen, jeder Sektor müsse seine Ziele erfüllen, mit einem Mix aus Anreizen und Vorgaben und nicht nur gesetzlichen Regelungen würden die Klimaziele erreicht werden: Viel Eigenlob für das „Klimapaketchen“ der GroKo und ein das Publikum wohl wenig überzeugender Vortrag, dennoch gab es höflich Applaus …

… und harsche Kritik dafür von Fridays for Future

Eklatanter hätte der Szenenwechsel mit dem nachfolgenden Vortrag „Aufwachsen ohne Zukunft – was passiert, wenn die 1,5-Grad-Grenze überschritten wird?“ von Noemi Mundhaas und Manuel Oestringer, zwei der FFF-Aktiven aus Konstanz, nicht sein können. Sie habe im vergangenen Jahr mit vielen Politikern geredet und sei „oft genug, an deren Lustlosigkeit, Nichtstun, verzweifelt. … Die Politik hat noch nicht verstanden, dass der Klimawandel angekommen ist“, so drückte Noemi Mundhaas ihre Enttäuschung aus. „Wir sind die Kinder mit Fieber und wir haben lange darauf gewartet, dass uns unsere Eltern retten, müssen uns aber darauf einstellen, dass sie es nicht tun.“

Wie real die Gefahr ist, dass bereits bei einem Temperaturanstieg von 1,5 Grad oder wenig mehr mit einzelnen Kipp-Punkten (wie Schwinden des Regenwaldes, Auftauen des Permafrostes etc.) unkontrollierbare Kettenreaktionen ausgelöst würden und das Artensterben noch in diesem Jahrhundert unumkehrbar werde, belegten sie mit Tabellen, Schaubildern und Zitaten z.B. aus Berichten des Weltklimarates. Die Bundesregierung hingegen wolle weiter fünfmal mehr CO2 ausstoßen, als es uns zustehe, und sie subventioniere weiter umweltschädliche Emissionen. Unverständlich ist für die FFF-Aktiven auch, dass die GroKo sich weigere, ein konkretes CO2-Budget zu benennen. „Die Ziele der Bundesregierung haben nichts mit dem 1,5-Grad-Ziel zu tun“, so ihre Kritik.

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Wie es nun weitergehen könne – nach einem Jahr mit Freitagsdemos – dazu gibt es einen Plan: Die Ziele von „German Zero“ (ein neuer gemeinnütziger Verein, gegründet von Heinrich Strößenreuther, u.a. Deutschlands erfolgsreichster Fahrradaktivist) würden genau zu denen von Fridays for Future passen, erklärte Manuel Oestringer: Ein 1,5-Grad-Klimagesetz müsse verabschiedet werden, und auch in der Verfassung müssten die 1,5 Grad festgeschrieben werden, eine realistische CO2-Steuer brauche es und Deutschland solle bis 2035 klimaneutral sein. German Zero will dafür vor allem die „Generation 30 plus“ aktivieren. – Spürbare Enttäuschung und viel Kritik seitens der beiden Referenten, auch direkt an die SPD-Politikerin Rita Schwarzelühr-Sutter gerichtet. Lange tosender Applaus war die Reaktion aus dem Saal.

Antworten einer sichtlich dünnhäutig gewordenen Staatssekretärin

„Wie geht es Ihnen nach dem FFF-Vortrag?“, war eine Publikumsfrage bei der anschließenden Podiumsdiskussion. Was dazu die erfahrene Politikerin zur Antwort gab, verblüffte – gelinde gesagt – dann doch: „Ich möchte zwei Punkte nochmals klarstellen. Wir wissen alle, wie dringlich das ist und dass wir gefordert sind. Aber es kam sehr apokalyptisch rüber … Und das Zweite – da haben Sie ja groß applaudiert –, das Fakt ist nicht von mir, sondern vom IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change = Zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderungen), dass es tatsächlich noch möglich ist, die Erderwärmung auf die 1,5 Grad zu erreichen … Ich glaube, es geht hier nicht ums Glauben, sondern wir reden hier über Fakten … wir wissen, wohin die Erde driftet, es ist nicht ein Erkenntnismangel. Es ist ein Mangel, wie wir es tatsächlich umsetzen, und deswegen glaube ich einfach, … fühle ich mich jetzt in der Richtung auch eher mal herausgefordert, dass ich sage …, dann legen Sie jetzt aber mal die Maßnahmenvorschläge komplett auf den Tisch und dann bin ich gespannt, ob die Zustimmung auch vor einer Wahl … da muss man das konkretisieren und da muss man sich auch ehrlich machen … Oder wir machen einen Mix, einmal Ordnungsrecht, einmal Anreize, um auch Alternativen zu haben … So ist es für mich zwar toll, dass Sie mobilisieren, … aber jetzt legen Sie die Karten auf den Tisch, was Sie sonst noch vorhaben.“

Die Jugend soll es richten, was hochdotierte SpitzenpolitikerInnen nicht hinbekommen? Wie frustrierend – oder die eigene planmäßige politische Unverbindlichkeit und das Kalkül auf die Maximierung der Wiederwahlwahrscheinlichkeit entlarvend – muss also der Vortrag der FFF auf die Fachfrau gewirkt haben, um eine solche Forderung an Jugendliche zu stellen?! Pfui und viel Buuh erntete sie dafür, aber auch vereinzelten Beifall.

Wunsch der FFF für 2020

Ein CO2-Budget nach dem Gerechtigkeitsprinzip und dass die Bundesregierung es allein schaffe, das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten, ohne dass die FFF jeden Freitag weiter auf die Straße müssten, wünschte sich abschließend Manuel Oestringer. Unterstützung dafür formulierte auch Sylvia Pilarski-Grosch, die sich erhofft, dass mehr Mut bei den Klimaschutzmaßnahmen gezeigt werde, sodass man mehr umsetzen könne, als Politiker manchmal für machbar halten.

Forderungen der Naturschutzverbände an die Landesregierung

BUND und NABU kritisieren zudem die grün-schwarze Landesregierung, dass diese mit ihrer Zielsetzung, den Treibhausausstoß bis 2030 um gerade mal 42 Prozent und bis 2050 um 90 Prozent zu verringern, die Pariser Klimaschutzvereinbarungen nicht einhalten würden. Baden-Württemberg dürfe nicht hinter den Zielen der Bundesregierung zurückbleiben, sondern eine grün-geführte Landesregierung müsse sich „ambitioniertere Ziele“ setzen. Die Verbände fordern einen Ausstiegsfahrplan für die Kohleverstromung. Das Kohlekraftwerk Mannheim, das für zehn Prozent des CO2-Ausstoßes im Land verantwortlich sei, müsse schnellstmöglich vom Netz. Gleichzeitig müsse dafür der Ausbau der Windenergie wiederbelebt und mehr in Solarenergie investiert werden. Außerdem solle sich die Landesregierung bundesweit für ein Tempo-Limit von höchstens 130 Stundenkilometer einsetzen.

„Den Klimawandel ins öffentliche Bewusstsein gebracht“

BUND-Preisträger Werner Eckert

Für diese Leistung als Natur- und Umweltschützer wurden der SWR-Redakteur Werner Eckert und die Fridays for Future-Gruppe Konstanz mit dem Gerhard Thielcke-Preis des BUND ausgezeichnet. Werner Eckert leitet beim SWR die Redaktion „Umwelt und Ernährung“, ist Fach-Kommentator in den Tagesthemen, hat von mehr als 20 UN-Klima-Konferenzen berichtet und macht zusammen mit Umweltökonomen Tobias Koch den Podcast „Klimazentrale“. „Werner Eckert gehört zu den qualifiziertesten Umweltjournalisten der deutschen Medienlandschaft“, der seit vielen Jahren an Klima- und Umweltthemen arbeite und sich ein Riesenwissen angeeignet habe, so Sylvia Pilarsky-Grosch zur Entscheidung des BUND-Landesvorstands. Der Ausgezeichnete selbst fand es übrigens „komisch, als Journalist eine Rede über sich selbst zu hören“, während er gewöhnlich doch über andere rede, doch freue er sich aber sehr über die Wertschätzung seiner Arbeit. Umweltthemen hätten ihn schon immer fasziniert. Kein Problem könne isoliert betrachtet werden, sondern sei immer ein Querschnitt aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik.

Dank ihren Gesprächen mit PolitikerInnen, Aktionen und freitäglichen Demos habe die Konstanzer Fridays vor Future-Gruppe Druck auf Stadt und Gemeinderat ausgeübt. „Ein bundesweiter hörbarer Paukenschlag“ sei die Ausrufung des Klimanotstandes in Konstanz, als erster deutscher Stadt überhaupt, gewesen, lauten Lob und respektvolle Anerkennung seitens des BUND für das Engagement der SchülerInnen und StudentInnen. „Wir freuen uns total über den Preis“, bedankte sich die 15-jährige Frida Mühlhoff anschließend stellvertretend für die ganze Gruppe. Ohne Unterstützung vieler, darunter auch Organisationen wie BUND, NABU, Verdi sei dies aber nicht möglich gewesen. Doch sie fügte auch hinzu, dass trotz Klimanotstand sich auch Konstanz nicht auf dem 1,5-Grad-Kurs befinde. Als ihren Wunsch für 2020 nannte sie „ein sozial-ökologisches Klimabündnis.“

Uta Preimesser (Fotos: Dieter Heise)