Wie wäre es denn mit sozialen Korrekturen?

Es war eine der größten Demonstrationen der vergangenen Jahre, und gewiss eine bedeutende – bezog sie doch zur wichtigsten gesellschaftlichen Frage klar Stellung: Wohin führt der Weg der deutschen Bundesrepublik? Dass rund 1500 Menschen in der 85.000-EinwohnerInnen-Stadt Konstanz diese Frage auf der Straße mit einem klaren Bekenntnis zu Demokratie, Humanität und Solidarität beantworteten, macht Mut, kann aber nur ein Anfang gewesen sein. Wie belastbar die am Freitag zur Schau gestellte Einigkeit gegen Rassismus, Nationalismus und autoritären Staat ist, wird sich in der Praxis beweisen müssen.

Es war in diesem Fall wirklich das oft bemühte breite Bündnis, das am Freitag einen bunten Querschnitt der Konstanzer Bevölkerung auf die Beine gebracht hatte. In den langen Demonstrationszug, der sich am Nachmittag vom Konzilvorplatz auf den Weg durch die Innenstadt in Richtung Münsterplatz machte, hatten sich ersichtlich viele eingereiht, die sonst selten auf Demos gesichtet werden. Davon zeugt auch die lange Liste von unterstützenden Gruppen, die zu Beginn der Abschlusskundgebung verlesen wurde. Sie umfasste nicht nur die üblichen Verdächtigen; zu der Aktion gegen den gesellschaftlichen Rechtsruck aufgerufen hatten zahlreiche zivilgesellschaftliche Gruppen – Vereine, SeniorInnen- und Jugendverbände, Kultureineinrichtungen (darunter das Theater Konstanz), Flüchtlings- und Menschenrechtsinitiativen, Gewerkschaften, Religionsgemeinschaften, und, nicht zu vergessen, Antifa-Gruppen.

„Wir sind nicht nur mehr, wir sind viel mehr“, konnte denn auch Petra Rietzler mit einiger Berechtigung den DemonstrantInnen auf dem Münsterplatz zurufen. Die stellvertretende SPD-Ortsvorsitzende hatte nach den Jagdszenen in Chemnitz und Köthen die Initiative zu „#wirsindmehr“ angeregt, der sich, auch das bemerkenswert, alle im Konstanzer Rat vertretenen Fraktionen und die Ortsverbände ihrer Parteien von links bis rechts anschlossen. So konnte am Freitag das seltene Bild bestaunt werden, wie linke AktivistInnen Seite an Seite mit CDU-Funktionären (darunter OB Uli Burchardt, der auf Anfrage die Schirmherrschaft übernommen hatte) gegen Abschiebungen und für internationale Solidarität demonstrieren.

Den Schulterschluss gegen Rechts sollte auch eine gemeinsame Stellungnahme unterstreichen, auf die sich die Ratsfraktionen und Parteien im Vorfeld geeinigt hatten. Die von Petra Rietzler vorgetragene Erklärung prangert mit Blick auf inzwischen alltäglich gewordene rechte Gewalttaten an, dass Hass, Gewalt und nationalsozialistische Gesinnung offen zur Schau getragen werden können. „Menschen mit scheinbar anderer Herkunft werden durch die Straßen gejagt“, empört sich Rietzler. Den „Gaulands, den Gedeons, den Weidels und ihren braunen Gefolgsleuten“ die zu solchen Taten aufwiegelten, müssten DemokratInnen entgegentreten. „Rechtsradikale Gesinnung, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus haben in unserer Gesellschaft keinen Platz“, so das Parteien-Statement (der vollständige Redetext hier zum Nachlesen).

Rudy Haenel, Konstanzer Rechtsanwalt, der seit Jahren MigrantInnen und Geflüchtete juristisch betreut, hielt in seinem Redebeitrag ein flammendes Plädoyer gegen Rassismus. Es dürfe nicht geduldet werden, dass „in dieser Stadt auch nur eine Geflüchtete, auch nur ein Mensch mit einer anderen Hautfarbe, einer anderen Sexualität, einem anderen Glauben, mit einer Kippa oder einem Kopftuch, sei er Kurde, Jezidin oder Roma, sei er Türkin oder Gambier oder anderer Nationalität, verfolgt, verletzt, diskriminiert oder respektlos behandelt wird“.

Scharf griff Haenel dabei Politiker der Berliner Regierungskoalition wie CSU-Innenminister Seehofer an, „die im ersten Satz sagen: sie haben nichts gegen Geflüchtete, und im zweiten Satz: die Migration sei die Mutter aller Probleme in Deutschland.“ Wer so etwas äußere, wolle nur davon ablenken, dass er „statt Probleme zu lösen, diese mit seiner Politik der Geldgier und der Machtgier, der Huldigung des Lobbyismus und des Kapitalismus nur verstärkt hat!“ Nicht die Geflüchteten seien daran schuld, dass es zu wenig Wohnraum, Niedriglöhne oder Armutsrenten gäbe, erklärte der Rechtsanwalt und forderte Wachsamkeit „gegenüber Ungerechtigkeit, Intoleranz und Rassismus – jederzeit“ (der Beitrag im Wortlaut hier).

In dieselbe Kerbe hieb der Gewerkschafter Bernhard Hanke, der für die IG Metall, ver.di und den DGB auf der Redetribüne stand. Auch er kritisierte scharf, dass „namhafte Bundes- oder Landespolitiker versuchten, die AfD rechts zu überholen“. Nicht zu Unrecht könne sich die AfD rühmen, „dass ihre Forderungen zum Teil schon umgesetzt wurden“. Hanke nannte als Beispiele die Verschärfung des Asylrechts und den Abbau demokratischer Rechte durch reaktionäre Polizeigesetze. Solche Vorstöße „schwächen die neuen Braunen nicht, sondern sind Wasser auf ihre Mühlen“. Die Probleme der Menschen im Land entstünden nicht durch Geflüchtete, so der Gewerkschafter, sondern wegen „unsozialer Lebensverhältnisse, unter denen viele leiden, ob mit oder ohne deutschen Pass“. Als probates Mittel gegen die rassistische Spaltung empfahl er faire Löhne, gute Arbeit, auskömmliche Renten und bezahlbarer Wohnraum (ganzer Beitrag hier).

Wie ernst es vor allem den beteiligten Parteien mit dem Kampf gegen Rechts ist, muss sich in der politischen Praxis erweisen. Denn der faschistische Mob, der sich mit Schützenhilfe der AfD in Chemnitz, Köthen und anderswo austobte, ist nur die Spitze des Eisbergs. In Berlin und Stuttgart greifen Teile des Spitzenpersonals von am Bündnis beteiligten Parteien längst die rechte Hetze auf. Mit Obergrenzendiskussionen etwa oder dem Festhalten an einem Verfassungsschutzchef, der kaum verhohlen mit der AfD sympathisiert, spielen sie den Rechten in die Karten.

In Konstanz müssten die lokalen FunktionsträgerInnen sich davon abgrenzen. Wie wäre es etwa, um nur ein Beispiel zu nennen, mit einer Offensive für einen sozialen Wechsel in der Wohnungspolitik und mehr Unterstützung für Arme im nächsten Haushalt? Und schon bei der kommenden Gemeinderatssitzung bietet sich den Ratsfraktionen die Möglichkeit, tätige Solidarität zu üben, indem sie einem Antrag der Linken Liste zur Mehrheit verhelfen, mit dem Konstanz sich verpflichtet, vor dem Ertrinken gerettete Geflüchtete aufzunehmen. „Solidarität muss praktisch werden …“, war eine der Parolen, die bei der Demo gerufen wurden.

J. Geiger (Foto: hpk)