Wir können auch anders
Alltagsrassismus, Racial Profiling, rechte Gewalt – nur einige der Probleme und Bedrohungen, mit denen MigrantInnen hierzulande zu kämpfen haben. Doch zunehmend mehr Betroffene sind nicht mehr bereit, sich in die Opferrolle zu fügen. Gemeinsam wollen sie rechtem Zeitgeist, Nazi-Terror und Behördenversagen die Stirn bieten. Auch in Konstanz ist deshalb seit einiger Zeit eine Gruppe der Migrantifa aktiv.
Alltagsrassismus, Racial Profiling, rechte Gewalt – nur einige der Probleme und Bedrohungen, mit denen MigrantInnen hierzulande zu kämpfen haben. Doch zunehmend mehr Betroffene sind nicht mehr bereit, sich in die Opferrolle zu fügen. Gemeinsam wollen sie rechtem Zeitgeist, Nazi-Terror und Behördenversagen die Stirn bieten. Auch in Konstanz ist deshalb seit einiger Zeit eine Gruppe der Migrantifa aktiv.
Das vergangene Jahr war nicht nur von der Corona-Pandemie geprägt, sondern auch von antirassistischen Aufständen und Demonstrationen. Die Ermordung George Floyds am 25. März 2020 in der US-amerikanischen Stadt Minneapolis markierte den ersten Schritt der Entwicklung. Es bildeten sich politische Gruppen und Organisationen von BIPoC (Black, Indigenious, People of Colour), doch auch MigrantInnen begannen, ihre Stimme zu erheben. Der Rassismus und rechte Terror in der Bundesrepublik intensivierte sich ebenso: der 19. Februar 2020 in Hanau (Hessen) steht dabei für ein Ereignis, das nicht nur Sinnbild für den gesellschaftlichen Rechtsruck ist, sondern auch das tagtägliche Versagen der deutschen Behörden.
Ganz gleich ob der NSU-Terror, der antisemitische Anschlag in Halle (Sachsen) am 9. Oktober 2019 oder eben nun Hanau: das Vertrauen in den Staat ist schwer beschädigt. MigrantInnen werden nicht gehört, mitunter wird an ihnen eine Täter-Opfer-Umkehr praktiziert, geschuldet einem strukturellen Rassismus, der tief in der Gesellschaft verankert ist. Aufarbeitung und Aufklärung ist das Gebot der Stunde, dem sich emanzipatorische migrantische Organisationen und Menschen verschrieben haben, um ein Gegengewicht zur herrschenden Meinung zu schaffen.
Der 8. Mai 2020 – der Tag der Befreiung vom deutschen Faschismus – kann als Startschuss der Migrantifa verstanden werden. An diesem Tag fand, von den etablierten Medien kaum beachtet, ein bundesweiter Generalstreik statt. Die Migrantifa – also migrantische AntifaschistInnen – haben besonders in Berlin und Frankfurt/Main viel Zulauf, doch auch hier in Konstanz sind sie verankert und bemüht, ihre Perspektive und Stimme hörbar zu machen. Eben dieser 8. Mai war ausschlaggebend für die Migrantifa Konstanz. In einer „weiß-dominierten“ Stadt wie Konstanz sei es dringend notwendig, jenen einen Gehör zu verschaffen, die von der „weißen“ Mehrheitsgesellschaft entweder ignoriert oder nicht für voll genommen würden, so ein Mitglied der Gruppe.
Zu Beginn ihrer Tage war die Migrantifa nur virtuell präsent, doch spätestens seit den Black-Lives-Matter-Demonstrationen oder den Gedenkkundgebungen zu Hanau und Halle sind sie auch auf der Straße bemerkbar. Ihr Anliegen ist es, besonders über antimuslimischen Rassismus aufzuklären, doch werden die übergreifenden Aspekte dabei nicht vergessen. Um Rassismus zu bekämpfen, dürfe man nicht bei der Diskriminierung gegenüber MuslimA halt machen, sondern müsse jegliche Form aufgreifen – besonders auch den Antisemitismus, sind sich die Aktiven einig. Dass die Migrantifa bundesweit immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert werde, sie würden AntisemitInnen eine Plattform geben, wird in Konstanz kritisch gewürdigt. Antisemitische Vorurteile von MuslimA dürften kein Vorwand sein, die Diskriminierung dieser Bevölkerungsgruppe hinzunehmen.
„Antisemitismus und Rassismus muss einheitlich gedacht werden“ – so der Tenor aus Konstanz. Dabei versteht sich die hiesige Gruppe als dezidiert linke Organisation, die auch die Überwindung des kapitalistischen Systems im Auge hat. Denn der Rassismus sei eine inhärente Eigenschaft der herrschenden Ideologie. Dabei eckt die Migrantifa nicht selten selbst in linken Strukturen an: Auch in einer „weiß-dominierten“ Linken müssen MigrantInnen erst einmal darum ringen, gehört zu werden. Besonders „weiße Männer“ in der Szene würden durch ihre Sozialisierung aufgesogenen Rassismus und Sexismus praktizieren. Das mache die Arbeit besonders auch im linken Kontext wichtig und unabdingbar.
Die Bilanz nach fast einem Jahr Migrantifa Konstanz fällt größtenteils positiv aus. Durch ihren Ansatz, linke Kämpfe zu vereinen und Gräben zu überwinden, konnte sich die Gruppe gut in linken Zusammenhängen verankern. Eine besondere Kooperation gebe es mit der VVN-BdA sowie der Stolperstein-Initiative in Konstanz. Die Zusammenarbeit auch mit bürgerlichen Organisationen wollen die migrantischen AktivistInnen nicht kategorisch ablehnen, denn die „Themen sind wichtig genug, um auch die Mitte zu erreichen“. Konkrete Kooperationen habe es bis dato aber noch nicht gegeben.
Die Corona-Pandemie erschwert die Arbeit der Migrantifa Konstanz ohnehin – besonders seit dem Lockdown im November vergangenen Jahres. Aktionsformen und Möglichkeiten sind während der Pandemie ziemlich eingeschränkt, weil für die Organisation die Einhaltung des Infektionsschutzgesetz eine hohe Priorität hat. Nichtsdestoweniger bleibt ihre Arbeit notwendig, denn in der Pandemie leiden gerade MigrantInnen besonders. Den „Zorn“, der sich daraus entwickelt, sehen die AktivistInnen zugleich als Motor sich zu wehren, denn „Zorn ist immer gut“. Die Migrantifa hat den Anspruch, „dass sich alle migrantische Menschen vertreten fühlen“, und legt Wert darauf, dass für Aktionen und Taten nicht zwingend theoretisches Grundwissen Voraussetzung ist: „Man braucht keine Theorie, um Rassismus zu überwinden.“
E. Nowak (Bilder: Migrantifa Konstanz)
Mehr Infos und Kontaktmöglichkeit: www.instagram.com/migrantifakonstanz