„Wir rufen zu allen Friedenskundgebungen auf“
Eine starke Linke wäre in diesen neoliberalen Zeiten dringender denn je. Aber wo steht die Partei Die Linke? Warum ist von ihr so wenig zu hören? Liegen ihre Probleme an den politischen Schwerpunkten, die sie setzt? An der inneren Zerrissenheit? Anlässlich des Neujahrsempfangs des linken Kreisverbands stellte sich Sahra Mirow, Landessprecherin der Partei Die Linke, den Fragen von seemoz.
seemoz: Sahra Mirow, du bist Landessprecherin der Partei Die Linke in Baden-Württemberg. Worin siehst du derzeit die wichtigste Aufgabe einer linken Partei?
Sahra Mirow: Die Gesellschaft muss sozial gerechter werden. Hohe Einkommen und große Vermögen sollen fair besteuert werden, damit der sozial-ökologische Umbau vorangebracht wird. Die Gesellschaft muss klimaneutral werden. Und wir brauchen eine Friedensinitiative, um den Krieg in der Ukraine zu beenden.
seemoz: Was fehlt der Linken in Baden-Württemberg? Die hat ja bei der Landtagswahl 2021 kein gutes Ergebnis erzielt …
Mirow: Wir haben es nicht geschafft, in den Landtag einzuziehen. Wir haben aber Stimmen dazugewonnen. Das lag auch an unserem klaren mietenpolitischen Profil. Bei den Mieten liegt die Hälfte der bundesweit teuersten Städte in Baden-Württemberg, daran haben zwölf Jahre grün geführte Landesregierung nichts geändert. Deshalb haben wir nach der Wahl die Kampagne „Mieten runter“ ins Leben gerufen.
seemoz: Es gibt linke Hochburgen, das sind zum Teil auch die Unistädte. Auf dem flachen Land dagegen, zum Beispiel in Singen und im Hegau sind die Ergebnisse eher bescheiden.
Mirow: In den großen Städten schneiden wir besser ab. Künftig wollen wir uns in den mittelgroßen Städten stärker verankern. Konstanz und Singen sind große Kreisstädte; in Konstanz sind wir mit drei Personen im Gemeinderat vertreten. Das wollen wir bei den Kommunalwahlen im nächsten Jahr ausbauen.
seemoz: Was muss besser werden?
Mirow: Als linke Partei organisieren wir gesellschaftliche Proteste. Bei den aktuellen Tarifstreiks im öffentlichen Nahverkehr stehen wir an der Seite der Beschäftigten und der Klimabewegung. Es ist die Aufgabe einer linken Partei, gute Arbeitsbedingungen und günstigen Nahverkehr im Sinne des sozial-gerechten Klimaschutzes zusammenzubringen und diese Stimmen in die Parlamente zu tragen.
seemoz: Was erwartet ihr von der Bundespartei? Was könnte sie tun, damit es in Baden-Württemberg besser wird?
Mirow: Der Parteivorstand mit Janine Wissler und Martin Schirdewan an der Spitze setzt gute Akzente. Die Themen der Umverteilung werden wir an den Fokus rücken; die großen Vermögen gehören endlich besteuert.
seemoz: Aber es gibt ja auch parteiinterne Konflikte. Wie könnten die gelöst werden – beispielweise in der Friedensfrage?
Mirow: In der Friedensfrage haben wir eine klare Position. Die Partei und die Bundestagsfraktion haben sich gegen Waffenlieferungen ausgesprochen. Dazu hat die Fraktion einen Antrag mit der Forderung „Diplomatie statt Panzer“ eingebracht. In einer pluralistischen Partei gibt es mitunter unterschiedliche Vorstellungen, die diskutiert werden müssen.
seemoz: Sind diese Konflikte überbrückbar? Danach sieht es eher nicht aus, siehe das Beispiel Wagenknecht.
Mirow: Die Fraktion und der Parteivorstand haben zur Ukraine einen klaren Beschluss gefasst, der den richtigen Ansatz hat.
seemoz: Gilt das auch für den Aufruf von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer?
Mirow: Das Manifest, das von Wagenknecht und Schwarzer gestartet wurde, haben viele Menschen unterschrieben.
seemoz: Und dazu gibt es nicht mehr zu sagen?
Mirow: Inhaltlich gibt es da keine Konfliktlinie. Wir rufen als Linke zu allen Friedenskundgebungen auf.
seemoz: Kommen wir auf Baden-Württemberg zurück. Welches sind hier die Hauptthemen?
Mirow: Wir legen den Fokus auf die Wohnungspolitik und auf der Verkehrsfrage. Baden-Württemberg ist ein Industrieland. Die Frage, wie man die Industrie und die Autoindustrie klimaneutral umbauen kann, ist eine zentrale Frage für die Zukunft im Land. Wir brauchen einen sozial-ökologischen Umbau, bei diesem Prozess müssen die Beschäftigten mitgenommen werden. Eine zweiwöchige Fortbildung reicht da nicht. Es braucht ein Recht auf solide Weiterbildung, und dafür muss das Land einen Transformationsfonds schaffen. Der Umbau zu ökologischer Mobilität kann viele Arbeitsplätze schaffen. Der sozial-ökologische Umbau wird nur mit dem Ausbau des Nahverkehrs gelingen, dafür braucht man Leute.
seemoz: Derzeit wird der öffentliche Verkehr ja eher abgebaut, wenn man sich das kommende Desaster mit der Gäubahn anschaut, die von Stuttgart abgehängt wird.
Mirow: Das ist ein großes Problem. Das Großprojekt Stuttgart 21 zieht die Mittel ab, und das trifft die gesamte Infrastruktur.
Interview: Helmut Reinhardt und Vjollca Veliqi | Foto: Pressestelle Die Linke Ba-Wü
Morgen erscheint ein Gespräch mit Sibylle Röth, Sprecherin der Linken im Kreis Konstanz