„Wir sind der Schmerz und nicht der Hass“
Keine vier Wochen Ruhe gab es am Theater Konstanz. Nachdem die Querelen um Intendant Christoph Nix und die Baden-Württembergischen Theatertage überregional für Aufsehen sorgten, kommt nun der nächste Skandal: Die Inszenierung von „Mein Kampf“ rauscht gerade bergauf und bergab durch die Medienlandschaft. In einer Pressekonferenz stellten sich Theaterintendant Christoph Nix, TV-Comedian und Regisseur Serdar Somuncu, Dramaturg Daniel Grünauer sowie Theaterreferent Daniel Morgenroth den Journalisten.
Eine solche Ansammlung von Kameras, Tonbandgeräten und Schreibblöcken gibt es in der Provinzstadt selten, zuletzt bei der tödlichen Schießerei in einer Diskothek. Im Namen der Kultur trifft man sich sonst eher im kleinen Kreis und bespricht die Stücke bei einer Tasse Kaffee. Nicht so hier und gestern. Weder Kaffee noch eine Stückanalyse sind im Rahmen dieser Veranstaltung möglich.
Seit Tagen tobt im Netz die Diskussion um die Eintrittspolitik des Stückes. Die Zuschauer müssen sich mit dem Kauf einer Karte entscheiden, ob sie während der Inszenierung eine Armbinde mit Hakenkreuz tragen wollen – in diesem Fall ist die Eintrittskarte umsonst – oder ob sie den regulären Preis bezahlen und sich einen Davidstern ans Revers heften. In einem offenen Brief distanzieren sich sowohl die Gesellschaft für Christlich-Jüdisch Zusammenarbeit in Konstanz e.V., die Deutsch-Israelische Gesellschaft e.V. sowie die Theaterfreunde Konstanz von dieser Idee und rufen zu einer dritten Variante auf: gar keine Karte kaufen. Die Aktion sei geschmacklos, die Premiere an Hitlers Geburtstag inakzeptabel. Ein Boykott der Inszenierung scheint die einzige Strategie.
50 Hakenkreuztickets sind bislang im Umlauf
In einem juristischen Gutachten, das für das Theater angefertigt wurde, wird die Idee der Symbolverwendung weiter ausgeführt: „Die Inszenierung sieht vor, dass während der Aufführung einmal das Licht ausgeschaltet wird. Der gesamte Zuschauerraum wird nun nur noch von Schwarzlicht erhellt, das die Hakenkreuze zum Leuchten bringt. Dadurch sollen diejenigen Zuschauer für alle sichtbar werden, die sich aus Geiz erklärt haben, ein faschistisches Symbol zu tragen.“ Weiter wird in diesem Gutachten die Kunstfreiheit begründet, welche das Zurschaustellen der Hakenkreuze, was ansonsten im öffentlichen Bereich verboten ist, legitimiert.
Ob diese Argumentation überzeugend ist, wird derzeit von der Staatsanwaltschaft Konstanz geprüft, wo drei Anzeigen gegen das Theater eingegangen sind. Somuncu betont, dass man sich noch immer im künstlerischen Prozess befinde. Wie die Aktion letztendlich abläuft, wird sich bei der Premiere am Freitag zeigen. Es könne auch sein, dass sich jeder eine Mickey Maus anstecken soll, so der Regisseur.
Bislang haben sich nach Aussagen des Theaters aber bereits um die 50 Personen ein kostenloses Hakenkreuzticket gesichert. Wie das funktioniert, erklärt einer von ihnen im Netz: „Ich habe zwei Karten mit Print@Home für 0,00 € erworben und schon ausgedruckt. Man muss im Warenkorb im Dropdown nach der Sitzplatzauswahl dann von Vollpreis auf „Hakenkreuz-Freikarte“ wechseln. Ein etwas ungutes und bedrückendes Gefühl habe ich dabei zwar schon; ich hoffe mal auf entsprechendes Feedback (evtl. auch der lokalen Presse) nach den ersten Vorstellungen …“
Ob Geiz das Motiv der Korrumpierbarkeit ist, wie Somuncu interpretiert, lässt dieser Kommentar nicht erkennen. Überhaupt bleibt umstritten, mit welcher Intention sich die Hakenkreuz-Zuschauer ein Ticket sichern. In einem Gespräch nach der Pressekonferenz wird darüber diskutiert. Es wird erzählt, dass eine Frisörin in Konstanz sich ein Ticket mit Nazisymbol geholt habe, da sie noch gar nicht wisse, ob sie an diesem Termin frei bekomme und ein regulärer Kartenkauf ein zu hohes finanzielles Risiko darstellen würde. Oder von einem Studenten wird berichtet, dessen Vorfahren als politische Gegner des NS-Regimes in einem KZ den Tod gefunden haben. Auch er hat sich ein Hakenkreuzticket gesichert, um das Symbol zu dekonstruieren. Es sind also nicht nur „geizige Arschlöcher“ (Zitat Somuncu), die sich dieser Strategie bedienen, sondern Menschen mit unterschiedlichen Motiven. Ein bescheidenes Bruttogehalt zum Beispiel. Oder der Fakt, dass man Derrida gelesen hat.
Happy Birthday, Adolf?
In der Pressekonferenz findet jedenfalls nur ein anderes Thema Beachtung: das Premierendatum. Der kommende Freitag, 20. April, ist der Geburtstag Adolf Hitlers und somit ein weiterer Streitpunkt, an dem sich die Geister scheiden. Intendant Nix erklärt, dass er sehr eng mit George Tabori, dem Autor des Stückes, befreundet war. Zu der rechtlichen Einschätzung der Hakenkreuz-Causa wird den Journalisten ein Zeitungsartikel der SZ aus dem Jahr 2003 ausgehändigt, in welchem Nix über einen Spaziergang mit Tabori schreibt – Titel „Wie ich Tabori das Leben rettete und keiner hat‘s bemerkt“. In einem Gespräch habe Tabori zu Nix gesagt, solle er jemals das Stück inszenieren, dann mit Premiere am 20. April. Er folge also mit dieser Aktion einem Wunsch Taboris, der 2007 verstorben ist und sich somit nicht mehr selbst zu der Angelegenheit äußern kann. Einen Marketing-Gag weist der Intendant streng von sich.
Nix entschuldigt sich bei all jenen, die durch die Aktion verletzt worden seien. Dies sei nicht im Sinne des Theaters. Im Gegenteil, man wolle auf die Feinde aufmerksam machen und diese befinden sich im rechten Flügel der Gesellschaft. Mit der provokanten Idee kreiere man diesen nicht, man mache lediglich sichtbar, dass er existiert. Das Theater sieht Nix als einen Ort des Diskurses. „Wir sind der Schmerz und nicht der Hass“ so lautet das Schlusswort seines Plädoyers.
Provokation als Aufgabe des Theaters
Somuncu erläutert, dass er nicht vorhabe, mit dem Stück einen bequemen und unterhaltsamen Theaterabend zu gestalten, sondern durch Distanzlosigkeit zum Publikum eine klare Positionierung einfordert. Nur so sieht er eine Bewusstseinsbildung als möglich an. Auf Nachfragen der Journalisten und Vertreter diverser Organisationen kocht die Stimmung im Raum innerhalb kurzer Zeit auf Höchsttemperatur. Der Regisseur wirft den Medienvertretern vor, dass ihr unachtsamer Umgang mit der Thematik zu Missverständnissen geführt habe, welche den Shitstorm erst ermöglicht hätten.
Arthur Bondarev von der Synagogengemeinschaft Konstanz fühlt sich gekränkt, Lasse Stodollick von der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Bodenseeregion berichtet, dass er von Somuncu als „opportunistisches Arschloch“ bezeichnet wurde – mit einem Augenzwinkern, das Gespräch sei ja sonst ganz nett gewesen. Summa summarum fühlen sich die Pressevertreter ordentlich auf den Schlips getreten: Die Pressekonferenz des Theaters Konstanz zu „Mein Kampf“ lässt sich in einem Satz zusammenfassen: „Alles Deppen außer uns.“
Eine inhaltliche Besprechung des Stückes, das übrigens 1993 schon einmal in Konstanz über die Bühne ging – skandalfrei –, ist nicht möglich. Somuncu muss zur Lichtprobe und nachdem festgestellt wurde, dass nur zwei der anwesenden Journalisten das Stück gelesen haben, scheint auch hier ein Dialog wenig fruchtbar. Inhaltlich wird man sich also nach der Premiere weiter unterhalten können – hoffentlich auch in der Intensität der bisherigen Diskussion.
Wenn Sie nun durch die Vielzahl an Stimmen und Meinungen den Adolf vor lauter Hitler gar nicht mehr erkennen und sich nicht im Klaren darüber sind, ob Sie das Stück überhaupt besuchen wollen, erfahren Sie mehr mit unserem Psychotest: „Welcher Theatertyp bin ich?“ Demnächst auf dieser Seite.
Veronika Fischer (Probenfoto Theater Konstanz/Ilja Ness)
Da fällt mir ein: Was macht eigentlich Jonathan Meese?
Kunstfreiheit kennt weite Grenzen. Doch je breiter sie ausgelegt werden, desto größer ist auch die Gefahr, dass sie zum Deckmantel missbraucht wird. Die, die sich auf sie berufen, tragen Verantwortung. Und diese Verantwortung endet nicht im Ansinnen der Effekthascherei. Sie geht über die Provokation hinaus. Kunstfreiheit bedarf der Weitsicht, die Folgen ihres Handelns in all ihren Facetten mit einzukalkulieren. Ob das dieses Mal beim Theater Konstanz tatsächlich geschehen ist, man mag es angesichts der Reaktionen bezweifeln.
Denn gerade dort, wo der Künstler die Interpretationsfähigkeit des Publikums implementiert sieht, ist er im Besonderen darauf angewiesen, dass die Zuschauer auch wahrhaftig der Tragweite der Deutung willens sind, die vielleicht ein Regisseur als selbstverständlich ansieht. Theater soll den Menschen den Spiegel der Gesellschaft vorhalten, zweifelsohne. Doch wie arg darf es dabei das Bild verzerren, das der Gast am Ende zu sehen bekommt?
Das Spiel mit der Geschichte, es ist stets ein heikles Thema. Und tatsächlich hätte es mehr Feingefühl bedurft: Ein anschließendes Entschuldigen, es wäre nicht nötig gewesen, hätte man zulasten von manch Pomp und Schlagzeile darauf verzichtet, das Limit des Schauspiels bis aufs Äußerste zu reizen. Es ist eben nicht dasselbe: Theater zu betreiben – und Theater zu bestaunen. Wahrscheinlich hat das inszenierfreudige Theater Konstanz dieses Mal die Erwartungshaltung eines mündigen Zusehers überschätzt – aus Gründen des Reizes am Dehnbaren. Doch nicht alles, was machbar ist, ist auch nötig…