„Wir sind vier der über tausend …“ (1)

Über tausend Frauen, Männer und Kinder fielen während der Nazi-Zeit in Konstanz und der näheren Umgebung Krankenmorden und Zwangssterilisationen zum Opfer. Das ist eines der beschämendsten Kapitel der deutschen und der regionalen Geschichte. Trotz der erschreckend großen Anzahl bleiben die Schicksale der Opfer in der im Juni 2022 eröffneten NS-Dauerausstellung im Konstanzer Rosgartenmuseum ausgeblendet.

Statt die Dimension dieser Verbrechen aufzuzeigen, ist in der Ausstellung der frappierend lapidare Satz zu lesen: „Wer nicht jüdischer Geschäftsmann, Gewerkschafter, Sozialdemokratin, Kommunist, strenggläubige Katholikin oder Zeuge Jehovas war oder auf andere Weise in Konflikt mit dem Terror- und Verfolgungsapparat kam, der hatte es durchaus gut in Hitlers Reich.“ Den Besucherinnen und Besuchern – besonders fatal: den vielen Jugendlichen und ganzen Schulklassen – wird so ein völlig verkehrtes Geschichtsbild vermittelt: In Konstanz seien Kranke nicht bedroht gewesen; hier habe es keine „Euthanasie“-Opfer gegeben; hier hätten keine Männer, Frauen und Kinder gelebt, die, zu „Ballastexistenzen“ erklärt, Opfer des NS-Rassenwahns wurden.

Keine Schautafel, keine Vitrine

Berta Amann (stehend) mit ihrer Schwester Helene um 1918

Eine der 499 Frauen und 609 Männer, für die das Erbgesundheitsgericht Konstanz eine Unfruchtbarmachung einleitete, und eine der 508 Patientinnen und Patienten der „Heil- und Pflegeanstalt bei Konstanz“ (heute: ZfP Reichenau), die in den Tötungsanstalten Grafeneck und Hadamar ermordet wurden, hieß Berta Amann. Die junge Frau war seelisch erkrankt und in Depressionen verfallen. Am 15. Juli 1934 wurde sie in die Heil- und Pflegeanstalt bei Konstanz eingewiesen, also zu einer Zeit, als das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ bereits in Kraft getreten war. Darauf basierend stellte der stellvertretende Anstaltsleiter Dr. Albert Kühne am 1. August 1934 – lediglich zwei Wochen nach ihrer Einweisung – den Antrag zur „Unfruchtbarmachung“. Begründet wurde dies, wie so oft, mit der vermeintlichen „Erbkrankheit“ Schizophrenie.

Das Erbgesundheitsgericht Konstanz beschloss daraufhin am 27. August 1934 die Sterilisation Berta Amanns. Neben Kühne unterzeichnete das Urteil auch Dr. Ferdinand Rechberg. Er war Beisitzer des Erbgesundheitsgerichts, gleichzeitig Leiter des Gesundheitsamts Konstanz und für über tausend Zwangssterilisationen verantwortlich. Diese schwerwiegende und risikoreiche Operation wurde ein halbes Jahr später in der städtischen Frauenklinik Konstanz ausgeführt.

Berta Amanns kleine Tochter Rosemarie – den meisten KonstanzerInnen dürfte die alemannische Mundart-Dichterin Rosemarie Banholzer ein Begriff sein – radelte damals Woche für Woche zur Anstalt, wo ihr die Mutter bei den Hausaufgaben half und das Stricken beibrachte. Sie habe ihre Mutter als vollkommen normal erlebt und diese für sie so schreckliche Situation nicht verstehen können, erzählte sie später. Am 2. April 1941 wurde Berta Amann im Rahmen der „Aktion T4“, dem Mordprogramm an über 70.000 PsychiatriepatientInnen und AnstaltsbewohnerInnen, in der hessischen Tötungsanstalt Hadamar vergast.

Keine Schautafel und kein Ausstellungsstück weist in der Konstanzer NS-Dauerausstellung auf Opfer wie Berta Amann und auf die Täter der „völkischen Rassenhygiene“ hin. Höchstens aus Zufall stößt der Besucher, die Besucherin bei einem Touchscreen unter der banalisierenden Überschrift „Repressionen im Alltag“ auf zwei Kurzbiografien. Das ist beschämend.
In unserer Stadt darf kein Platz sein für die Marginalisierung und Leugnung nationalsozialistischen Unrechts.

Sabine Bade für den Arbeitskreis NS-Eugenik Konstanz
(Fotos: Privatarchive Banholzer, Didra, Frey und Schroff)

Die Serie wird fortgesetzt. Demnächst folgen Informationen darüber, wie das Konstanzer Gesundheitsamt seine Opfer aufspürte, um den „gesunden Volkskörper“ zu schützen.