„Wir streiten für ein solidarisch finanziertes und bedarfsorientiertes Gesundheitswesen“
Gestern war Tag der Pflege. In diesem Jahr fiel er mitten in die Corona-Krise, die dem plötzlich als systemrelevant entdeckten Personal in Kliniken und Pflegeheimen viel Applaus einbrachte. Viele Beschäftigte nutzten das Datum, um mit Aktionen auf die gravierenden Mängel aufmerksam zu machen, an denen das auf Marktkonformität zugerichtete Gesundheitswesen krankt. Auch in Südbaden machten sich Pflegekräfte für bessere Arbeits- und Einkommensbedingungen stark und drängten auf systemische Veränderungen in der Gesundheitspolitik.
[the_ad id=’68671′]
Auf die oftmals prekäre Situation in Pflegeheimen etwa wies die Gewerkschaft ver.di mit einer Tour zu verschiedenen Einrichtungen in Südbaden hin. Ein „ver.di-Mobil“ machte unter anderem beim Evangelischen Sozialwerk in Müllheim und im ASB Seniorenzentrum Albtal in Albbruck Station. In Freiburg waren Teamdelegierte und ver.di-AktivistInnen den ganzen Tag im Klinikum unterwegs, um die Öffentlichkeit daran zu erinnern, auch nach der Krise die systemrelevanten Beschäftigten in den Krankenhäusern nicht zu vergessen (das Bild zeigt die Krankenpfleger Jürgen Gißler und Joschka Guttkus). Im Landkreis Konstanz nahm der Kreisverband der Linken den 12. Mai zum Anlass, sich für ein Umsteuern in der Gesundheitspolitik und auch beim regionalen Gesundheitsverbund stark zu machen (siehe Kasten).
In einer Pressemitteilung des ver.di-Bezirks Südbaden Schwarzwald formulieren die GewerkschafterInnen ihre Forderungen an die Politik:
ver.di fordert eine Anerkennungsprämie von 500 Euro für alle Beschäftigten in den systemrelevanten Tätigkeiten für jeden Monat, den die Krise andauert. Für die Pflegeeinrichtungen wurde eine Prämie von 1500 Euro durchgesetzt, die im Juli fällig wird. Ingo Busch, Gewerkschaftssekretär bei ver.di Südbaden Schwarzwald, macht deutlich: “Die Anerkennungsprämie ist gut und richtig. Wir anerkennen die Übernahme der restlichen Finanzierung der Prämie für die Beschäftigten der Altenpflege durch das Land. Und wir haben die Signale aus dem Landtag gehört, dass auch andere systemrelevanten Beschäftigten eine Prämie verdient haben, wie zum Beispiel die Kolleg*innen aus der Krankenpflege und in der Behindertenhilfe. Wir nehmen die Abgeordneten beim Wort. Wir brauchen aber dann langfristig tarifierte deutlich höhere Vergütungen im gesamten Gesundheits- und Sozialbereich. Das gilt in der Krise und nach der Krise.“
Die Krise ist ein weiterer Beleg dafür, wie dringend verbindliche, am Bedarf orientierte Personalvorgaben in den Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern sind. Die Beschäftigten und ihre Gewerkschaft ver.di haben bereits vor der Corona-Pandemie immer wieder auf den Personalmangel und die Überlastung hingewiesen. Michael Herbstritt, Gewerkschaftssekretär bei ver.di Südbaden Schwarzwald, erklärt: „Es braucht jetzt endlich bessere Rahmenbedingungen für gute Pflege, dazu gehören vor allem verbindliche Personalschlüssel und mehr Personal, eine Vergütung die der Systemrelevanz der Berufe entspricht sowie eine ausreichende, bedarfsgerechte Finanzierung des Sozial- und Gesundheitswesens.“
Den Kolleg*innen in der Pflege ist es wichtig, am Internationalen Tag der Pflege deutlich zu machen, dass gute Pflege nicht allein von Pflegefachkräften geleistet werden kann. Michael Herbstritt: „Gute Pflege ist immer eine Teamleistung – der Pflegeteams, aber auch der Teams aus Pflege, Kolleg*innen aus der Reinigung, Hauswirtschaft, Therapeut*innen, Ärzt*innen und anderen mehr. Nur im Team kann die Qualität der Pflege und dementsprechend eine gute Pflege erreicht werden.“ Ingo Busch erläutert weiter: „Die Beschäftigten waren vor der Krise und sind jetzt in der Krise systemrelevant. Sie bleiben es aber auch nach der Krise – und das gerade auch als Team. Ein Pflegeheim ohne Betreuungs- und Hauswirtschaftskräfte, ohne Einhaltung der Hygienevorschriften durch das Reinigungspersonal, wäre undenkbar und würde von jeder Heimaufsicht sofort geschlossen werden. Es ist notwendig die Team-Leistung guter Pflege endlich zu erkennen und anzuerkennen“.
Die Gewerkschafter unterstreichen: „Die gegenwärtige Krise bestätigt unsere Kritik an Kürzungen und an der Ökonomisierung unserer Branche. Deshalb streiten wir weiter für ein solidarisch finanziertes und bedarfsorientiertes Gesundheits- und Sozialwesen – und für den Schutz der Gesundheit und der Arbeitsplätze aller Kolleginnen und Kollegen in dieser Krise. Wenn die Beschäftigten im Sozial- und Gesundheitswesen wirklich so systemrelevant sind, dann muss das Konsequenzen haben. Ein Weiterso wie vor der Pandemie darf es nicht geben und wird es nicht geben.“
Linke: Menschen vor Profite – Pflegenotstand stoppen
Die Pandemie hat offengelegt, wie falsch unser Gesundheitssystem organisiert ist. Jahrelang wurden die Krankenhäuser auf Markt und Profit zugeschnitten, auch der Gesundheitsverbund Konstanz macht dabei keine Ausnahme. Betten und Stationen müssen immer nahezu ausgelastet sein, damit sich der Betrieb rechnet. Steigen wie jetzt bei der Corona-Krise die medizinischen Anforderungen, fehlen in vielen Bereichen Reserven.
Schon im Normalbetrieb kostet die Ausrichtung auf Gewinn nach Expertenmeinungen tausende Menschenleben. Auch in den Krankenhäusern im Kreis mussten in den vergangenen Jahren immer wieder Abteilungen mangels Personal geschlossen werden, die Geburtsklinik in Radolfzell hat der Verbund wegen fehlender Gewinnaussichten ganz geschlossen. Für die Beschäftigten bedeutet das marktkonforme Gesundheitswesen große Arbeitshetze und kleine Löhne.
In der Krise hat nun plötzlich auch die Politik die Systemrelevanz der Pflegebeschäftigten entdeckt. Bisher bleibt es allerdings bei wohlfeilem Applaus und leeren Versprechungen. Der Gesundheitsminister hat zwar Prämien versprochen, die sollen aber zum Großteil von den Pflegekassen – und damit aus den Eigenanteilen der Gepflegten – finanziert werden. Für die großen Konzerne hingegen macht die Bundesregierung Milliarden locker!
Damit muss endlich Schluss sein. Die Corona-Krise ist ein Weckruf, für ein Umsteuern im Gesundheitswesen zu kämpfen. Mit unserer Gesundheit darf kein Profit gemacht werden. Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen müssen nach Bedarf finanziert und in die Hände von Kommunen und Ländern überführt werden. Zur Finanzierung muss die Pflegeversicherung zu einer Vollversicherung ausgebaut werden.
Wir brauchen zudem umgehend Schritte für eine Aufstockung des Personals auf jeweils 100.000 mehr Pflegekräfte in den Krankenhäusern und der Altenpflege. Als einen ersten Schritt fordern wir sofort 500 Euro mehr Grundgehalt für alle Beschäftigten in der Pflege.
MM/jüg (Foto: ver.di Südbaden Schwarzwald)
Wenn alle Engel wären, wären Patientenschutzorganisationen überflüssig, niemand müsste sich wegen eines Kunstfehlers mit erheblichem Prozeßrisiko durch die Instanzen klagen. Es gäbe keine Skandale wegen Industriesilikon in Brustimplantaten. Es hätte vor Weihnachten 2019 in Hamburg und Niedersachsen keine Durchsuchungen an 47 Orten wegen Verdacht auf Abrechnungsbetrug mit Krebsmedikamenten gegeben, bei denen es um Bestechung und Bestechlichkeit mit der Verordnung von Zytostatika in Millionenhöhe, wie zuvor schon zuvor in Bottrop (Apothekerskandal mit einer Schadenssumme von 50 Millionen Euro), ging. Die von den Krankenkassen verfolgten Neufälle stiegen innerhalb von zwei Jahren um 4191 Vorgänge.
Natürlich liegt es mir fern, alle Leistungserbringer in Misskredit zu bringen. Nachdenklich wird man schon, wenn die Betriebskrankenkasse Mobil Oil, wenige Wochen vor der Razzia in Norddeutschland, in einer Pressemitteilung über Hintergründe informiert: „Auch wenn es sich insgesamt um Einzelfälle handelt, sind die Folgen immens: Abrechnungsbetrug, Bestechung und Urkundenfälschung bringen die gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherungen und damit letztlich die Beitragszahler jährlich um etwa 20 bis 50 Milliarden Euro. (BKK Mobil Oil, 04.12.2019).“
Da sind Whistleblower und Staatsanwaltschaften gefordert um Fehlverhalten oder Korruption aufdecken zu können und es bedarf einem gesetzlichen Hinweisgeberschutz, damit mehr Menschen sich trauen, auf Missstände im Gesundheitswesen hinzuweisen. Ebenso braucht es zur Korruptionsbekämpfung, besonders in Baden-Württemberg, eine spezialisierte, landesweit zuständige und aktive Staatsanwaltschaft, die sich mit dieser Spezialmaterie auskennt. Nur in Hessen, Thüringen, Bayern und Schleswig-Holstein sind diese eingerichtet.
„ Schmerzen von Patienten durch Medizinprodukte und die psychologischen Folgen kann man nicht so gut sehen wie Contergan-Schäden. Das sei der Grund, warum Implantate weniger streng reguliert seien als Arzneimittel“, sagte Prof. Carl Heneghan in einem Tagesschau – Interview. In dem Zusammenhang steht die Frage im Raum, warum Deutschland bei Implantaten so wenig prüft.
Das Kunstmuseum Basel hat inzwischen entschieden nicht mehr mit der Sackler – Stiftung zusammenzuarbeiten. Direktor Josef Helfenstein sagte: „ Das Thema Ethik muss wichtiger werden.“ Aus der Schweiz ist bekannt, dass Pharmafirmen viel Geld an Ärzte, Organisationen und Spitäler zahlen (2017 waren es 162 Millionen Franken). Von dem Geld werden Ärzte zu Kongressen eingeladen, Berater- und Vertragshonorare wie auch Reisen, Übernachtungen und Essen bezahlt.
Der Familie Sackler, versuchte kürzlich sich in Gstaad niederzulassen, ihr wird von der amerikanischen Staatsanwaltschaft u. a. die „ Überflutung von US – Gemeinden mit verschreibungspflichtigen Schmerzmitteln“ vorgehalten. Über die Opioidkrise in den USA gab es erst kürzlich eine arte-Dokumentation.
Es ist viel Schwarzgeld im Gesundheitssystem mit dem man berechtigte Lohnerhöhungen finanzieren könnte. Dazu müssten Gewerkschaften, Krankenversicherungen und Beschäftigte im Gesundheitswesen, wie auch der Altenpflege, kooperieren.
Denn das Vorhaben, kommende Defizite durch Beitragserhöhungen (dieses Mal nur für Arbeitnehmer) oder Leistungskürzungen zu finanzieren, schadet allen arbeitenden Menschen.