„Wir wurden von Niemandem instrumentalisiert“
Morgen findet auf der Insel Mainau in Anwesenheit des französischen Botschafters in Deutschland die Einweihung des Gedenksteins (ein französischer Granit aus der Bretagne) für die 33 auf der Mainau 1945 verstorbenen KZ-Häftlinge statt. Steht eine umfassende Aufklärung bevor? Ein Gespräch mit Tobias Engelsing (52), Mitglied der Historikerkommission und ein Kenner der Geschichte am Bodensee
Herr Dr. Engelsing, am 18. November findet auf der Insel Mainau in Anwesenheit des französischen Botschafters in Deutschland die Einweihung des Gedenksteins (ein französischer Granit aus der Bretagne) für die 33 auf der Mainau 1945 verstorbenen KZ-Häftlinge statt. Steht eine umfassende Aufklärung bevor?
Zunächst steht die Enthüllung eines Erinnerungszeichens für mutmaßlich 33 Opfer des Nationalsozialismus bevor. Nach ihrer Lagerhaft im Konzentrationslager Dachau und in anderen Lagern kamen im Frühsommer 1945 viele Hunderte ehemalige französische KZ-Häftlinge auf die Insel Reichenau und auf die Mainau, um dort von den Folgen der Lagerhaft zu genesen. Etliche haben es nicht geschafft, sie starben im Hospital, das in diesen Monaten im Schloss Mainau eingerichtet worden war und wurden vorübergehend im dortigen Park beerdigt, bevor sie in ihre Heimat überführt wurden. An diese Menschen werden die Gedenksteine auf der Mainau erinnern. Ob die Reichenau Ähnliches plant, ist mir nicht bekannt.
Was macht(e) Ihr dreiköpfiger Beirat seit deren Einberufung von Gräfin Bettina und Graf Björn Bernadotte am 21. Dezember 2011genau?
Wir haben uns zunächst damit beschäftigt, Genaueres über die mutmaßlichen 33 auf der Insel verstorbenen ehemaligen KZ-Häftlinge heraus zu finden. Bisher kannte man nicht viel mehr als die Namen auf einer alten Liste. Da solche biografischen Recherchen äußerst mühsam sind, weil mehrere Archive und Gedenkstätten anzufragen und Unklarheiten aufzulösen sind, ist die Nachforschung auch noch nicht abgeschlossen. Aber wir wissen inzwischen etwas mehr zu den 33 Namen. Parallel dazu haben wir die Mainau bei der Gestaltung eines solchen Erinnerungszeichens beraten und die Ausführung mit geplant.
Der promovierte Historiker Tobias Engelsing leitet seit 2007 die Städtischen Museen Konstanz. Vorher war er Lokalchef bei der Tageszeitung «Südkurier» und ist Autor zahlreicher historischer Publikationen. Gräfin Bettina Bernadotte und Graf Björn Bernadotte beriefen ihn und die Historiker Professor Dr. Lothar Burchardt und Dr. Jürgen Klöckler vor elf Monaten als Berater, um das Schicksal der 33 auf der Insel verstorbenen ehemaligen KZ-Häftlingen und die Geschichte der Insel Mainau zwischen 1930 und 1945 zu untersuchen.
Im Mainau-Film des Schweizer Fernsehens SF «Der junge Graf und seine Schwestern – Die Bernadottes auf der Insel Mainau» vom 5. Januar 2012 sah ja alles noch ganz anders aus. Woher der plötzliche Sinneswandel? Jedenfalls: Die Mainau-Granden handelten nicht aus Einsicht, sondern auf Druck. Kann das Ergebnis nicht einfach Minimalismus sein?
Dieser Behauptung widerspreche ich entscheiden: Die geschäftsführenden Mitglieder der Familie, Gräfin Bettina Bernadotte und Graf Björn Bernadotte, haben die Anregung der Deutsch-Französischen Vereinigung inhaltlich angenommen. In allen Gesprächen haben wir gespürt: Die Familie will auch mehr wissen als sie bisher wusste und sie engagiert sich auch sehr für dieses Anliegen. Es ist nur so: Wer nicht sofort springt, wenn moralisierende Medien das Stichwort «unaufgeklärte Nazi-Zeit» in den Raum werfen und bestimmen, in welchem Tempo etwas zu geschehen hat, dem wird sogleich unterstellt, es mangle an Einsicht.
Ist für Sie dieser Gedenkstein unter anderem eine sinnvolle Möglichkeit, um einen Teil der düsteren Insel-Vergangenheit zu dokumentieren?
Ein Gedenkstein ist eine Möglichkeit, das Vergängliche in der Geschichte einen Moment aufzuhalten: Seht her, hier geschahen einst Dinge, von denen die schönen Blumen heute nicht mehr künden, an die wir aber dennoch erinnern und gemahnen wollen. So ein «Denk-mal» lädt ein, auch über das Unrecht in heutigen Zeiten nachzusinnen, vielleicht auch über unsere eigene Beteiligung am Umgang mit Flüchtlingen, Bedrohten, Unterdrückten und Ausgebeuteten in aller Welt nachzudenken. Wir sollten auch nicht so unerträglich selbstgerecht da stehen und so tun, als wären wir zwischen 1933 und 1945 selbstverständlich alle Widerstandskämpfer gegen Hitler gewesen.
Die Mainau-Grafen arbeiten wohl nur auf der höchsten Ebene und haben Kontakt mit dem französischen Botschafter in Berlin und dem Generalkonsul in Freiburg im Breisgau sowie dem schwedischen Außenministerium. Welche neuen Quellen haben Sie für die Aufarbeitung nach 67 Jahren erschlossen und gesichtet? Was hat das Historiker-Triumvirat recherchiert und neu gewichtet? Der Konstanzer Historiker Arnulf Moser hat ja fast alle Fakten in seinem Mainau-Buch schon 1995 erwähnt?
Wenn alle Fakten schon bekannt wären, wie Sie mutmaßen, müsste man nicht mehr recherchieren, das wäre doch logisch, oder? Geschichtsforschung ist aber nie abgeschlossen. Arnulf Moser hat einen sehr wertvollen Beitrag zur Geschichte der Insel Mainau geleistet. Aber zu manchen seiner Aussagen kann man weiter forschen und prüfen, ob aus neuem Material ergänzende Erkenntnisse zu gewinnen sind. Wir sind im Augenblick damit befasst, deutsche, französische und schwedische Archive nach weiterem Quellenmaterial zu durchforsten. Gewichtet haben wir noch nichts, weil historische Forschung langwierig ist und Quellen erst zugeordnet und verstanden werden müssen. Das Gewichten kommt erst ganz am Schluss – da unterscheidet sich historische Forschung naturgemäss vom Tagesjournalismus.
Ließ sich die Kommission von der Mainau für deren Imagegewinn instrumentalisieren?
Worin sollte dieser Imagegewinn denn bestehen, wenn, wie sich auch an Ihren suggestiven Fragen zeigt, der heutigen Familie öffentlich vor allem pauschale Vorhaltungen präsentiert werden? Nein, wir wurden von Niemandem instrumentalisiert und es gab auch keine Versuche, das sachlich gebotene Forschungsinteresse irgendwie zu lenken.
Das Erinnerungszeichen wurde von einem Steinmetz aus der Bodenseeregion gefertigt. Es wird auf der Mainau, dort wo auch der erste Friedhof für die ehemaligen KZ-Häftlinge lag, jetzt gesetzt. Die Forschungen zur Biographie des Grafen Bernadotte sind immer noch im Gange. Wann werden dazu Ihre Ergebnisse vorliegen?
Wir suchen möglichst breit nach Quellen, die uns mehr berichten über die Jahre 1930 bis 1945 auf der Insel Mainau, über die damals handelnden Institutionen und Personen, ihre Beziehungen, Motive und die Zusammenhänge. In manchen Archiven finden wir nichts, in anderen Bruchstücke, manchmal etwas Ausführlicheres: Das ist wie ein großes Puzzle. Eine Prognose zum Abschluss der Suche kann ich noch nicht abgeben und es gibt auch keine Notwendigkeit, einen Zeitdruck aufzubauen, denn wissenschaftliche Sorgfalt geht vor medial geforderter Schnelligkeit.
Welche Rolle spielte die Mainau in der NS-Zeit? Ist alles erforscht? Es geht ja wohl nicht nur um die KZ-Häftlinge, sondern um die immer noch nicht restlos erforschte Rolle der Mainau-Besitzer und ihres Verhältnisses zu den Nazi-Oberen. Und wie dieser gesamte Zeitabschnitt künftig dargestellt wird: In den touristischen Führern, auf Führungen auf der Insel (heute nur noch amtlich, in Uniform), auf der Webseite und, und, und?
Die Mainau war seit etwa 1930 ein Fremdenverkehrsbetrieb, der unter anderem von Schweizer Besuchern und nach 1933 auch von den vielen Reisenden der NS-Reiseorganisation «Kraft durch Freude» wirtschaftlich profitiert hat – so wie jede größere Gaststätte und jedes Hotel am deutschen Bodenseeufer. Aber in der Geschichtsforschung ist, ich wiederhole mich, niemals «alles erforscht». Nach den uns inzwischen vorliegenden Archivalien könnten einige Aspekte der zu untersuchenden Epoche der Inselgeschichte in neuem Licht erscheinen, andere Aspekte im Wesentlichen bestätigt werden. Einige bisher fehlende Kapitel der jüngeren Inselgeschichte stehen allerdings schon auf der Homepage der Insel Mainau – die heutige Führung des Familienunternehmens hat diese Informationen umgehend ins Netz gestellt, sobald sie sachlich richtig zusammen gestellt waren.
Interview: Urs Oskar Keller, info@urs-ok.ch. www.urs-ok.ch