Wird das Einkaufszentrum eine Goldgrube?
Nachdem in den vergangenen Wochen die Kritik am Shoppingmall-Projekt ECE immer lauter geworden ist, melden sich in Singen nun auch Stimmen zu Wort, die ein Einkaufszentrum am Bahnhof begrüßen. So prognostizierte im Südkurier ein ortsansässiger Immobilienunternehmer, die Stadt könne durch den Bau des Konsumtempels mit Millioneneinnahmen rechnen. Der Landtagskandidat der Linken hat sich die Person des Mall-Fans und seine Argumente einmal genauer angesehen. Aus den Reihen der Bürgerinitiative „Für Singen“ wirft man dem Investor unterdessen vor, bei der tatsächlichen Größe des Zentrums mit gezinkten Karten zu spielen. Die Mitteilungen im Wortlaut.
Millionen für Singen durch den ECE-Deal?
DIE LINKE hat sich von Beginn an gegen die Pläne der Stadt Singen ausgesprochen, den Hamburger Einkaufszentren-Investor ECE im Zentrum der Singener Innenstadt eine gigantische Shoppingmall errichten zu lassen. Die Erfahrungen aus anderen Städten zeigen, dass als Folge solcher Projekte eine Verödung der Innenstadt ebenso droht wie das Sterben inhabergeführter Läden, ein Verlust regulärer Arbeitsplätze und stattdessen eine Zunahme prekärer Beschäftigungsverhältnisse. Diese Gefahren sehen in der Stadt inzwischen auch zunehmend mehr Bürgerinnen und Bürger – eine Initiative „Für Singen“ hat sich gebildet, die sich gegen die ECE-Pläne ausspricht.
Nachdem die Kritik an dem von der Stadtverwaltung angestrebten Verkauf eines 16.000 Quadratmeter großen Areals an ECE in den vergangenen Wochen deutlich gewachsen ist, melden sich nun zunehmend auch Befürworter einer Shoppingmall am Singener Bahnhof öffentlich zu Wort. Zuletzt hat der Südkurier dem als „Handelsexperten“ vorgestellten Immobilienunternehmer Frank Mattes die Möglichkeit gegeben, ausführlich für das Projekt zu werben. Dessen wortreiche Behauptungen auf den Punkt gebracht lauten: Der ECE-Deal bringe der Stadt Millionen.
Wen immer Herr Mattes meint, wenn er von der Stadt spricht – die Einwohner können es nicht sein. Denn der Großteil der Millionen, die aus dem Verkauf des städtischen Zollareals an ECE in die Stadtkasse fließen werden, ist schon fest für eine dem Investor genehme Sanierung des Bahnhofsplatzes eingeplant. Die Stadt subventioniert so indirekt den Konzern, der sich den fürs Geschäft nötigen Ausbau der Infrastruktur aus öffentlichen Geldern zahlen lässt. Nur eine der negativen Folgen für die Singener wäre eine deutliche Zunahme des motorisierten Verkehrs, dafür spricht allein schon, dass auf dem Dach der Mall Parkdecks mit Platz für 400 PKWs geplant sind.
Der „Handelsexperte“ Mattes verspricht darüber hinaus auch wachsende Steuereinnahmen durch die Ansiedlung des Einkaufszentrums. Doch auch diese Versprechung erweist sich bei genauerer Prüfung als leer. Im Gegensatz zu inhabergeführten Einzelhandelsgeschäften werden die als Hauptmieter vorgesehenen Ladenketten im ECE keine Einkommenssteuer und deutlich weniger Gewerbesteuern entrichten müssen – die fällt hauptsächlich am jeweiligen Firmensitz an. Und müssen, wie zu befürchten, kleine Läden in der Innenstadt vor der übermächtigen Konkurrenz die Segel streichen, drohen weitere Gewerbesteuerausfälle. Unter dem Strich drohen Singen also sogar Steuereinbußen als Folge der ECE-Ansiedlung.
Wer würde also profitieren, wenn im Fall eines Verkaufs des Zollgeländes und des Areals, auf dem der heruntergewirtschaftete Holzerbau steht, Millionen fließen würden? In erster Linie die dortigen Grundstücks- und Immobilienbesitzer, mit denen die Hamburger schon Optionsverträge abgeschlossen haben. Nach mir vorliegenden Informationen ist der „Handelsexperte“ Frank Mattes geschäftsführender Gesellschafter der Singener „BTH Anlagenverwaltung GmbH + Co. KG Kommanditgesellschaft“, die unter anderem das Karstadt-Gebäude managt. In Singen kursieren Gerüchte, wonach die BTH, also Mattes, auch beim Holzerbau die Fäden zieht. Trommelt der Experte also auch in eigener Sache?
Unabhängig davon macht die Debatte um die Zukunft des Bahnhofsareals aber deutlich: Auch nach den Pleiten mit dem Kunsthallenareal, dem Hegautower und daraus resultierend der GVV-Insolvenz, scheinen die Verantwortlichen in Singen unverdrossen am neoliberalen Modell der Stadtentwicklung festhalten zu wollen. Man setzt im Rathaus weiter auf den Ausverkauf öffentlichen Eigentums an Privatinvestoren, in der vagen Hoffnung, dass schon einige Brotkrumen für die Stadt abfallen werden, auch wenn man in der Vergangenheit ein ums andere Mal auf die Nase gefallen ist. Eine verantwortungsbewusste Politik, die sich an den Interessen der Bürgerinnen und Bürger orientiert sieht wahrlich anders aus.
Denn gerade jetzt setzt die städtische Führungsspitze damit die völlig falschen Akzente. In Singen fehlen viele Wohnungen, vor allem für Menschen mit schmalem Geldbeutel. Die GVV-Pleite hat den Druck auf die Mieten noch einmal empfindlich erhöht und den Wohnungsmangel weiter verschärft. In dieser Lage braucht die Stadt einen gigantischen Konsumtempel am Bahnhof so nötig wie einen Kropf. Stadtverwaltung und Gemeinderat müssen sich endlich auf ihre Hausaufgaben besinnen und den Bau neuer Sozialwohnungen in Angriff nehmen. Mehr als 6.000 Quadratmeter des Geländes am Bahnhof sind im Besitz der Stadt, sie hat es in der Hand, dort dringend benötigten neuen Wohnraum zu schaffen.
Jürgen Geiger
Landtagskandidat DIE LINKE, Wahlkreis Singen
Wie viele Quadratmeter wird das ECE-Center wirklich haben?
Das blanke Verwirrspiel wird um die schiere Größe des ECE in Singen betrieben. Wollte die Stadtverwaltung noch 2014 maximal 12.500 qm „Fläche“ genehmigen, hat sich diese nun wundersam auf 16.000 qm und mindestens 2.000 qm Gastronomiefläche vergrößert. Gemeint sind wohl die Verkaufsflächen, Nebenflächen werden üblicherweise nicht mitgezählt. Dass diese Vorgehensweise bei der Entwicklung von Einkaufszentren üblich ist, kann nachgelesen werden bei: Walter Brune, Die Tricks und Durchsetzungsstrategien der Entwickler. Ein Bericht aus der Praxis, in: Holger Pump-Uhlmann, Angriff auf die City, Düsseldorf 2006. Alle folgenden Zitate sind diesem Beitrag entnommen.
Die tatsächliche „Verkaufsfläche, die die Kraft eines Centers angibt“, wird üblicherweise mittels zweier Tricks drastisch heruntergerechnet: „Es wird nur die reine Einzelhandelsfläche angegeben“, ohne jegliche andere wichtige Angebote, wie z.B. Gastronomie. „Innerhalb der Verkaufsfläche werden verschiedene Flächen“ (wie Handlager, Personalräume, WC) „nicht als Verkaufsfläche ausgewiesen.“ Über Nebenräume kann ein Mieter aber frei verfügen und auch ohne Baugesuch deren Nutzung ändern. Viele Center-Projekte sind auf diese Weise in Deutschland schon falsch berechnet worden. Die Investoren „täuschen – meist erfolgreich – Öffentlichkeit, Bürger, Einzelhändler, Behörden und Politiker.“ Viele Kommunalpolitiker saßen und sitzen diesen Täuschungsmanövern auf und lassen sich leider „in diesem Irrtum nicht mehr umstimmen und glauben gerne, was der Investor erklärt, anstatt selbst nachzurechnen! Zu verlockend erscheint diese Traumwelt“, die ja angeblich die Stadt nichts kosten soll. „30% und sogar 50% Flächenmehrung zusätzlich mit verheerenden Folgen für den Innenstadthandel sind das Ergebnis.“
Das Operieren nur mit „Verkaufsflächen“ ist ein durchsichtiges Täuschungsmanöver zur weiteren Steigerung und Verbesserung der Rentabilität und damit gleichzeitig der endgültige Todesstoß für den innerstädtischen Handel. So erhöht sich auch für Singen die Wahrscheinlichkeit, dass der bestehende Einzelhandel mit Gastronomie in der Innenstadt bis zu 60 % seiner Umsätze an ECE verlieren wird – und dann vielfach dichtmachen muss.
International gilt aber für die Berechnung von Flächen für Einkaufszentren die „Gross Leasable Area (GLA)“, bei der die „gesamte Geschäftsmietfläche des zu erstellenden Centers als Größenbeziehung angegeben wird“. Dies bedeutet, „dass die Konkurrenz zum Innenstadthandel kein aus dem Gesamtbild herausgegriffener Spezialbereich ist, sondern die gesamte entstehende Geschäftsfläche. Gemeint ist, und das ohne Zweifel, die vermietete Ladendienstleistungs-, Verkaufs- und Gastronomiefläche, über die der Mieter nach Belieben verfügen kann“. Sie bildet die Kaufkraftbasis des Shopping-Centers, welches den Kundenumsatz aus der Innenstadt abzieht. Alle Versuche, diese Zahl günstiger darzustellen und in einzelne Bereiche zu zerlegen, sind eine Täuschung der Öffentlichkeit „mit dem Ziel, die negativen Wirkungen solcher Center öffentlich herunterzuspielen“.
So gilt auch für Singen: Die von ECE bislang genannten lediglich 16.000 qm Centerfläche dürften die übliche manipulative Verniedlichung der tatsächlichen Geschäftsfläche sein. Geradezu dreist ist es, die Gastronomieflächen mit mindestens 2.000 qm gesondert auszuweisen, befinden sich diese Flächen doch auch in Konkurrenz zu vorhandenen Gastronomieangeboten in Singen. Hinzu kommt noch die Fläche aus den Kopfbauten an der August-Ruf-Strasse mit mindestens 2.500 qm.
Wir verlangen die Veröffentlichung der insgesamt vermietbaren Flächen, mindestens eine Bekanntgabe der Flächen laut veröffentlichten Dimensionen des Centers. Wenn ECE die tatsächlichen Zahlen nicht preisgibt, muss die Baurechtsbehörde im Rathaus nachrechnen und die gesamte Nutzfläche bekanntgeben. Nicht nur Singens Bürger dürften dann Bauklötze staunen. – Peter Mannherz
Weitere Informationen auf der Website der Bürgerinitiative „Für Singen“.