Wo lang mit der Buslinie 6?
Die Stadtverwaltung hat fünf Varianten für die Buslinie 6 geprüft und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die derzeitige Führung über die Reichenaustraße die für (fast) alle Verkehrsteilnehmer sicherste Lösung ist. Gleichzeitig will sie eventuell die Situation der ÖPNV-BenutzerInnen durch eine bessere Anbindung des Bahnhofs Petershausen ans Busnetz verbessern. In der öffentlichen Sitzung des Technischen und Umweltausschusses TUA am Donnerstag wird die Verwaltung über ihren Standpunkt informieren.
Vor allem ältere und mobilitätseingeschränkte Menschen haben bereits in mehreren öffentlichen Stellungnahmen, auch vor dem Gemeinderat, beklagt, wie sehr sich ihre Lebensqualität durch die Verlegung „ihrer“ Buslinie 6 aus der Markgrafenstraße in die Reichenaustraße verschlechtert habe. Sie monieren insbesondere längere Wege zu den Bushaltestellen und die Notwendigkeit, bei Fahrten in die Stadt die vielbefahrene Reichenaustraße überqueren zu müssen.
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Geht es nur so?
Grund für die Verlegung waren gefährliche Begegnungen der dritten Art von BusfahrerInnen mit RadlerInnen auf der im August 2018 neu eingerichteten Fahrradstraße in der Petershauser Straße und Jahnstraße. Als besonders gefährlich wurden dabei die Einmündungsbereiche der Markgrafenstraße in die Petershauser Straße und der Petershauser Straße in die Reichenaustraße identifiziert, wo jederzeit mit Verletzten oder gar Toten zu rechnen sei. Besonders folgende beiden Gefahrensituationen führt die Verwaltung an:
„1. Der Bus steht in der Petershauser Str. und wartet Lücken im Gegenverkehr ab, um nach links in die Markgrafenstraße abzubiegen. Währenddessen fahren Radfahrende regelwidrig links und rechts am Bus vorbei, obwohl sie dahinter warten müssten. Es besteht die Gefahr, dass sie vom beim Abbiegen ausschwenkenden Bus erfasst werden.
2. Der Bus biegt am Ebertplatz von der Petershauser Straße nach links in die Spanierstraße ab. Radfahrende sind hier getrennt vom Kfz-Verkehr signalisiert, aber dennoch fahren einzelne Radfahrende parallel zum Bus (das heißt bei Rot!) über die Kreuzung. Es besteht die Gefahr, dass sie vom beim Abbiegen ausschwenkenden Bus erfasst werden.“
Der Radverkehrsbeauftragte Gregor Gaffga, der federführend an der Planung der neuen Fahrradstraße beteiligt war, betont, dass er die Gestaltung der Fahrradstraße in der jetzigen Form für richtig hält: „Es ist festzuhalten, dass die beschriebenen Gefahren durch das regelwidrige Verhalten der Radfahrenden entstehen. Bei regelgerechtem Verhalten entstünden keine Gefährdungssituationen und es hätte keine Verlegung der Buslinie 6 gegeben. Ein Fehler bei der Planung der Fahrradstraße liegt nicht vor.“ Auch seien die Entfernungen aus dem Wohnquartier zu den neuen Haltestellen an der Reichenaustraße durch den Nahverkehrsplan gedeckt, und es gebe im Stadtgebiet auch deutliche größere Entfernungen zur nächsten Haltestelle.
Fünf Varianten
Nachdem das Thema hohe Wellen geschlagen hatte, sagte die Verwaltung im Februar auf Betreiben vor allem der FGL eine Prüfung von Alternativen zu. Sie hat folgende Varianten betrachtet:
1. Beibehaltung Status quo (Buslinie in der Reichenaustraße)
2. Aufhebung der Fahrradstraße, Wiederherstellung Ausgangszustand
3. Führung der Linie 6 durch die St.-Gebhard-Straße
4. Führung der Linie 6 durch die Klingenbergstraße
5. Veränderungen an der Fahrradstraße, die eine Rückverlegung der Buslinie ermöglichen.
Sie kam dabei zu dem Ergebnis, dass Variante 1, die Beibehaltung des jetzigen Zustands, die sicherste Variante für den Radverkehr und von der Rahmenplanung gedeckt sei. Die Verwaltung verspricht nicht sehr konkret als Trostpflaster: „Zukünftig könnte eine neue Busverbindung am Bahnhof Petershausen eine Verbesserung bringen.“ Das hört sich allerdings verdächtig danach an, als würden allzu viele von uns diese neue Busverbindung nicht mehr erleben.
Das spricht gegen Varianten 2 bis 5
Die Abwägung der Varianten führt die Verwaltung zu folgendem Ergebnis: Der Nutzen der Aufhebung der Fahrradstraße (Variante 2) würde für die meisten VerkehrsteilnehmerInnen Verschlechterungen mit sich bringen „und ist dem Vorwurf ausgesetzt, mit Bus und Rad zwei umweltfreundliche Verkehrsmittel gegeneinander auszuspielen“. Variante 3 durch die St.-Gebhard-Straße wäre nur mit sehr großem Aufwand zu realisieren, unter anderem müssten „viele Pkw-Stellplätze entfallen, die Haltestelle Tenbrinkstraße müsste verlegt werden und die Einmündung am Ebertplatz müsste aufwändig umgebaut werden“. Dazu käme es beim Abbiegen von der St.-Gebhard-Straße in die Markgrafenstraße zu ähnlichem Stress zwischen FahrräderInnen und Bussen wie bisher. Variante 4 durch die Klingenbergstraße würde zwar wenig kosten, aber die Bus-Erschließung im Bereich der östlichen Markgrafenstraße nicht verbessern. Variante 5 schließlich mit baulichen Anpassungen, „um Bus- und Radverkehr wieder über die Fahrbahn der Petershauser Straße zu führen“, wird ebenfalls verworfen: Sie ließe sich in Abstimmung mit dem Bund (die Reichenaustraße ist ja eine Bundesstraße) zwar verwirklichen. „Am Ebertplatz kann durch ein Versetzen der Mittelinsel in der Spanierstraße und Anpassung der Markierungen in der Petershauser Straße dem Bus ein Abbiegen ermöglicht werden, das bei Rot fahrende Radfahrende nicht gefährdet. An der Kreuzung mit der Markgrafenstraße kann durch einen getrennten Fahrstreifen für LinksabbiegerInnen unter Aufgabe von sieben Pkw-Stellplätzen und Beseitigung vom Bäumen und Pflanzbeeten die Gefahr durch abbiegende Busse verringert werden.“ Aber: „Wenn die dargestellten Maßnahmen umgesetzt würden, würde das Risiko eines Unfalls reduziert, aber es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Radfahrende sich – auf Kosten der BusfahrerInnen – nicht an Regeln halten.“ Das Ergebnis wäre also kein massiver Gewinn an Sicherheit.
Das meinen BusfahrerInnen und Polizei
Der Betriebsrat der Stadtwerke „verweist darauf, dass die Entscheidung über die Linienführung zum operativen Geschäft der Stadtwerke Konstanz GmbH gehöre und dass die im Nahverkehrsplan geforderten Voraussetzungen mit der aktuellen Linienführung eingehalten sind.“ Mit anderen Worten: Die Linienführung geht die Öffentlichkeit und den Gemeinderat wenig an, und der TUA hat dazu gar nichts zu sagen, zumal die jetzige Buslinie 6 den Planungsvorgaben entspricht; da ist also auch juristisch nichts zu beanstanden.
Außerdem macht der Betriebsrat bei dieser Gelegenheit geltend, dass in der Öffentlichkeit generell viel zu wenig über die Situation der BusfahrerInnen gesprochen werde. Sie seien durch die schwierige Verkehrslage, die engen Fahrplantakte und renitente Fahrgäste großen psychischen Belastungen ausgesetzt und stünden zudem immer auch mit einem Bein im Gefängnis, wenn sie im toten Winkel einen anderen Verkehrsteilnehmer erwischten und dann, obwohl selbst völlig nichtsahnend, wegen Fahrerflucht vor Gericht gezerrt und in ihrer Existenz bedroht würden. Etlichen dieser Argumente schließt sich auch die Polizei an, die einer gemeinsamen Führung von Bussen und Fahrrädern durch die Fahrradstraße aufgrund des intensiven Verkehrs in der Fahrradstraße eine Absage erteilt.
Es bleibt, wie es ist
Damit dürften die Proteste betroffener AnwohnerInnen wirkungslos bleiben. Als Trostpflaster weist die Verwaltung darauf hin, dass es ja vom Bahnhof Petershausen gute Verbindungen in die Stadt und dank der barrierefreien Brücke auch aus ihr hinaus gebe. Außerdem will sie in Zukunft nicht untätig bleiben: „Unter anderem um die ÖV-Anbindung des Quartiers zwischen der Markgrafenstraße und der Bahnlinie zu verbessern, werden Maßnahmen wie z.B. eine Anbindung des Bahnhofs Petershausen mit dem Bus geprüft. Diese würde einer Vielzahl von Haushalten wieder kürzere Fußwege zur nächsten Bushaltestelle ermöglichen.“
Luciana Samos/Informationsvorlage 2019-4004/2 zur TUA-Sitzung (Bild: O. Pugliese)
Florian – danke für diese Idee, müsste eigentlich funktionieren und die Lage entspannen.
Ich habe einen Vorschlag wie man das Problem lösen kann:
Das Linksabbiegen aus der Petershauser Straße in die Spanierstrasse untersagen.
Das hätte den Vorteil, dass die mittlere Spur der Petershauser Strasse frei wird und zur Busspur umfunktioniert werden kann. Derzeit stehen sowieso Autos mit auf der Fahrradspur, hier würde sich nichts ändern. Und wer trotzdem nach links möchte kann nach 50 Meter im Kreisverkehr wenden.
Zweiter Vorteil, Grün bedeutet auch für alle grün. Die derzeitigen Rotfahrten entstehen meiner Meinung nach durch die unterschiedliche Ampelschaltung nach Verkehrsteilnehmer die aber eine gemeinsame Strasse nutzen. Und man könnte die Spur deutlicher einzeichnen.
Dritter Vorteil, hat der Bus grün wird dies durch eine Ampel gekennzeichnet die eben nicht für andere gilt und zudem auch nicht verwirrend grün zeigt. Die Kreuzung ist zudem frei und er kann ausschwenken.
Vierter Vorteil, das Linksabbiegen aus der St.-Gebhard-str. wird erschwert. Auch hier kommt es immer wieder zu brenzligen Situationen.
Zusätzlich müsste man die Ampel an der Einmündung zur Markgrafenstrasse mit einer busschaltung versehen.
Biegt der Bus von der Spanierstrasse kommend in die Petershauser Strasse schaltet er die Ampel rot. Dadurch muss er nicht wegen Gegenverkehr warten und hat nach hinten keine Radfahrer, da für diese an der Kreuzung gerade rot war.
Das würde die Kreuzung und die Fahrradstraße deutlich entschärfen und die Linie 6 wieder auf der alten Strecke ermöglichen.
Bernhard und Ralf danke für eure sachlich fundierten Kommentare.
Gute Darstellung des Problems.
Nur Variante 5 wird den Bedürfnissen der Mehrzahl der dort betroffenen Stadtwerkekunden gerecht.
Die gut dargestellte Last der Busfahrer muss selbstverständlich entschärft werden. Sie muss aber auch hinterfragt werden. Die Aufzeichnungen der Busfahrer stammen aus einer Zeit, als noch mit Verkehrszeichen und Bodenmarkierung experimentiert wurde und für alle die Fahrradstraße neu war. (Noch dazu mit dem jedermann leicht verständlichen Zusatz, dass Kfz-Verkehr uneingeschränkt zugelassen war. Man kennt es von den Autobahnen, bei denen auch „Fahrradverkehr frei“-Schilder hängen).
Als häufiger Nutzer dieser „Fahrradstraße“ ist mir kein einziger Radfahrer mehr aufgefallen, der von der Petershauserstraße kommend bei rot noch die Ampel passiert. Allerdings wäre ich beinahe einmal bei rot losgefahren, weil die Kfzampel der Petershauserstraße am Ebertplatz- atypisch geschaltet – einmal v o r dem Radverkehr auf grün geschaltet wurde. Das wären hausgemachte Probleme. Die Probleme der Problemstelle 2 kann ich daher nicht mehr erkennen.
Gibt es überhaupt irgendwelche Tatsachenfeststellungen ein Jahr nach der Einübung der „Fahrradstraße“, die die Problemlage noch bestätigen?
Sind denn die Busse mit neuester Sicherheitstechnik ausgestattet, so dass der Busfahrer gewarnt wird, wenn beim Abbiegen ein Radfahrer oder Fußgänger in die Gefahrenzone kommt? Wäre eine Investition in diese Sicherheitstechnik nicht vorrangig, vor einer Benachteiligung von ÖPNV-Nutzergruppen? Weil sie nicht nur in diesen Kurven Menschenleben retten kann?
Stimmen denn die Entscheidungsgrundlagen? Wurde denn nach der Eingewöhnungsphase der Fahrradstraße die beiden genannten kritischen Stellen überwacht (z.B. über kurzfristige Videoaufzeichnungen)? Gibt es immer noch so viele Linksüberholer trotz blinkendem Bus? Nein, die Verlegung erfolgte Hals über Kopf.
Werden die Radfahrer nicht zu Rücksichtslosigkeit durch den zugelassenen Kfz-Verkehr animiert? Wer fährt schon nach geschlossener Schranke, bewusst das Fahrrad als gesundheitserhaltendes Transportmittel gewählt habend, gerne hinter einer Kolonne mehrerer Dieselfahrzeugen her, deren Schadstoffaustoss jenseits der Grenzwerte inzwischen allgemein bekannt sein dürfte? Welches ist die Aufstellfläche für Fahrradfahrer vor der Schranke, welches die Querungshilfsfläche? Weshalb ist die Aufstellfläche für Radfahrer bei der durch Zulassung von Pkws vermehrter Pkwmenge nicht dem Radfahrbedarf entsprechend? Welchen Zweck erfüllt die widersprüchliche Uraltmarkierung eines Radstreifens am Bahnübergang?
Welchen Zweck hat das Radfahrsymbol auf dem Gehweg der Petershauserstraße rechts von der Rheinbrücke kommend? All diese verkehrstechnischen Nachlässigkeiten werden unbewusst registriert und steuern so auch unbewusst das Maß der Sorgfältigkeit des Radfahrers.
Wenn ausser Radfahrern nur Busse in der Fahrradstraße verkehren und an der Problemstelle 1 (Abbiegung zur Markgrafenstraße) ausreichend Platz zum rechts Vorbeifahren geschaffen wurde, kommt kein Radfahrer mehr auf die Idee, einen blinkenden Bus links überholen zu wollen!
Die Sicherheit der Radfahrenden wird immer dann hochgehängt, wenn es darum geht, sie oder anderen Langsamverkehr, hier die Busnutzer zu benachteiligen.
Deren Sicherheit spielte bei der Entscheidung eine „Fahrradstraße“ für den jeden Verkehr frei zu geben, offensichtlich keine Rolle. Sie spielte ebenfalls keine Rolle bei der Entscheidung, während der Bauarbeiten am Sternenplatz, den Mehrverkehr incl. Buslinien (!) dort durch zu verlegen. Sie spielt keine Rolle bei der nun mehrheitlich mißbräuchlichen Pkwnutzung als Anliegerstraße. Nach meiner Beobachtung (an der Ampel hinter der Rheinbrücke kann man schön die vor einem noch einfahrenden Auspuffe beobachten) haben drei von vier dort einfahrenden Kfz kein Anliegen, weil sie komplett durchfahren. In der Nebenstraße wohnen oder dort einen Laden besuchen ist kein Anliegen!
Es sollte auch nicht vergessen werden, dass die Verkehrsbetriebe die Interessen der Bürger befriedigen sollten und nicht umgekehrt, wie es derzeit den Anschein erweckt.
Fazit:
Die Empfehlung der Stadt beruht auf veralteten Wahrnehmungen während der Eingewöhnungsphase.
Der größere Teil der noch dazu meist gehbehinderten Busnutzer wird durch die jetzige Linienführung massiv benachteiligt.
Mit baulichen und ordnungsrechtlichen Maßnahmen kann die Gefahrenstelle 1 ebenfalls so verkleinert werden, dass Variante 5 für alle eine tragfähige Lösung ist.
Spatzen und Kanonen
Der ADFC (Allg.Dt. Fahrradclub e.V.) stimmt Gregor Gaffga, dem Konstanzer Radverkehrsbeauftragten vollumfänglich zu: Die Wurzel des Problems liegt im Fehlverhalten (einiger) Radfahrer*innen. Deshalb eine Buslinie zu verlegen und so für viele, oft ältere und eingeschränkte Busnutzer*innen den Zugang zum ÖPNV zu erschweren, scheint doch wie mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Unbestritten muss die Kritik der Busfahrer*innen ernst genommen werden, sie sind verantwortlich für die Sicherheit und Unversehrtheit ihrer Fahrgäste. Aber wie uns der Fahrradaktivist Heinrich Stößenreuther aus Berlin bei seinem Vortrag in der VHS gelehrt hat: Es geht nicht um Rücksichtnahme oder nettes Miteinander, sondern primär um Regeleinhaltung. Die (Verkehrs-)welt ist komplizierter geworden, deshalb müssen sich alle (auch die Radler*innen) an die Regeln halten. Rücksichtnahme sollte eigentlich selbstverständlich sein. Als Fahrradlobby sagt der ADFC seinen Mitgliedern und der Öffentlichkeit: Haltet Euch an die Regeln! Deren Einhaltung muss aber auch entsprechend kontrolliert und sanktioniert werden. Der ADFC ist gerne bereit, die öffentliche Diskussion über Regelkonformität mit zu gestalten. Fahrverhalten muss trainiert, Fehlverhalten sanktioniert werden. Hier besteht noch viel Spielraum für die öffentliche Hand, um die Situation in der Fahrradstraße zu verbessern (Kontrollen, Aufklärungsaktionen, Polizei-Fahrradstaffeln etc.). Evtl. Fehlverhalten einiger vorausgreifend als Grund für die Wegnahme einer Buslinie zu nehmen, erscheint uns als falsche Logik. Übrigens: mit einer erfolgreichen Fahrradschule und mit Aktionen wie der Lichtaktion trägt der ADFC schon einiges zur „Einübung“ von Regeleinhaltung bei!
Ralf Seuffert / ADFC Konstanz