Zweckentfremdung: Häuserkampf bis aufs Messer?

Die Stadt verschärft ihre Zweckentfremdungssatzung, um den Raffzähnen unter der immobilienbesitzenden Klasse die Daumenschrauben noch ein wenig fester anzulegen und Wohnungen wieder ihrem eigentlichen Zweck zuzuführen. Angesichts der Flüchtlingskrise fordern zudem die Grünen eine härtere Gangart gegen den Häuserleerstand.

Es hört sich erst einmal sehr juristisch an, aber die Folgen können für manche Menschen sehr real sein: Das Land Baden-Württemberg hat bereits am 3. Februar 2021 das Zweckentfremdungsverbotsgesetz geändert, um den Kommunen den Rücken zu stärken. Neben einigen Konkretisierungen sind damit auch der Stadt Konstanz einige schärfere Mittel im Kampf gegen Wohnungsleerstand und die illegale Vermietung von Wohnraum als Ferienwohnungen an die Hand gegeben. Der Technische und Umweltausschuss (TUA) soll morgen die nötigen Änderungen an der städtischen Zweckentfremdungssatzung vorberaten, und der Gemeinderat hat dann am 5. Mai das letzte Wort. Es steht zu vermuten, dass die Verschärfungen mehrheitlich abgenickt werden, weil selbst die verstocktesten Marktfundamentalisten fürchten müssen, angesichts der verheerenden Verhältnisse auf dem Wohnungsmarkt vom Stimmvolk bei der nächsten Wahl 2024 kräftig abgewatscht zu werden.

Nachdem das Land die rechtlichen Voraussetzungen hierfür geschaffen hatte, beschloss der Gemeinderat gegen hinhaltenden Widerstand aus dem bürgerlichen Lager am 03.03.2015 eine erste Zweckentfremdungsverbotssatzung, die zum 14.03.2015 in Kraft trat. Da eine derartige Satzung nur maximal fünf Jahre Gültigkeit hat, wurde die Satzung 2020 erneut beschlossen; sie gilt noch bis zum 13.03.2025. Abhängig von der Entwicklung des Wohnungsmarktes darf dann eine neue Zweckentfremdungssatzung erlassen werden.

170 Wohneinheiten gerettet

Dass das Zweckentfremdungsverbot wenigstens ein bisschen wirkt, zeigt die Bilanz, die die Verwaltung in ihrer Sitzungsvorlage zieht: „Die Zahl der dem Wohnungsmarkt wieder zugeführten, ursprünglich zweckentfremdeten oder leerstehenden Wohnungen erhöhte sich seit Inkrafttreten der Satzung im Jahr 2015 auf inzwischen 170 Wohneinheiten (Stand 30.09.2020). 1.950 Anfragen seitens betroffener Eigentümer, deren Nachbarn oder sonstiger Personen wurden beantwortet.“ Trotzdem ist es natürlich immer noch bedauerlich, dass die Zweckentfremdungsregeln in einigen recht eklatanten Fällen nicht greifen.

Was soll sich also jetzt – von allen möglichen, vor allem juristisch relevanten Neuformulierungen abgesehen – ändern, wenn die Mehrheit im Rat einverstanden ist?

Die Registrierungspflicht kommt

Am augenfälligsten ist die neue Registrierungspflicht für jede einzelne Nutzung von Wohnraum als Ferienwohnung und für ähnliche Fremdenbeherbergungsarten. Jeder so genutzte Wohnraum muss zwingend gemeldet werden, und die Stadt teilt der anzeigenden Person eine Registrierungsnummer mit. „Diese Nummer muss beim Anbieten und Bewerben des für diesen Zweck genutzten Wohnraums stets und für die Öffentlichkeit gut sichtbar angegeben werden, etwa durch Angabe im Online-Inserat o.ä.“

Das soll das Vorgehen gegen illegale Vermietungen erleichtern, denn die Verwaltung oder die wachsamen Nachbarn können ganz einfach die Angebote aus Konstanz auf airbnb oder anderen Plattformen durchschauen, und fehlt irgendwo die Registriernummer, oder stimmt die angegebene Nummer nicht, wird ein saftiges Bußgeld fällig. Außerdem können auch Kunden und andere Menschen prüfen, ob da hinter der Wohnungstür alles mit rechten Dingen zugeht, und beim Registrierungsprozess werden alle Angaben gesammelt, um zu prüfen, ob die Vermietung letztlich nicht doch genehmigungspflichtig ist. Immerhin soll es eine „angemessene“ Übergangsfrist geben, ehe die ersten Handschellen klicken.

Keine Anzeigepflicht

Die Stadt könnte außerdem auch eine Anzeigepflicht für jeden einzelnen Vermietungsvorgang verhängen, also quasi so etwas wie einen Meldezettel für jede einzelne Übernachtung, aber das will sie nicht, weil das zu viel Arbeit machen dürfte.

Außerdem gibt es weitere kleine Verbesserungen, die den Profitgeiern das Blut in den Adern gefrieren lassen sollen: „Aufgenommen wurden die zusätzlich geschaffenen Tatbestände, für die ein Bußgeld bis zu 50.000,00 Euro verhängt werden kann. Ordnungswidrig handelt nun auch, wer entgegen der Auskunftspflicht Angaben nicht, nicht richtig oder nicht vollständig erteilt. Außerdem handelt ordnungswidrig, wer entgegen der Registrierungspflicht die Anzeige nicht, nicht richtig oder unzutreffend vornimmt oder die Registrierungsnummer nicht, unzutreffend oder nicht in der vorgeschriebenen Art und Weise angibt. Zudem wurde vom Gesetzgeber der Bußgeldrahmen für die Zweckentfremdung von Wohnraum von 50.000,00 Euro auf 100.000,00 Euro erhöht, was in die Satzung übernommen wurde.“

Die Grünen werden revolutionär

Man erkennt sie kaum wieder, unsere braven Grünen. Angesichts des Elends in der Ukraine geben sie sich nämlich auf einmal stalinrot.

Sie beantragen Folgendes:

„1. Die Stadt Konstanz leitet unverzüglich alle rechtlichen Schritte ein, um über sog. Leerstandshäuser die Verfügungsgewalt zu erlangen.
2. Die Stadt Konstanz wird geeignete Gebäude umgehend technisch ertüchtigen, damit eine zeitnahe Nutzung als Wohnraum ermöglicht wird.
3. Die dafür notwendigen finanzielle Mittel werden zur Verfügung gestellt und eine Refinanzierung bei den zuständigen Stellen bei Bund und Land eingefordert.
Aufgrund der bekannten, angespannten Wohnraumsituation ist ein langfristiger Leerstand von geeigneten Wohngebäuden unsolidarisch und nicht mehr akzeptabel.“

Hört, hört! Fordert da etwa jemand angesichts des Elends ukrainischer Flüchtlinge auf einmal die schnelle Enteignung der BesitzerInnen leerstehender Wohnimmobilien und ähnlicher Spekulationsobjekte, und das ausdrücklich zugunsten von UkrainerInnen und nicht von SyrerInnen oder anderen Obdachlosen?

Die Verwaltung jedenfalls winkt ab, und damit dürfte sich dieser höchst emotionale Sturm im tümpelgrünen Wasserglas auch schon wieder gelegt haben: „Unter Berücksichtigung des grundgesetzlichen Prinzips der Gesetzmäßigkeit kann darüber hinaus aber nicht eingegriffen werden, wenn im Einzelfall rechtlich keine Zugriffsmöglichkeit auf einzelne Objekte besteht.“ Das Wort der Obrigkeit hat in Deutschland Gewicht, auch bei den Grünen. Mit anderen Worten: Der Klassenkampf gegen die Spekulanten fällt selbst angesichts von Millionen ukrainischer Flüchtlinge aus, weil er im Grundgesetz nicht vorgesehen ist.

Gut gebrüllt, Löwe, Du bist weit gesprungen und dennoch wie immer als Papiertiger gelandet. Aber wie sollte es auch anders sein, steht doch der deutsche Revolutionär erst einmal für eine Fahrkarte und eine beglaubigte Sondererlaubnis an, ehe er den Bahnhof zu besetzen wagt.

Text: O. Pugliese, Bild: hr, seemoz-Archiv

Mehr zum Thema

06.04.2022 | Wohnungs-Leerstand: Warum der Stadt die Hände gebunden sind
31.03.2022 | Konstanz: Service für Geflüchtete aus der Ukraine
04.03.2022 | Singen: Hilfe für die Ukraine und für ukrainische Flüchtlinge
18.03.2022 | Save me fordert Gleichbehandlung aller Flüchtlinge