Zwischen allen Stühlen … Endlich! Northeimer Professor entdeckt Atlantis! (2)
Ein Theaterprojekt kann eine verödete Innenstadt beleben, das zeigen mehrere Projekte in kleineren Städten Deutschlands. Das Theater verändert die Stadt, vielleicht nicht nur für ein paar Wochen, sondern auf Dauer. Von diesen Beispielen lässt sich auch anderswo profitieren, meint unser Autor Albert Kümmel-Schnur.
Teil 2/2
„Das Misstrauen ist irre“, sagt Ruth Brockhausen und meint die vielen vergeblichen Versuche der Initiator:innen des Nortlantisprojektes, dieses als partizipatorisch in der Stadt vorzuschlagen, als Plattform, auf der sie sich selbst suchen und finden darf und eben nicht als Show des Theaters der Nacht, der die Stadt bloß passiv beiwohnt.
… danach versinkt die Stadt wieder in ihrer Depression
Stark sind in Northeim beispielsweise die Sportvereine, die jedoch finden, „dass diese Stadt eine Sportstadt sein sollte und Theater nicht das ist, was sie präferieren. Es gibt eine ziemliche Konkurrenz zwischen Theater und Sport. Aber die Sportvereine untereinander haben sich so behakelt, dass es nicht einmal dazu kam, dass die Stadt Sportstadt wurde.“ Bewegen konnte man dann letztlich nur die eigene Blase oder Crowd: „die Kunst- und Kulturszene“ von Mitgliedern diverser dörflicher Theatergruppen bis zum Kinderzirkus Fidibus. Der Rat war vertreten auf einem Theatermarkt, Wünsche von Kindern wurden gesammelt und im Rathaus ausgestellt. Die Buchhandlung Grimpe machte mit, organisierte den Literaturwettbewerb „Northeim. Die versunkene Stadt“ mit Ergebnissen, die man noch heute in Buchform kaufen kann.
Die Weigerung vieler städtischer Akteure mitzutun, hatte den Effekt einer self-fulfilling prophecy: man befürchtete, nur das Theater würde von diesem Projekt profitieren und sorgte auf diese Weise dafür, dass eben genau das passierte. Es gab einen wunderbaren Theatertag, der von Hunderten von Menschen besucht wurde – das kann man auf folgenden beiden Videos gut nachvollziehen: https://youtu.be/zzBGY3PKzII und https://youtu.be/1H7TOS3gBnA –, „aber danach versinkt die Stadt wieder in ihrer Depression. […] Es ist nicht zu übersehen, dass es der Stadt schlecht geht, aber es herrscht eine große Hilflosigkeit, aus der es ungemein schwer ist rauszukommen.“
Die ästhetische Kraft des Projektes
Das muss nicht notwendigerweise so ausgehen. Das Projekt wurde in zwei weiteren niedersächsischen Städten, Seeburg und Hannoversch Münden, durchgeführt – und entsprechend verändert. In Seeburg waren die Leute sofort dabei – „Wir tun jetzt mal was für uns und unsere Kommunikation. […] Fast alle namhaften Gruppen in der Umgebung waren dabei.“ Während der Veranstaltung wurden Wünsche für die Entwicklung der Region gesammelt und im Rathaus ausgestellt – ein Stück gelebter Demokratie. In Hannoversch Münden wiederum gab es einen eng mit der Tourismusinformation zusammenarbeitenden Kulturverein, der das Projekt vor Ort unterstützt hat. Es scheint also sehr von den lokalen Gegebenheiten und psychosozialen Voraussetzungen abzuhängen, ob so ein Projekt auf fruchtbaren Boden trifft oder nicht.
Auf den Videos des Projektes kann man sich selbst ein Bild machen von der ästhetischen Kraft des Projektes. Der im Buch „Northeim. Voll versunken“ nachlesbare Text „Die Expedition von Prof. Eugen Trockhoff in die Tiefsee von Nortlantis“ von Ruth Brockhausen zeigt klar, wie man diese Metapher produktiv machen kann zur Ausdeutung des Problems „Verödung der Innenstädte“. Da gibt es etwa schlecht gelaunte „Miesmuscheln“, eine „Bürgermeisterkoralle“ umtanzt von „Schmierfischen“ und umkämpft von „Hinderhaien“.
Die Stadt, die nie war
Aber es gibt auch den Trockensis Globosus Micare, ein Lebewesen, das in Symbiose mit anderen deren Energie verstärkt. Das hat Parabelqualität. Gleichzeitig sieht man an den anderen Texten des Buches, dass dieses Deutungsangebot kaum genutzt, vielleicht nicht einmal recht verstanden wurde, denn hier geht die Stadt nicht aufgrund innerer Probleme zugrunde, sondern wird geflutet von äußeren Mächten, manchmal ist sie einfach das Opfer des Klimawandels. Die Offenheit der Metapher macht sie eben auch anfällig für eine gewisse Beliebigkeit.
„Bürgermeisterkoralle“ umtanzt von „Schmierfischen“
Eines hat das Projekt auf jeden Fall gebracht: das Theater „gehört jetzt sehr zur Stadtgesellschaft dazu in den Köpfen der Leute“. Das aber bedeutet, dass doch mehr passiert ist als ein isolierter Theatertag. Das Theater hat sich als städtischer Akteur etabliert. Auch das ist eine Veränderung des Gemeinwesens – und keine kleine. „Ich könnte mir vorstellen“, skizziert Ruth Brockhausen eine Vision der gemeinsamen Gestaltung des Gemeinwohls, „wenn man an solch ein Theaterereignis einen Prozess anhängt mit Gesprächsgruppen, und dann vielleicht auch nochmal neuen Theaterinput gibt, und dann wieder weiter mit Gesprächen, und dann wieder Theaterinput, … dass das einen Prozess gut begleiten könnte.“
Das könnte ich mir auch vorstellen. Und so könnte man die Stadt, die nie war, plötzlich doch entstehen lassen aus dem Nichts eines Traums und der sehr konkreten Arbeit an einem Bild, das man Wirklichkeit werden lassen möchte. Und das könnte am Bodensee ebenso funktionieren wie anderswo.
Text: Albert Kümmel-Schnur, Bilder: Marco Wolff, Northeim