Zwischen allen Stühlen … Oh … Apo …: Eine Konstellation

Denkmäler sind nicht einfach Kunstwerke im öffentlichen Raum, die sich selbst genügen. Vielmehr lehnen sie sich fest an die Erinnerung eines Kollektivs; dann stehen sie einigermaßen stabil. Allerdings, das gehört zum Paradox dieser Gattung öffentlicher Bildwerke, erinnert sich das Kollektiv nicht einfach so. Um sich zu erinnern, braucht es: Denkmale. Zum Beispiel. Jahrestage eignen sich ebenfalls. Jedenfalls sind Denkmale gewissermaßen Selffulfilling Prophecies: sie erzeugen, wovon sie zeugen.

So erinnert die Aufschrift an einer dieser Tage häufiger besungenen Konstanzer Apotheke an die alten Tage außerparlamentarischer Opposition – an eine bleierne Zeit: selten ist der Apo so schön in geschwungener Fraktur gedacht worden. Ein Gedanke freilich, der sich wohl selbst nicht nur einem wortspielverliebten Protest gegen die ursprünglichen Namen dieser Pharmazie verdankt, sondern auch der anarchisch-dadaistischen Lust am Übersteigern der ersten Geste, die der Apotheke das kapitale ‚M‘ raubte und nur noch die minuskülen ‚ohren‘ stehen ließ. Ernst Jandl hätte wohl seine Freude daran gehabt.

Anarchisch-dadaistische Lust am Übersteigern der ersten Geste

Gleichzeitig scheint es den Buchstabenräubern durchaus ernst zu sein, denn man hätte ja auch der Weinkultur des Städtchens ein Denkmal setzen können im Seufzer „oh … theke“. Hat man aber nicht. Man hat wohl, vielleicht oder keineahnungwarum eher sagen wollen: nun, wenn Ihr (da oben) es nicht tut, dann müssen wohl oder übel wir (da unten) es tun. Alltagsrassismus verhindern nämlich, sagen die Apologeten dieses Litteroklasmus. Dass die Figur des kleinen schwarzen Kriegers mit goldener Blätterkrone, goldenem Baströckchen und wulstig-roten Lippen, den Speer in der einen, den schützenden Rundschild in der anderen Hand bislang unbeschädigt blieb, ist erstaunlich (abgesehen davon, dass sie ohnehin restauriert werden müsste, es bröckelt hie und da) und beruhigend: „Dass man das noch darf. In Singen mussten sie die Mohrenstraße umbenennen“, sagte kopfschüttelnd eine Passantin mit Blick auf die eckstehende Figur, und mir gefiel die ganze Ambivalenz dieser merkbar undurchdachten Äußerung. Denn der Ärger bezog sich ja keineswegs auf ein Verstehen von Alltags- oder auch habituellem Rassismus, nein, der Ärger bezog sich auf die Ungleichbehandlung der Singener gegenüber den Konstanzern.

Ein geseufztes Bekenntnis zu vergangener Aufstandsherrlichkeit

Nun also steht sie da, die kleine Figur, zwischen einem geseufzten Bekenntnis zu vergangener Aufstandsherrlichkeit und jenen ohren, die der Apotheke in m-loser Zeit gewachsen waren. „Oh, Apo! Wer Ohren hat, der …“ „… muss in die Apotheke“? Ja, vielleicht, denn dabei handelt es sich ja, der Begriffsgeschichte nach, um eine Ablage, ein Depot, einen Speicher. Die Ohrenapotheke: das wäre also der Ort, an dem man vielleicht lang nicht gehörten, ins kollektive Unbewusste gerutschte Klänge, Töne, Geräusche hören kann – das ferne Trommeln einer Unzufriedenheit etwa. „Oh, Apo – those were the days“. Und welche eigentlich?

Der Blick erfasst – quer über den zum Parkplatz verschandelten Stephansplatz – das grell groteske Keramikrelief Johannes Grützkes, das den Hecker zeigt, wie er aufruft mit weit aufgerissenem Mund zur Revolution, den Herzog zu stürzen, ziehen wir nach Karlsruhe! Ha! Ça ira, ça ira, ça ira! Aber ach, dem Grützerelief ist es durchaus anzusehen, so viele Konstanzer hatten ja gar keine Lust. Erst bei Wollmatingen und später dann in Stockach wurde der Zug etwas größer. Immer auf der Hut vor den Soldaten des Großherzogs Karl Leopold I. Friedrich von Baden, dem der Konstanzer Bildhauer Hans Baur ein figuratives Denkmal schuf, das ursprünglich die Rheinbrücke von 1860 schmückte und später, 1938, versetzt wurde. Diese Versetzung nun, diesmal ein Denkmalsturz nicht von unten, sondern von oben, führte zu einer ästhetischen Veränderung. Konnte man sich früher dem Großherzog nur von vorn nähern, tut man es heute von der Seite. Und wer von der alten Rheinbrücke her zu Fuß oder auf dem Fahrrad kommt, kennt das Bild: da hält der Großherzog mit festem Griff seinen Marschallstab auf Schritthöhe gestreckt vor sich … honi soy qui mal y pense … Aber gönnen wir dem Großherzog das kleine Vergnügen (das tun nicht alle in Konstanz: immer wieder wird diese Hand !igittebahpfui! entfernt bei Nacht oder Nebel).

Der Großherzog mit festem Griff

Just dieser Großherzog war’s, der die Preußen rief, um die Hecker’schen Aufständigen bei Kandern zusammenschießen zu lassen zur Wiederherstellung von … Wer durch Konstanz mit wachem Auge läuft, sollte also einen Spannungsbogen sehen, ziehen und durchlaufen, der sich vom Bürgersaal wenige hundert Meter weiter zum Seerhein erstreckt. Und er oder sie könnte dann ausrufen: Oh! Apo! Those were the days!

Und sind sie noch, sagt eine Ausstellung, die noch ein paar Tage lang zu sehen ist. „Druck. Machen“ heißt sie – aus dem nostalgischen Bezug auf eine vergangene revolutionäre Haltung und die Erinnerung an eine gescheiterte deutsche Revolution ein gutes Jahrhundert davor wird die Aufforderung zu anhaltendem Widerstand gegen die Verhältnisse, die ja „so“, wie der Dichter der Dreigroschenoper sagt, „nicht sind“. Im Bürgersaal wird einer hundertundfünfzigjährigen Tradition des Einsatzes für Gleichheit, Gerechtigkeit und Freiheit gedacht.

Und inmitten dieser Ausstellung stehen sie auf: Figuren, die in der Ausstellung „Stoff. Blut. Gold“ zu sehen waren. Die schwarzen Silhouettenfiguren bilden eine aufständische Masse, das ist buchstäblich so. Auf dem Boden des Richentalsaals war im Sommer letzten Jahres raumgreifend die diagrammatische Anordnung einer Schiffsladung ausgelegt. Flache Sperrholzfiguren zeigten die gesichtslosen Umrisse der Menschen, die die Ladung waren, um als Sklaven auf Zuckerrohrplantage und Baumwollfeldern zu arbeiten. Rechte- und beziehungslos.

Mühlsteine des Vergessens

Für die Ausstellung „Druck. Machen“ wurden diese Figuren, sechzig an der Zahl, mit schwarzen Holzständern versehen und fungieren nunmehr – ebenso gesichtslos – als Masse von Aufständischen. Von Ausstellung zu Ausstellung – das ist ressourcenschonende Weiterverwendung, einerseits, und Neu- und Umdeutung andererseits. Zumal die Silhouetten ästhetisch gebunden werden durch den farbigen Monumentalholzschnitt „Cain – sie scheißen auf uns“ von Felix Droese. Der hat Dürers Holzschnitt „Kain erschlägt Abel“ von 1511 in den Jahren 1999-2000 neu interpretiert. Da haben wir einen aufständisch die Faust gen Himmel reckenden aus der Scheiße der Konsumwelt sich hochstemmenden Kain, von Droese als Abels Doppel gedeutet, der ästhetisch korrespondiert zu den Silhouetten der vormaligen Sklaven der Kolonialausstellung. Ein Verweisnetz, das nicht weniger dicht oder plausibel wird, weil es kontigent entstanden ist – Botschaften entstehen immer im Empfang.

Denkmäler sind nicht einfach Kunstwerke im öffentlichen Raum und müssen keine Mühlsteine des Vergessens (Robert Musil nannte sie so) sein. Sie können Attraktionszentren politischer, ästhetischer oder religiöser Auseinandersetzungen werden, wenn man sich mit ihnen aktiv auseinandersetzt. Dann werden sie zu Vektoren, die den öffentlichen Raum strukturieren.

Text: Albert Kümmel-Schnur, Bild:Archiv