Zwischen allen Stühlen … Pow?! Boom?! Snap?!

Im Nachhinein kann ich es mir auch nicht mehr erklären, warum wir den lautmalerischen Knallbonbons des Workshoptitels Frage- und Ausrufungszeichen beigegeben haben. Also – eigentlich – genauerhin, warum die Fragezeichen sein mussten. War uns da doch interpunktorisch das Herz in die Hose gerutscht? Im Untertitel hieß der Workshop, der vom 26. bis 29. September an der Universität Konstanz in Kooperation mit der Universität Münster stattfand, ganz akademisch im Stehkragenstil „Comics als Transfermedien in Wissenschaftskommunikation und Lehre“. Puh! oder, von mir aus auch Pow!

Worum ging’s? An der Universität Münster gibt es seit 2020 ein ungewöhnliches Projekt zur Wissenschaftskommunikation. Es trägt den Namen „Frag Sophie“. Sophie ist eine Comicfigur, die gemeinsam mit einer Eule Fragen beantworten kann, die Bürgerinnen und Bürger ihr stellen. Nein, sie ist nicht allwissend. Vielmehr ist Sophie eine Mittlerfigur, die Antworten auf Fragen herausfindet – technisch gesehen dadurch, dass ein Team der Arbeitsstelle Forschungstransfer der Universität Münster einen:eine Wissenschaftler:in der Universität Münster befragt und um eine leicht verständliche kurze Antwort bittet, die dann in Zusammenarbeit mit dem Gestalter Gianluca Scigliano (https://obscurevisions.de/) in kürzere oder längere Wissenschaftscomics übersetzt werden. Dieser wird dann in der größten Tageszeitung von Münster, den Westfälischen Nachrichten, publiziert.

Was ist Liebe?

Pro Monat entsteht auf diese Weise eine Bildergeschichte – zur großen Begeisterung ihrer Leser:innen. 350 Anfragen sind es inzwischen, die dem „Frag‘ Sophie“-Team Jahr für Jahr gestellt werden. Dabei sind es einerseits Fragen an die Naturwissenschaften – Warum leuchtet der Mond? Wie sieht eine Reise zum Mittelpunkt der Erde aus? Es gibt aber genauso Fragen an Geistes- und Gesellschaftswissenschaften – etwa beantwortet eine Philosophin die Frage „Was ist Liebe?“ oder ein Islamwissenschaftler die Frage, warum Gott nicht Corona beendet. Unabhängig übrigens davon, welche Fragen tatsächlich in einen Comic umgesetzt werden, werden alle Antworten von Wissenschaftler:innen auf Bürger:innenfragen auf der Website https://www.frag-sophie.de/datenbank publiziert.

Für die zweite, vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanzierten Projektphase suchte die Universität Münster nach einer Partnerinstitution und fand sie in der Universität Konstanz. Das Team Transfer Lehre der Universität Konstanz und die Arbeitsstelle Forschungstransfer der Universität Münster sind schon seit einigen Jahren in gutem Kontakt und Austausch. So einigte man sich schnell darauf, einen gemeinsamen Workshop anzubieten, der sich vor allem an Studierende richten sollte. Transfer, also die Übersetzung universitären Wissens in nicht-universitäre Zusammenhänge, zu erlernen, bedeutet ja nicht, konkret dieses oder jenes zu lernen, sondern das Transferieren selbst einzuüben.

Welt jenseits elfenbeinerner Türme

Wie gehe ich um mit dem, was ich an der Universität gelernt habe? Wie formuliere ich Forschungsfragen so, dass auch Nicht-Wissenschaftler:innen sie verstehen? Und umgekehrt: bin ich in der Lage, mein Ohr so an die nicht-akademische Welt zu legen, dass ich verstehe, welche Erwartungen es an die Wissenschaft gibt, welche Fragen relevant sind und welche Forschungsdesigns vielleicht geändert werden müssten, um in einer Welt jenseits elfenbeinerner Türme auf Interesse zu stoßen?

Der allererste Transfer dieser Art ereignet sich im Erlernen wissenschaftlicher Methoden selbst: also im Studium. Wie oft geschieht es Studierenden, dass sie mit den ihnen gestellten Aufgaben oder verfügbar gemachten Materialien einfach nicht zurecht kommen. Ich erinnere mich noch gut, wie ich fast verzweifelte, als ich in meinem dritten Semester ein Referat über Samuel Becketts Roman „The Unnamable“ halten sollte und bereits bei der Lektüre des Textes scheiterte. Ich verstand einfach nicht, was der Autor mir sagen wollte. Erst als ich mir nach fünf gescheiterten Versuchen den Text laut vorlas, begann er plötzlich – wie von selbst – Struktur und Inhalt zu bekommen. Ich verstand ihn! Hurra! Ein Medienwechsel – in meinem Fall von leiser zu lauter Lektüre – konnte also helfen. Darüber war ich so begeistert, dass ich den Text als Theaterstück auf die Studiobühne der Universität-Gesamthochschule Paderborn brachte.

Ich verstand ihn! Hurra!

Man könnte sich also, und müsste dies vielleicht sogar, im Studium zunächst selbst als Außen verstehen, d.h. sich selbst gegenüber eine Transferleistung erbringen. Je stärker man dazu in der Lage ist, desto eher kann man vielleicht Menschen außerhalb der Wissenschaft verstehen. Desto besser wird wahrscheinlich sogar die von so reflektierten und selbst-bewussten Wissenschaftler:innen später betriebene Wissenschaft, da sie den Bezug zur Gesellschaft, von der sie finanziert wird und für die sie ihre Erkenntnisse generiert, nicht verliert.

Und in der Tat: einige der vierzig am Workshop teilnehmenden Studierenden aus Konstanz und Münster wählten auch sich selbst als Zielgruppe. An zwei intensiven Arbeitstagen lernten sie unter Begleitung durch Gianluca Scigliano, wie ein Wissenschaftscomic funktioniert, indem sie selbst allein oder in Zweierteams einen gestalteten. Die im Comic zu beantwortenden Fragen mussten sie selbst mitbringen und sie waren so weit gestreut wie die Disziplinen, die sie studierten: Was ist der kategorische Imperativ? Sind tote Quallen noch giftig? Ist die Antarktis ein Kontinent? Was ist Intersexualität?

… mit Playmobilfiguren Szenen stellen …

Gianluca Scigliano führte die Gruppe Schritt für Schritt durch den Arbeitsprozess, half konkret beim Storyboard oder bei Problemen des Zeichnens. Dabei war sein Credo: man muss gar nicht gut zeichnen können. Oft sind Zeichnungen, die etwas unbeholfener wirken, sehr charmant. Als Beispiel nannte er Kinderzeichnungen. Wer sich ans Zeichnen nicht herantraute, konnte auch mit Playmobilfiguren Szenen stellen und zu einem Comic verarbeiten. Das nutzten jedoch wenige. Viele hingegen blätterten in den zahlreichen Beispielcomics, die auf Tischen zur Einsicht auslagen, und ließen sich inspirieren.

Theoretische Impulse halfen, die praktische Arbeit in den Kontext der Bandbreite des Mediums zu stellen und die eigenen Überlegungen und Versuche in einem bereits etablierten Raum zu verorten. Constanze Bartsch (Universität Münster) führte in die Geschichte des Mediums ein; Katja Arens (Universität Münster) stellte das Projekt „Frag Sophie“ vor. Tim Glaser von der Hochschule der Künste Braunschweig thematisierte vor allem die Formensprache des Comics als Medium, das inzwischen nicht nur selbstbewusst mit künstlerischem Anspruch auftritt, sondern auch als solches wahrgenommen wird.

Wirkmächtigkeit des Mediums Comic

Nach zwei Tagen intensiver gemeinsamer Arbeit leitete Marc-Oliver Stallony (Universität Münster) eine abschließende Reflexion, die dazu diente, sich von allen Beteiligten Feedback auf die eigene Arbeit abzuholen, um diese im Nachgang ggf. noch zu verändern. Außerdem sollte dieser Teil des Workshops dazu anregen, über mögliche Einsatzorte der Comics zu reden: ist das jetzt tatsächlich ‚nur‘ für mich selbst oder könnte das auch für andere interessant sein? Für wen? Vielen wurde an dieser Stelle noch einmal die Wirkmächtigkeit des Mediums deutlich bewusst.

Es hat jedoch nicht nur erstaunliche Ergebnisse im Sinne fertiger und fast fertiger Comics gegeben. Nein. Was die gemeinsame Arbeit gezeigt hat, ist erstens, wie befruchtend eine offene interdisziplinäre Arbeit sein kann. Dabei ist zu beachten, dass Interdisziplinarität hier nicht verstanden wurde als ein Auflösen oder auch nur Überschreiten von Disziplinarität, sondern als ein Rahmen, der einen Austausch dort möglich macht, wo er sinnvollerweise stattfinden kann: in der Kommunikation, in der Vermittlungsarbeit. Die andere Disziplin ist dabei gleichzeitig ein erster Testpartner, ist sie doch nicht vertraut mit den Methoden und Inhalten des je eigenen Fachs. Nebenher bemerkt: auch die Begegnung zweier Institutionen mit ihren je eigenen Traditionen und Gewohnheiten kann sehr produktiv sein.

… die überkommene Zeitlichkeit hochschulischen Lernens …

Zweitens hat der Workshop deutlich gezeigt, dass intensiv verdichtete Lernzeiten sinnvoll sein können. Nicht alle Inhalte lassen sich über den Leisten von 90 wöchentlichen Minuten über 14 Wochen, also dem normalen Semesterrhythmus, gut vermitteln. Manche brauchen eine starke Verdichtung. Andere wiederum könnten viel lockerere Rhythmen vertragen. Es wäre schön, wenn eine Lehre aus der Coronazeit, wo ja alle, wenn auch gezwungenermaßen, sich mit neuen Lehrformen und -formaten auseinandersetzen mussten, sein könnte, die überkommene Zeitlichkeit hochschulischen Lernens radikal infrage zu stellen.

Drittens schließlich ist die Wissenschaft medial hoch konservativ: eigentlich gilt nur geschriebener Text, ggf. ergänzt um Gleichungen, Diagramme oder Illustrationen, als Medium der Wissenschaft. Der Comicworkshop hat gezeigt: auch andere Medien sind sehr wohl wissenschaftsfähig. Die geschickte Kombination von Text und Bild ermöglicht dabei sehr viel mehr als nur die Kommunikation anderswo bereits aufbereiteter Inhalte. Dieser Nachweis ist übrigens für das Medium Comic auch schon erbracht: 2015 publizierte die Harvard University Press die Graphic Novel „Unflattening“ von Nick Sousanis, der mit diesem Comic an der Columbia University promovierte. Es ist die erste Dissertation, die im Comicformat erfolgte. Mögen ihr noch viele weitere folgen!

Und jetzt, kurz vor Ende dieses Textes, fällt mir auch wieder ein, warum da Fragezeichen im Titel waren. Der Wissenschaftscomic betritt medial wie inhaltlich eine schwankende Welt. Wo der linke Haken eines Superhelden – Zack! – immer (ja, wirklich, immer) den Körper eines Feindes trifft, muss Wissenschaft jedes Gelingen gleich wieder infrage stellen. Dem Zack! (hah! Heureka!) folgt ein nicht weniger selbstbewusstes, wenn auch leiseres Zack? (bist Du Dir sicher?).

Text: Albert Kümmel-Schnur, Bilder: Constanze Bartsch, Westfälische Wilhelms-Universität Münster