Zwischen allen Stühlen … Storch werden
Vom 24. bis 26. April besucht die Puppenspielerin Martina Hering vom Guckmal Figurentheater Konstanz. Für Studierende der Universität bietet sie einen Workshop „Erzählen mit Puppen“ an und tritt am 26. April um 16 Uhr im Wolkensteinsaal mit dem Stück „Kalif Storch“ (ab 4 Jahren) auf. Unser Autor sprach mit der Puppenspielerin und erklärt, was Kasperle an der Uni zu suchen hat.
„Ich glaube, wir brauchen alle eine Verwandlung in Bezug auf unsere Lebenseinstellung. Wie wollen wir das Leben gestalten? Aber auch in Bezug auf unsere Umwelt, die sich ja gerade auch in Verwandlung befindet.“ Martina Hering zögert keine Sekunde, als ich sie nach ihrer Motivation, sich mit dem Märchen „Kalif Storch“ auseinanderzusetzen, frage. „Kalif Storch“ ist ein Kunstmärchen, im Jahr 1826 verfasst von dem romantischen Schriftsteller Wilhelm Hauff. Dabei verwendete er Motive der arabischen Märchensammlung „Tausendundeine Nacht“. Es geht um einen Kalifen und seinen Wesir, die sich mittels eines Zauberpulvers in Störche verwandeln, aber der magischen Auflage, während der Verwandlung nicht lachen zu dürfen, nicht genügen können. Mehr sei an dieser Stelle nicht verraten.
Wir haben ja auch alles
Zwar bietet Martina Hering ihr Stück bereits Kindern ab 4 Jahren an, doch ist sie überzeugt, dass das Märchen auch genügend Reflexionsangebote für Erwachsene macht: „Was passiert eigentlich, wenn man durch etwas hindurchgeht wie der Kalif? Der hat alles, was er braucht, wird zum Storch und kommt aus dieser Verwandlung als ein anderer, mit einer neuen Haltung zurück.“ Dabei ist es zunächst gar kein positives Angebot „Du musst Dein Leben ändern“, was der Zauberer, von dem der Kalif das magische Pülverchen kauft, anbietet, sondern, wie Martina Hering meint, eine „Verführung“. „Dieser Kalif hat wirklich alles, was er sich wünscht und kann trotzdem mit sich nichts anfangen. Und in dieser Situation ist er anfällig für die Intrige des Zauberers, der den Kalifen aus der Realität entfernen möchte, um selbst die Macht an sich zu reißen. Wir haben ja auch alles und fallen auch auf Manipulationen aller Art herein, ohne das für uns noch recht deuten zu können. Aufgrund von innerer Leere.“
Die schwäbische Antwort auf 1001 Nacht
Wilhelm Hauff, einen hochbegabten, aber chronisch unterschätzten Schriftsteller, dem nur 25, allerdings sehr produktive Lebensjahre vergönnt waren, hätte diese Interpretation wahrscheinlich gefallen. Seine Märchen publiziert er unter den Bedingungen politischer Repression und harter Zensur. Der Nachwelt gilt er, wie Stefan Neuhaus es formuliert, „als die schwäbische Antwort auf 1001 Nacht“, ja, mehr noch, als Reaktionär mit antisemitischen Tendenzen, die allerdings mit seinen Texten nichts, mit ihrer Rezeptionsgeschichte alles zu tun haben.
Hauff ist den demokratischen Bewegungen im Vormärz verbunden, versteckt seine Gesellschaftskritik aber in der harmlos erscheinenden Form des Märchens, scheinbar gerichtet an Kinder und in den allzu fernen Orient und später in die dunklen Tiefen des Schwarzwaldes verschoben. „Veränderung“, „Wandlung“ oder auch „Ver-Wandlung“, ja, das ist durchaus sein Thema: Kleinwüchsige, Missgestaltete, Ausgestoßene, Arme sowohl als auch arme Säue und wie sie sich und darüber auch – manchmal – ihre Umwelt verwandeln, darum geht’s bei Hauff.
„Der Mensch“, so sagt Martina Hering, „ist ja erst bereit, sich zu reflektieren oder ein anderes Angebot anzunehmen, über den Schmerz. Es ist ja oft so, dass Menschen über etwas, das ihnen zustößt, eine Verwandlung erfahren und dann anders gestalten.“ Die märchenhafte Erzählweise aber ermöglicht ganz unterschiedliche Zugänge: Wo Erwachsene oder Jugendliche nachdenken und reflektieren, nehmen Kinder „eine Stimmung, eine Erfahrung, die Puppen und ihre Bewegungen, den Zauber, die Musik, das Spiel“ wahr. Es ist, mit anderen Worten, ein echtes Familienstück.
Figurentheater ist ein Möglichkeitsraum
Aber wie geht man nun mit diesem Angebot, das das Figurentheater macht, an einer Universität um? Martina Herings „Kalif Storch“ ist ja auch Teil eines Seminars der Universität Konstanz. Die Uni macht Kaschperle? Darauf ist die Antwort ein schlichtes „Ja, und warum auch nicht!“
Figurentheater ist ein Möglichkeitsraum, der heutzutage nicht nur die klassischen hand-, stock- und fadengeführten Puppen der Tradition umfasst, sondern jedes Objekt und Material von der Zitronenpresse bis zum Kaugummipapier, aber auch aufwändige robotische und mechatronische Figuren, ganze ferngesteuerte und interaktive Avatare sowie Computersimulationen. Auch Figurenspielende interessieren sich für Künstliche Intelligenz, weil es für sie ohnehin zum ganz alltäglichen Geschäft gehört, toter Materie Leben einzuhauchen und sie mit Handlungsmacht zu versehen. Das bedeutet, dass Puppenspiel sowohl ein hoch interessanter Gegenstand wissenschaftlicher Auseinandersetzung sein kann und auch ist – als auch, dass es eine Vielfalt von Kommunikationsformen umfasst, die für Studierende Teil eines Repertoires werden können, mithilfe dessen sie das an der Universität Gelehrte in allgemein verständliche Formen übersetzen können. Nicht zuletzt macht der Umweg über ein anderes Medium es möglich, sich selbst als Lernende oder Lernender einen Zugang zu verschaffen zu abstraktem, komplizierten und, häufig genug, irreduzibel komplexem Wissen. Dazu brauchen sie nicht einmal Publikum.
Am 26. April jedoch hoffen wir alle – die Universität genauso wie die Puppenspielerin – auf einen vollen Wolkensteinsaal. Karten werden eine Stunde vor der Vorstellung direkt im Kulturzentrum für 5 Euro das Stück verkauft. Für das Publikum ist es eine der in Konstanz selten gewordenen Gelegenheiten, hochwertiges, professionelles Puppentheater zu sehen. Für die Studierenden ist es eine Gelegenheit das, was sie selbst im Workshop mit Martina Hering ausprobieren durften, in einer Aufführung zu beobachten.
Text: Albert Kümmel-Schnur, Bilder: Martina Hering