Zwischen allen Stühlen … Geschöpfe der Nacht: Wer oder was ist ein Vampir?

Studierende der Universität Konstanz haben digitale Spiele anlässlich der Nosferatu-Inszenierung des Stadttheaters auf dem Münsterplatz entwickelt. Sie können diese Spiele im Internet abrufen und auf Ihrem Smartphone spielen.

Wer oder was ist ein Vampir? Das fragten sich 30 Studierende in einem Seminar, das den Titel „Untot. Auf der Jagd nach dem Vampir“ trug. Anlass des Seminars, das von Sarah Seidel und mir geleitet wurde, war die diesjährige Sommertheaterinszenierung auf dem Münsterplatz. Ziel des Seminars war es, geolokalisierte Videos rund um das Vampirthema zu erstellen. Nach einem einführenden Videoworkshop mit dem Berliner Filmemacher Manuel Stettner, der an der Universität Konstanz Literatur-Kunst-Medien studiert hat und jetzt v.a. Dokumentarfilme fürs Kino editiert, erkundete das Seminar das weite Feld des Vampirismus.

… aus dem Grabe zurückkehrender Toter

Ein Vampir: das ist zunächst nichts anderes als ein im 18. Jahrhundert von österreichischen Ärzten erfundenes Wort. Es war gedacht, die Figur aus dem Grabe zurückkehrender Toter, die in Dörfern an der Grenze zwischen Österreich-Ungarn und Preußen als Erklärung für unerklärliche Tode verantwortlich gemacht wurden, zu beschreiben. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die schnell immer farbiger ausgestaltete Erzählung von blutsaugenden Wiedergängern an den Grenzen des Habsburgerreiches durch die Zeitungen und gelehrten Magazine Europas. Und ist seitdem – buchstäblich – nicht mehr totzukriegen.

Suchtkranke, Ehebrechende, Kleinkriminelle, Migrant:innen

Das Fortleben der Blutsaugerinnen und -sauger – von Anfang an konnten Frauen wie Männer Vampirsgestalt annehmen – ist wohl ihrer vielfältigen Anschlussfähigkeit geschuldet. Zum Vampir, so glaubten schon die bäuerlichen Gemeinschaften der habsburgischen Grenzdörfer, sind vor allem Außenseiter bestimmt: Suchtkranke, Ehebrechende, Kleinkriminelle, Migrant:innen. Vampire sind also zunächst einmal Sündenböcke, die das Nicht-Gemeinschaftliche von Gruppen und Gesellschaften aufgeladen bekommen und stellvertretend vernichtet werden.

Den Vampir schaffen wir

Zum Vampir kann aber auch werden, wer nicht angemessen bestattet und betrauert wurde. Dieses ursprünglich religiös-rituelle Motiv griff später die Psychoanalyse auf: Vampire sind Figurationen der Unbetrauerbarkeit. Der Vampir ist nicht ein Monster außerhalb unserer selbst. Den Vampir schaffen wir, indem wir geliebte Menschen nicht loslassen können nach ihrem Tod. Wir erschaffen sie als untote Wesen, die uns daran hindern, die Trauerarbeit abzuschließen und uns wieder dem Leben zuzuwenden. In seiner romantischen Version ist das dann die Vorstellung ewiger Liebe, wie sie endlose Teenager-Serien, aber auch Filme wie Francis Ford Coppolas in dieser Hinsicht gar nicht so Stoker’scher Film „Bram Stokers Dracula“.

Bram Stoker, ein irischer Autor, hat dem Vampirnarrativ in seinem 1897 erschienenen Roman eine so überzeugende und gültige Fassung gegeben, dass man seine Geschichte in eine vor- und nachstokersche Phase unterteilen kann. Bis heute blieb der Roman kontinuierlich im Buchhandel verfügbar.

… den Vampir selbst nie zur Sprache kommen lassen

Stoker schließt sich der romantischen Version des adeligen Vampirs an, verknüpft diese Figur jedoch mit Motiven des Gestaltwandels und der dem Teufel nachgesagten Herrschaft über Insekten, Spinnen und Kleinnager. In viktorianisch-verdeckter Form sexualisiert er die Figur und verlegt sie, übrigens erst kurz vor der Publikation, nach Transsylvanien und bringt auf diese Weise auch noch exotistische und koloniale Motive hinein. Als besonders geschickt erwies sich die stilistische Entscheidung, den Vampir selbst nie zur Sprache kommen zu lassen und nur in den Briefen, Telegrammen, phonographischen Aufzeichnungen seiner Opfer und Verfolger:innen Gestalt annehmen zu lassen. Am Schluss bleibt unklar, ob Dracula nun eigentlich vernichtet wurde oder sich im allerletzten Moment der tödlichen Klinge durch die Verwandlung in Nebel entziehen konnte.

Draculas große Fahrt

Die Studierenden haben 14 Variationen auf den Vampirstoff entwickelt. Mal muss man Konstanz vor Vampiren retten, ein andermal sein vampirisches Wissen mit Quizfragen unter Beweis stellen. Mal tritt Nosferatu – der bei Stoker nebenbei erwähnte Name wird 1922 zum Titel des Stummfilms „Nosferatu – eine Symphonie des Grauens“ – als von Groupies verfolgter Star auf, mal ist er gar kein greifbares Wesen, sondern der Name für einen namenlosen Verlust. Einige Spiele reinszenieren Draculas große Fahrt von Transsylvanien nach London als Schifffahrt über den Bodensee, andere geben Tipps, die angehende Vampire beachten sollten und wieder andere inszenieren die Ankunft von Vampiren als „True Crime“-Story, die durch Massenmedien ausgeschlachtet wird.

Der Biss eines Vampirs

Auch Genderfragen spielen eine wichtige Rolle, etwa wie die Kirche die weibliche Sexualität dämonisierte oder welche Ängste die Gesellschaft (von Vampiren? oder doch von Menschen?) vor der Verweigerung der Festlegung sexueller Identitäten umtreibt. Dass der Biss eines Vampirs nicht nur beängstigend, sondern durchaus rauschhaft und ekstatisch sein kann, zeigt ein Vampirrave. Dass auch Vampire Alltagssorgen haben, weitab ihrer spektakuläreren Küsse und Bisse (ganz zu schweigen von den dramatischen Formen ihrer Vernichtung) ist einem Interview zu entnehmen, das ganz nebenbei mit einem döneressenden Vampir mit abgeschliffenen Zähnen geführt wurde.

Hier geht es zu den Spielen:
– Laden Sie hier die kostenlose App Actionbound herunter, falls diese auf Ihrem System noch nicht installiert ist.
– Die Spiele selbst können Sie dann hier herunterladen und anschließend spielen.

Text & Bilder: Albert Kümmel-Schnur