Zwischen den Stühlen … Was macht man denn, wenn man das macht?

Transfer in der Lehre, Engagement der Hochschulen für die Gesellschaft, service learning … alles Namen für die gleiche Sache, doch was für eine Sache ist das eigentlich? Was macht, wer das macht? Oder anders: wie läuft das eigentlich ab – Transfer in der Lehre?

„Ja, hallo, können wir mal reden?“ So geht das meistens los. Das kann eine Lehrende sein oder ein Lehrender, das kann eine Studentin oder ein Student sein – das kann aber auch einfach jemand sein, der mit Hochschule sonst nichts oder wenig oder bestenfalls irgendwann früher mal, was sie oder er auch noch studiert hat, zu tun hat. Die Bitte um ein Gespräch steht am Anfang der meisten transferorientierten Lern-Lehrszenarien. Das geht ganz niedrigschwellig: man schreibt eine E-Mail, man ruft an. Und manchmal geht es dann auch gleich los. „Unser Verein leidet an Überalterung der Mitglieder – was machen wir da?“ „Ich brauche unbedingt 2000 Euro für mein Ausstellungsprojekt im nächsten Semester.“ „Kennst Du jemanden, der einen Vortrag bei uns halten kann?“ Solche Fragen sind das. Es sind einerseits Fragen nach den Rahmenbedingungen solcher Projekte: man sucht den richtigen Kooperationspartner, braucht etwas Geld, vielleicht einen Raum oder möchte das Konzept durchsprechen. Oft werden jedoch auch Fragen gestellt, die ein ganz allgemeines Kooperationsinteresse artikulieren, ohne jedoch genau zu wissen, wie kooperiert werden soll und kann oder wie man ein solches Projekt überhaupt denken muss. Was geht, was geht gar nicht? Und mehr noch: Was ist möglich? Was wäre denkbar?

Transfer zu beraten, heißt zunächst, den Raum des Möglichen gemeinsam mit einem möglichen Kooperationspartner auszuschreiten. Und das heisst oft, die Perspektiven deutlich auszuweiten. Man trifft sich, trinkt Kaffee, geht spazieren und redet, redet, redet. Dabei wachsen die Ideen – wie das meist zu Anfang von Projekten ist – schnell in den Himmel. Projekte werden größer, ihr Anspruch steigt deutlich, sie werden auch bunter und aufwändiger. Ziel dieses Prozesses ist, Grenzen zu durchbrechen, der Fantasie ein Tor ins Freie zu öffnen, nicht zu früh Bedenken zu äußern oder Warnschilder aufzustellen. Je freier die Ideen fließen, desto stärker wächst auch der Wille, sie wirklich werden zu lassen. Aus kleinen Pflänzchen entstehen große Traumbäume und Zauberwälder. Wer sich in sie hineinfantasiert, wird spüren das der Wille zur Wirklichkeit auch ein Generator für Energien ist. Von der Entstehung von Begeisterung beim Gedankensturm.

Manchmal braucht es nach diesem ersten Gespräch Zeit, damit eine Idee reifen kann, Konkretion gewinnen. Manchmal fehlt es auch an Gelegenheit. Es passt grad einfach nicht. Dann wartet man ab – es gibt immer viel zu viele Projekte, die man machen könnte. Ich schreibe grundsätzlich nichts mit bei diesen Gesprächen, weil ich mich ganz einlassen möchte auf die Person, die mir gegenübersitzt und weil ich mich nicht einmal durch die sanfte Spur, die ein Stift auf einem Blatt Papier hinterlässt, festlegen lassen möchte. Jetzt nicht. Noch nicht. Aber ich lasse mich gern begeistern und lasse mich mitnehmen von der Begeisterung meiner Gesprächspartnerinnen und -partner. Da gibt ein Wort das andere, eine Idee löscht die vorhergehende aus. Zu guter Letzt stehe ich auf und bitte darum, dass meine Gesprächspartnerin, mein Gesprächspartner sich doch melden möge.

Das hilft mir, den Kopf sofort wieder frei zu bekommen und mich auf den nächsten Menschen, das nächste Gespräch, das nächste Projekt einzulassen. Oft bleibt allerdings hängen, was gesprochen und gesponnen wurde. Und immer, immer rufe ich nach einem Gespräch meine Kollegin Sibylle Mühleisen an.

Ein Erfolgsfaktor des Teams Transfer Lehre liegt in der engen Zusammenarbeit der beiden Teammitglieder. Man telefoniert meist mehrfach am Tag, schreibt sich, liest Texte des anderen. Wir teilen gleiche Werte, gleiche Arbeitshaltungen, gleiche Vorstellungen. Wir arbeiten in engem Kontakt zueinander und in hohem Tempo. Vor allem aber hören wir einander zu. Es gibt kaum eine Entscheidung, die einer von uns allein trifft. Wir haben unterschiedliche fachliche Hintergründe – Sibylle Mühleisen ist Wirtschaftswissenschaftlerin, ich Literatur- und Medienwissenschaftler. Ich war lang in der Wissenschaft beschäftigt, während sie schon früh in der Verwaltung gearbeitet hat. Gesellschaftliches Engagement war ihr immer ein Anliegen. Mir lag immer gute Lehre am Herzen. Ihr Feld sind soziale Aktivitäten, mein Feld kulturelle Projekte. Aber: man spielt eben nicht alleine Ping-Pong. Dazu braucht es eine Partnerin, einen Partner. So kann man sich auch bei den Dingen unterstützen, die einem schwer fallen. Wer zu zweit ist, muss nicht allein auf jedes Meeting gehen, muss auch Gespräche nicht führen, die der andere führen kann und Wege nicht gehen, die der andere mit Begeisterung gehen will.

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Das ist vielleicht auch ein Aspekt gerade der so wichtigen frühen Konzeptions- und Vernetzungsphase: man muss sich für andere Menschen, andere Ideen und Projekte wirklich interessieren. Sich entzünden lassen von den Träumen anderer. Man muss bereit sein, Ideen Zeit und Raum zu geben, sich zu entfalten. Vielleicht ist eine Idee in diesem Semester einfach noch nicht reif genug – dann geht man ins nächste. So sind etwa von der ersten Idee, artikuliert im Campuscafé der Universität, bis zur Umsetzung im Sommersemester 2021, nämlich, in einem Seminar darüber nachzudenken, wie denn ein Kunstverein aufgestellt sein müsste, in dem Studierende Mitglieder werden wollten, gut zwei Jahre vergangen. Zwei Jahre, in denen man immer mal auf diesen Gedanken zurückkam, mal ein Gespräch mit Kolleg:innen führte, mal das Ganze wieder vergaß. Bis man irgendwann dachte: jetzt. Und dann: ein neuer Kaffee – diesmal im Hof des Unverpacktladens Silo an der Laube.

Herausfordernd sind Transferprojekte immer

Der nächste Konkretisierungsschritt bedeutet die Planung und Ankündigung des Projektes im Vorlesungsverzeichnis. Das ist in der Regel ein halbes Jahr vor Projektbeginn. Man muss sich über Termine einig sein und über den groben Inhalt. Und man muss zu diesem Zeitpunkt Verbindlichkeit und Vertrauen erzeugt haben. Das Gefühl ‚Wir machen das jetzt miteinander und packen das auch‘. Dieses Gefühl muss unbedingt da sein, denn herausfordernd sind Transferprojekte immer. Insbesondere weil sie an Realisationszeiträume geknüpft werden: man will ja am Ende des Projektes mit einem fertigen Prozess oder Produkt dastehen und nicht mit leeren Händen. Und doch! Auch das muss möglich sein: Lehre muss offen bleiben für Ergebnisse, die abweichen von festen Zielvorgaben. Das verlangt Kooperationspartnern, die ja auch in die Projekte investieren, viel ab. Unsere Erfahrung ist jedoch, dass das in der Regel auch klappt. Wichtig ist, dass eine enge und offene Kommunikation erhalten wird und man ein gutes Gespür für das Machbare behält. Es hat einfach keinen Sinn, Projekten etwas abzuverlangen, was sie nicht leisten können. Bei aller Realitätsnähe sind diese Projekte doch eine Parallelwelt, denn sie bleiben Lehre und Lernen. Auch wenn es sich um einen ’service‘ handelt, so wird daraus doch keine abrufbare ‚Dienstleistung‘.

Und so sollten diese Projekte dann auch durchgeführt werden. Wenn das Semester beginnt, treten die Partner – für gewöhnlich Lehrende und Kooperationspartner von außerhalb der Hochschule – vor die Studierenden, die an dem Projektseminar teilnehmen wollen und erklären ihnen, was man sich so vorgestellt hat, wie man diese Idee umzusetzen gedenkt und welchen kreditierbaren Beitrag sie leisten wird zum Studienverlauf. Und obgleich kein Projekt dem anderen gleicht, kann man doch festhalten, dass diese Projekte Lehrenden die große Fähigkeit zum Loslassen abverlangen. Erfahrungen sind nur dann welche, wenn man sie selber machen darf.

Kein Vorturnen also. Lass mal machen. In der Coronazeit musste ich lernen, dass diese Freiräume noch wichtiger sind als in der Präsenzlehre. Das einsame Hocken vorm Bildschirm strengt ohnehin genug an. Da muss man nicht auch noch zusätzlich disziplinierend, kontrollierend und auf Teufel komm raus versuchen, das Steuer in der Hand zu halten. Lass mal treiben. Das funktioniert erstaunlich gut. Bedingung für dieses Funktionieren ist die Sicherheit, dass man nicht ungeschützt aufs offene Meer hinaustreiben kann, sondern immer in Kontakt bleibt.

Studierendengruppen sind, wen wird das überraschen …, ganz unterschiedlich. Unterschiedlich groß, unterschiedlich teamfähig, unterschiedlich begabt, unterschiedlich einsatzbereit. Aus diesem Umstand ergibt sich aber, dass es einfach nicht möglich ist, vorherzusehen, ob dieses Projekt schlussendlich funktioniert haben wird. Und, for that, was es denn bedeutet haben wird: das Funktionieren? Was genau funktionierte denn, wenn’s funktioniert hat? War es ein lehrreiches Semester, ein tolles Team, ein hervorragendes Ergebnis, gute Noten, viele Creditpoints, tiefe Erfahrungen oder die persönliche Weiterentwicklung? Damit man in eine gute Arbeit kommt, muss man sehr engmaschig Kontakt halten, Beziehungen pflegen, im Austausch bleiben. Für Lehrende bedeutet das oft Mehrarbeit. Studierende müssen sich manchmal daran gewöhnen, selbständiger, offensiver zu agieren, als ihnen das die Institution manchmal nahezulegen scheint. Und externe Partner müssen deutlich artikulieren, wie sie sich die Kontaktaufnahme bzw. Beziehungspflege denn genau vorstellen. Wollen sie am Seminar teilnehmen? Wollen Sie meilensteinartig zu Rate gezogen werden? Gibt es eine Projektübergabe am Ende? Oder ein mitlaufendes Dauergespräch?

Zu guter oder schlechter Letzt arten solche Projekte doch häufig in Stress aus. Die nahende Abgabe erzeugt einen hohen Erfolgsdruck. Das muss nicht negativ sein, sondern kann auch belebend wirken, realitätsnah, relevanzfördernd. In dieser Phase zeigt sich, ob realistische Absprachen getroffen wurden und ob das Team funktioniert. Das ist wohl eine der Aufgaben, die im Kontext Hochschulseminar nur selten jenseits von Transferprojekten eingeübt wird: ein Team zu sein, als Team zu handeln, als Team im Prozess zu bleiben. Das ist herausfordernd. Engagement ist selten gleichmäßig über alle Teilnehmenden solcher Veranstaltungen verteilt. Und manche und mancher versucht, für die Versäumnisse anderer im Sinne der Erreichung des gemeinsamen Ziels aufzukommen. Lehrende müssen versuchen, ihren eigenen Stress aus der Gruppe herauszuhalten, um den Gruppenstress angemessen moderieren zu können und nicht mit der eigenen Nervosität zu vermischen. Sollte es möglich sein, dann ist es in dieser Phase sinnig, auch eine Moderation oder Mediation einzubauen. Und sei es nur, damit sich der Stress in einem stabilen Rahmen kurz mal befreien kann.

Lösung – Auflösung – auch das ist eine eigenständige Projektphase. Die Übergabe eines Produktes, die erstmalige Austestung einer Dienstleistung oder eines Prozesses ist ein extrem wichtiger Moment für Projekte. Er sollte gut vorbereitet sein. Spannungen müssen sich lösen dürfen. Unartikuliertem und Weggedrücktem und Verdrängtem muss ein Raum gegeben werden, sich Luft zu verschaffen. Und, last but not least, sollte man sich feiern. Ja, ein Fest ist ein guter Schluss für ein Projekt. Das muss nicht riesig sein. Aber sich so lebendig zu fühlen wie sonst selten – denn darum geht es ja letztendlich -, ist eine sehr wertvolle Qualität von Transfer-Lehre-Projekten. Man sollte ihr eine Form und einen Rahmen geben.

Was macht das Beratungsteam? Manchmal ist es bei solchen Abschlussfeiern dabei. Oft wird es dazu eingeladen. Manchmal auch nicht. Nicht für jede Feier ist Zeit vorhanden, denn das nächste Projekt ist ja längst geplant. So sind die jährlich stattfindenden Transfer-Lehre-Tage für das Team auch eine Möglichkeit, Rückschau zu halten, das Gewesene zu analysieren und zu reflektieren. Und bei dieser Gelegenheit auch einmal anzustoßen.

Text von Albert Kümmel-Schnur, die Bilder verfertigte die Konstanzer Fotografin Inka Reiter.