Döbele: Schaun mer mal, dann sehn mer schon

Wohnungsnot und Verkehrsmalaise sind die beherrschenden Themen der Konstanzer Kommunalpolitik – und die Top-Themen im Wahlkampf. Beide Problemfelder treffen sich in der aktuellen Diskussion um die Bebauung des Döbele-Areals – nicht nur in der seemoz-Kommentarspalte. Dazu eine Meinungsäußerung von Jürgen Geiger, der auf Platz neun der LLK-Liste zur Gemeinderatswahl kandidiert

Unter den gewiss nicht wenigen Problemen, denen sich die Konstanzer Lokalpolitik gegenübersieht, stechen doch zwei ob ihrer schieren Bedeutung für große Teile der örtlichen Bevölkerung heraus. Das ist zum einen die prekäre Wohnungssituation, die inzwischen ein Ausmaß eingenommen hat, das selbst hartnäckige Anhänger der Segnungen des freien Marktes das Wort von einer herrschenden Not in den Mund nehmen lässt. Wenn schon der ansonsten notorisch wirtschaftsaffine Oberbürgermeister davon spricht, dass es hier um eine soziale Frage gehe, wirft das ein Schlaglicht auf die Dimension des Problems. Eine ganz große Koalition im Gemeinderat war sich mit dem OB einig, dass es an der Zeit für ein „Handlungsprogramm Wohnen“ sei.

Da ist zweitens die Verkehrsmalaise, die aufgrund des nahezu unbegrenzten Freifahrscheins für automobile Blechlawinen inzwischen im Stadtgebiet in schöner Regelmäßigkeit buchstäblich für Stillstand sorgt – was nicht nur bei den unmittelbar Betroffenen der damit verbundenen Lärm-, Dreck- und Abgasentwicklung zunehmend Verdruss und Wut auslöst. Selbst in Kreisen der Entscheidungsträger, in denen man diesen lästigen Begleiterscheinungen der Geschäftemacherei schon qua Einkommenslage aus dem Weg gehen kann (wer wohnt schon in Petershausen, wenn er sich die Seestraße leisten kann), scheint man zu ahnen, dass es ein Weiter-so nicht geben kann, da dies am Ende das monetär bestimmte Mantra bürgerlicher Kommunalpolitik selbst ad absurdum führen könnte.

Kann also Hoffnung auf Einsicht und Abhilfe in beiden Problemfeldern aufkeimen?

Das Döbele ist eine der letzten bedeutenden innerstädtischen Freiflächen; die Antwort auf die Frage, was damit geschehen soll, darf aufgrund seiner Größe und Lage als exemplarisch für die Absichten der Stadtverwaltung und der Gemeinderatsmehrheit betrachtet werden. Wohin soll die Reise also gehen in den Wohnungs- und Verkehrsangelegenheiten? Jetzt hat eine Jury, bestehend aus den üblichen Verdächtigen (OB, Fraktionen, Architekten), eine Vorentscheidung über die Zukunft des Areals getroffen, die nichts Gutes ahnen lässt.

Einstimmig – die Linke Liste durfte nicht mitmachen – votierte das Gremium für einen Entwurf, der zwischen 300 und 400 Wohn-„Einheiten“ vorsieht. Aber Vorsicht, denn nichts Genaues weiß man nicht, betonte umgehend die Leiterin des Stadtplanungsamts: „Wie viele Wohnungen mit welchen Größen ganz genau entstehen könnten, diese Frage werde zu einem späteren Zeitpunkt beantwortet“, lässt sie sich im Ortsblatt zitieren. Genauso unklar ist, kann man getrost hinzufügen, von wem und für wen da Wohnungen errichtet werden sollen.

Betroffen sind zunehmend auch die viel zitierten Normalverdiener

Die Wohnungsnot ist entstanden, weil die herrschenden Kreise über Jahrzehnte hinweg diesen zentralen Bereich der Stadtentwicklungspolitik dem Markt ausgeliefert haben. Sie trifft folgerichtig in erster Linie Leute mit niedrigen Einkommen, aufgrund der daraus resultierenden Mietpreisentwicklung und den Folgen der kapitalistischen Krisen aber zunehmend auch die viel zitierten Normalverdiener. Die planerische Gestaltung dieser zentralen Aufgabe der Daseinsfürsorge folgte dem neoliberalen Grundsatz, dass nur realisiert werden darf, was Profite für den privaten Wohnungsbausektor abwirft. Städtischer Grund und Boden wurde und wird an die Immobilienwirtschaft verhökert, der Bau von Luxusmeilen forciert, auf Projekte in Eigenregie weitgehend verzichtet. Selbst die städtische Wobak unterwarf man diesem Diktat, sie investiert seit Jahren vornehmlich ins Hochpreissegment und in den Eigentumswohnungsbau. Sozialer Wohnungsbau findet also schlicht kaum mehr statt.

Im Gegensatz dazu muss eine Politik, die solche schlimmen Fehlentwicklungen korrigieren will, zuallererst Prioritäten in Sachen Wohnraum für Gering- und Normalverdiener setzen. Sie muss deutlich machen, dass die Stadt angesichts der untragbaren Verhältnisse an die finanzielle Schmerzgrenze zu gehen hat, und dass andere Investitionen im Zweifelsfall hinter diesem Ziel zurückstehen müssen. Sie darf, vor allem, nicht länger den Türöffner für Privatinvestoren spielen, sie muss selbst handeln und schleunigst mehr, vor allem aber öffentlichen und erschwinglichen Wohnraum schaffen. Dazu gehören beispielsweise Maßnahmen wie feste Quoten für (kommunale) Sozialwohnungen, die bei allen künftigen Wohnbauprojekten zu realisieren sind. Dazu gehört die Verpflichtung, städtisches Tafelsilber nicht weiter der Immobilienspekulation auszusetzen. Dazu gehört die finanzielle Stärkung der Wobak und die Förderung genossenschaftlicher Non-Profitprojekte.

Mit der bewußt vage gehaltenen Entscheidung in Sachen Döbele, die all dies offenlässt, nach dem wurstigen Motto „Schaun mer mal, dann sehn mer schon“, ist man dabei, eine weitere Chance für die überfällige wohnungspolitische Kurskorrektur zu verspielen.

Politik fest im Griff der mächtigen Einzelhandelslobby

Was schließlich den verkehrspolitischen Aspekt des jetzt prämierten Entwurfs angeht, bleibt nur Fassungslosigkeit. Fast könnte man lachen, wenn es für viele nicht so traurig wäre. Denn wer den Bau eines weiteren zweigeschossigen Parkauses mit mehr als 1200 zusätzlichen Stellplätzen in der Innenstadt als Beitrag zu einer „stauhemmenden Verkehrsführung“ verkaufen will, sollte sich eigentlich auf seinen Geisteszustand untersuchen lassen. Nicht nur, dass damit die längst als Binsenweisheit geltende Erkenntnis ignoriert wird, dass die Verbesserung der Abstellmöglichkeiten immer auch mehr automobilen Verkehr anzieht.

Man will auch noch in einem der letzten Zipfel von Deutschlands letztem Zipfel ein weiteres großzügiges Angebot für den motorisierten Individualverkehr schaffen, das zu noch mehr Stau, Dreck und Lärm führen wird. Was nach Wahnsinn aussieht, hat aber natürlich Methode. Denn dieses Beispiel zeigt ein weiteres Mal, dass sich die herrschende Politik fest im Griff der mächtigen Einzelhandelslobby befindet, die bekanntlich noch jeden Parkplatz weniger als ersten Schritt in Richtung Untergang des gewerbetreibenden Abendlandes geißelt. Und den tonangebenden Mehrheiten der Konstanzer Stadtpolitik fehlt ganz offensichtlich der Mut, diesen Interessen die Stirn zu bieten.

Wohnen und Verkehr – beide Felder der Kommunalpolitik verbindet, dass die bestehenden Probleme nur durch einen Paradigmenwechsel der Politik gelöst werden können.

Ziel muss eine autofreie Innenstadt sein

Beim Verkehr sind Konzepte gefragt, die mit der bisherigen Logik brechen und das Ziel einer autofreien Innenstadt verfolgen, verbunden mit einem Ausbau des öffentlichen Verkehrssektors.  Eine verantwortungsbewußte Verkehrspolitik kann nur in eine Richtung gehen, die darauf abzielt, den Individualverkehr zu vergrämen, nicht die Bewohner.

Auch in der städtischen Wohnungsbaupolitik ist eine radikale Kehrtwende erforderlich. Die Stadtpolitik muss sich von neoliberalen Konzepten verabschieden und das Heft des Handelns selbst in die Hand nehmen. Sie darf nicht mehr länger den Türöffner für die profitablen Geschäfte Immobilienwirtschaft spielen, sondern muss als Sachwalter der Daseinsfürsorge in diesem zentralen Bereich der Stadtentwicklung in Eigenregie agieren.

Bei der künftigen Gestaltung des Döbele hätte man für beide Politikfelder Zeichen des Aufbruchs setzen können. Die Entscheidungsträger haben sich leider für ein ängstliches Weiterwursteln ausgesprochen.

[modal id=“19250″ style=button color=default size=default][/modal]

Autor: Jürgen Geiger