Eidgenössisch kleinkariert
Der Kreuzlinger Gemeinderat hat beschlossen, das grenzüberschreitende Zeltfestival auf Klein Venedig nicht weiter finanziell zu unterstützen. Und das nach nur einem Jahr. Das war’s dann wohl mit der kulturellen Kooperation über die Grenze hinweg. Dem Gedanken der zumindest musikalischen Völkerverbindung dient die Entscheidung der Kreuzlinger EntscheidungsträgerInnen sicher nicht.
Für das wiederauferstandene Zeltfestival im vergangenen Juni hatte die Nachbarstadt noch 40 000 Franken locker gemacht. Damit, so der Tenor auch aus Kreuzlingen, rücke man kulturell wieder etwas enger zusammen. Nun aber hat der Kreuzlinger Gemeinderat Ende letzter Woche den überraschenden Rückzug angetreten und mehrheitlich entschieden, sich an der weiteren Finanzierung des Festivals nicht mehr zu beteiligen. Das ist schade und kurzsichtig zugleich. Von Anfang an war klar, dass das kulturelle Pflänzlein nach sechsjähriger Pause eine Weile brauchen wird, bis es wieder sprießt wie zu früheren Zeiten.
Hauptsächlich mit den Stimmen aus der konservativen Ecke (FDP/EVP und SVP) drehten die Kreuzlinger RätInnen den Geldhahn Richtung Konstanz zu. Eine Vorstellung der besonderen Art lieferte vor allem der FDP-Abgeordnete Christian Brändli. Der hauptberufliche Schreinermeister monierte, mit dem Kreuzlinger Zuschuss unterstütze man lediglich die private Konzertagentur KoKo-Entertainment. Das Geld, so Brändli weiter, solle besser den Kreuzlinger Vereinen zur Verfügung gestellt werden. Billige Heimattümelei zu Wahlkampfzeiten, denn noch in diesem Monat wird in der Schweiz gewählt und da macht es sich immer gut, wenn man vor dem Urnengang kräftig den eidgenössischen Acker düngt.
Der wackere Brändli aus Mostindien outete sich darüber hinaus als echter Kulturexperte. Wenn man einen privaten Konzertveranstalter subventioniere, erklärte der FDP-Mann erbost, könne man ebenso gut dem (grenzübergreifenden Besäufnis) Oktoberfest finanziell unter die Arme greifen. Ein absurder Vergleich und somit rufen wir lauthals nach drüben: Schreinermeister, bleib bei Deinen Sägespänen, denn ein Holzbock kommt selten allein.
Nun ist die Stadt Konstanz gefordert und muss sich entscheiden, ob sie auch ohne einen wankelmütigen Partner weiterhin am Zeltfestival auf Klein Venedig fest hält. Die ersten Reaktionen aus der Verwaltungsspitze stimmen optimistisch. Mag sein, dass der städtische Zuschuss erhöht werden muss. Aber das kann sich das reiche Konstanz leisten, denn nicht nur die Gewerbesteuereinnahmen sprudeln über alle Maßen und könnten dazu beitragen, das Wachstum eines kulturellen Alleinstellungsmerkmals nach Kräften zu fördern.
H. Reile
Das mit der Unterstützung von „Privaten“ ist so eine Sache, die da dem Schreiner Brändli „de Nuggi“, wie man in CH volkstümlich dem Schnuller sagt, heraus gehauen hat – gegen die Meinung der parteifreien Stadträtin Frau Raggenbass. Das ist insofern bemerkenswert, als in einer Woche Wahlen für die Räte von Bern stattfinden, und Brändli’s Partei, die unternehmerfreundliche FDP, für mehr Unternehmer in Bern wirbt. Deren Besitzer lassen sich nun wirklich nicht für Gotteslohn in die Hauptstadt wählen. Da geht es eben auch um handfesten Einfluss, der letztlich Subventionen aller Art für ihre Branche generieren soll. Ist ein normaler Vorgang. Viele Abgeordnete von Parteien haben da bekanntlich eine Lobby-Aufgabe zu übernehmen. Politischer Standard eben – nicht nur in der Schweiz.
Allgemein wäre zu bemerken, dass Kreuzlingen zwar „voll mit Geld ist“ (Steuern werden gesenkt), und trotzdem die Stadt zuschauen muss, wie sich eben Konstanz immer weiter zu einem veritablen Zentrum entwickelt, das besonders Kreuzlinger Gewerbetreibende „tief beeindruckt“ und sie selbst, wie auch die Stadtoberen, nervös macht. Die reiche Stadt Kreuzlingen hat sich das allerdings auf bestimmten Ebenen selbst zu zu schreiben, schaffte kein eigenes Geschichtsbild (das übrigens im Prinzip auf dem Konstanzer Domhügel vor rund 1000 Jahren klösterlich begann!). Kreuzlingen brachte in den vergangenen 30-40-50 Jahren nichts Bemerkenswerte auf die Beine, was eine grössere Profilierung im Bodenseeraum hätte bewirken können. Das Positivste ist aus dem Sektor Bildung zu erwähnen (PH, zwei Gymnasien, Sportschule, Internationale Schule, Steinerschule, usw.), alles jedoch vom Kanton inspiriert, oder dann privat, zum Teil auch mit der Uni Konstanz verbandelt. Durch über 5o Prozent Ausländeranteil unter den rund 22’000 Einwohnern, darunter etwa 5000 Deutsche, hat sich auch gesellschaftlich etwas bewegt, was noch nicht stadtrelevante geworden ist. Und die beiden grössten Firmen der Stadt, die ehemalige Motorwagenfabrik „Mowag“, heute eine amerikanische Rüstungsfirma, oder die ehemalige Firma Neher, die frühere „Aluminium“, heute ebenso in ausländischer Hand, haben durch diese Struktur keinen sonderlichen Bezug zur „Stadt an sich“. Sie bestehen „nur“ aus Arbeitsplätzen. Dies beklagen nicht zuletzt auch Vereine! Wobei wir wieder bei Herrn Brändli wären mit seinem Hinweis, eine Zeltfestivalbeteiligung sei schädlich für Vereine. Im Kern geht es eben auch um „Kultur“. Das macht sich deswegen hier bemerkbar, weil im Gemeinderat die rechtsgerichtete Schweizerische Volkspartei (SVP) unisono für Herrn Brändlis Ansichten stimmte. Und dort, in der SVP, geht es eben stringent um „Volkstümliches“. Im umfassenden Sinn – politisch und kulturell!
@Stefanie Müller: Selbstverständlich entscheidet jede Kommune selbst, ob und wem sie Zuschüsse gibt. Das heisst aber doch nicht, dass die Entscheidung – positiv oder negativ – nicht kommentiert werden darf.
Zu Ihrer Mehrwertsteuer-Bemerkung: Nein, Deutschland will bisher nicht lieber heute als morgen die MWST der Schweizer Konsumenten kassieren. Es war bisher Deutschland, das es abgelehnt hat, die MWSt-Rückerstattung für Schweizer Konsumenten abzuschaffen. Abschaffen wollten und wollen sie am liebsten die Schweizer Einzelhändler/Detaillisten, denen die Kunden über die Grenze davonlaufen, wo sie zu den niedrigeren Preisen auch gleich noch den staatlichen Steuer-Rabatt bekommen. Die deutsche Regierung in Berlin hat bisher eine Änderung der geltenden Regel abgelehnt – vermutlich auf Wunsch der deutschen Einzelhändler. Obwohl es Geld in die Kasse brächte.
zeltfestival da, eissporthalle dort und dann noch eine elbphilharmonie oder der neue flughafen von Berlin, da felht ja nur noch die kreuzlinger schwimmhalle oder das konstanzer centrotherm-gebäude.
diese diskussion ist doch für die katz, den jede kommune kann doch selber entscheiden, wie ihr Geld ausgegeben werden soll. und der wähler hat es ja jeweils bei den wahlen selbst in der hand wenn er wählt.
doch die nachbarn um geld zu fragen ist halt nicht immer von erfolg geprägt.
deutschland würde lieber früher wie später beginnen die mwst. der ch-nachbarn einzukassieren, da wäre jede menge geld da um die anstehenden probleme in unserem land zu lösen, sei es die flüchtlingswelle, die wohnungsnot, die infrastruktur der schulen usw.
Hätte Konstanz auf das Eisbahn-Defizit so schnell den Ausstieg aus dem gemeinsamen Unternehmen beschlossen, wie Kreuzlingen das beim Zeltfestival getan hat, dann wäre die Stadt schon 1982 – vier Jahre nach Eröffnung – aus der gemeinsamen Trägerschaft ausgestiegen. Ab dann fielen nämlich Defizite an. Die Kreuzlinger Schulgemeinde (Schulträger) verabschiedete sich 1999 – als die Konstanzer noch bereit waren, zusammen mit Kreuzlingen fast 9 Mio. Franken für eine Sanierung zu stemmen. Letztere geriet dann Millionen teurer (jedem seinen eigenen BER oder seine Elbphilharmonie!). Konstanz zahlte mehrere Millionen mit und stieg erst danach aus. Um mit diesen Investitionen in ein Gemeinschaftsunternehmen gleich zu ziehen, müsste Kreuzlingen noch ein paar Jahre Zeltfestival finanzieren. Bei der Kreuzlinger Zeltfestival-Entscheidung dagegen, sollte man nicht vergessen, dass das Gemeindeparlament am selben Abend eine Steuersenkung beschloss, die die Stadt rund 1,5 Mio. Fr. jährlich kostet. Es ist also genügend Geld da – da wären 40.000 bis 50.000 Franken fürs Zeltfestival kein Beinbruch gewesen – die KreuzlingerInnen profitieren ja auch von Konstanzer „Zentrumsleistungen“ ohne dafür einen Auswärtigentarif bezahlen zu müssen.
Guten Tag Herr Reile
ich gebe zu, dass auch ich enttäuscht darüber bin, dass das Zeltfestival von Kreuzlinger Seite aus in Zukunft nicht mehr finanziell unterstützt wird.
Doch so ist die liebe Demokratie: mal schmerzhaft, mal schön….
Und wäre auch ich „Eidgenössisch kleinkariert“ so würde ich den guten, alten Zeiten nachtrauern und mich daran erinnern, dass Konstanz und Kreuzlingen früher mal gemeinsam eine Eissporthalle betrieben haben. Dies wäre noch immer so, wenn die Stadt Konstanz nicht ausgestiegen wäre. Das ist schade, denn auch der Breitensport ist eigentlich unverzichtbar.
kulturell sportliche Grüsse aus Kreuzlingen,
Pascal Seger