Ein Oberbürgermeister und sein Problem mit der Öffentlichkeit

Kaum war am vergangenen Donnerstag deutlich nach 22 Uhr die Gemeinderatssitzung beendet, sah sich die Konstanzer Stadtverwaltung am Freitagnachmittag bereits zu einer ungewöhnlich ausführlichen Pressemitteilung genötigt: Es geht um das Recht der Öffentlichkeit, alles über den Prüfbericht zur Philharmonie zu erfahren; es geht aber auch um einen vorwitzigen Stadtrat, der sich dem Veröffentlichungsverbot nicht beugen will. Vor allem aber geht es um einen OB und sein Problem mit der Öffentlichkeit

Und nicht zum ersten Mal geht es auch um den Schneid von anderen 39 GemeinderätInnen, sich endlich einmal der Geheimniskrämerei zu widersetzen. Kein Stadt-Parlament in Baden-Württemberg tagt derart häufig „nicht-öffentlich“ wie der Konstanzer Gemeinderat, so eine Auskunft des Gemeindetages schon vor Jahren – OB Burchardt sollte schleunigst einen Schlussstrich unter dieses undemokratische Verfahren seines Vorgängers setzen. Und der Gemeinderat sollte endlich sein Recht nutzen, dieser unheilvollen Praxis häufiger einen Riegel vorzuschieben.

Die Gemeindeordnung Baden-Württemberg (s. Auszug im Info-Kasten) formuliert nicht nur in diesem Punkt reichlich schwammig. Umso dringlicher ist ein waches Stadt-Parlament gefordert, seine Möglichkeiten zur Veröffentlichung solcher Vorgänge offensiv und mutig zu nutzen.

§ 35, Öffentlichkeit der Sitzungen(1) Die Sitzungen des Gemeinderats sind öffentlich. Nichtöffentlich darf nur verhandelt werden, wenn es das öffentliche Wohl oder berechtigte Interessen Einzelner erfordern; über Gegenstände, bei denen diese Voraussetzungen vorliegen, muss nichtöffentlich verhandelt werden. Über Anträge aus der Mitte des Gemeinderats, einen Verhandlungsgegenstand entgegen der Tagesordnung in öffentlicher oder nichtöffentlicher Sitzung zu behandeln, wird in nichtöffentlicher Sitzung beraten und entschieden. In nichtöffentlicher Sitzung nach Satz 2 gefasste Beschlüsse sind nach Wiederherstellung der Öffentlichkeit oder, wenn dies ungeeignet ist, in der nächsten öffentlichen Sitzung bekannt zu geben, sofern nicht das öffentliche Wohl oder berechtigte Interessen Einzelner entgegenstehen.(2) Die Gemeinderäte sind zur Verschwiegenheit über alle in nichtöffentlicher Sitzung behandelten Angelegenheiten so lange verpflichtet, bis sie der Bürgermeister von der Schweigepflicht entbindet; dies gilt nicht für Beschlüsse, soweit sie nach Absatz 1 Satz 4 bekannt gegeben worden sind.

So bleibt es dem LLK-Stadtrat Holger Reile vorbehalten, mit Androhungen bürgerlichen Ungehorsams ein Zeichen zu setzen: Er kündigte eine öffentliche Vorlesung des Prüfberichts auf dem Konstanzer Obermarkt an (da wurden dunnemals öffentliche Schandgerichte abgehalten) und provozierte den konservativen OB Uli Burchardt seinerseits zur Androhung eines Bußgeldes für solch‘ unbotmäßiges Verhalten. Noch ist glücklicherweise nicht vom Wasserwerfer-Einsatz die Rede.

Überdeutlich jedoch wird, dass man sich auch im Rathaus bei dieser Politik nicht sicher fühlt. Die hastige Presseerklärung nämlich wirft neue Fragen auf : Warum liegen die städtischen Berichte des Rechnungsprüfungsamtes, des Hauptamts und Justiziariats noch nicht vor, wenn doch der Prüfbericht der Landes-Gemeindeprüfungsanstalt schon seit Mai einsehbar ist? Warum brauchen die städtischen Instanzen (so viel dichter dran) so viel länger als die Stuttgarter Kontrollinstanz (so viel weiter weg)? Auf welche Rechtsgrundlage will man sich im Rathaus letztlich beziehen – auf das Landesdatenschutzgesetz oder auf die Gemeindeordnung? Und wen will man schützen – den Philharmonie-Musiker, der marginal vom undurchsichtigen System profitierte, oder das Fördervereins-Mitglied, das über die Verwendung von Spenden-Geldern zügig Auskunft geben sollte?

Sicher sind wir nicht, ob die Veröffentlichung der städtischen Pressemitteilung vom vergangenen Freitag nun Klarheit schafft. Aber im Interesse von Transparenz und Fairness sind wir unseren Lesern die Dokumentation dennoch schuldig:

Philharmonie: Unterrichtung über Sachstand
Großer Konsens im Gemeinderat über Vorgehen der Verwaltung

Die Verwaltung hat den Gemeinderat in der Sitzung vom 20.06.13 über den Sachstand zur Sonderprüfung der Gemeindeprüfungsanstalt bei der Südwestdeutschen Philharmonie unterrichtet. OB Burchardt hat zugesagt, alle Ergebnisse, die veröffentlichbar sind, in der Gemeinderatssitzung im Juli lückenlos und im Originaltext zu veröffentlichen. Über diese Vorgehensweise herrschte im Gemeinderat großer Konsens. Ergebnisse, die aufgrund des Datenschutzes nicht veröffentlichbar sind, sollen öffentlich zumindest vom Thema her benannt werden.

Wann muss nichtöffentlich beraten werden?

In der Sitzung informierte die Verwaltung den Gemeinderat, warum eine Veröffentlichung des Berichts in der vorliegenden Form nicht möglich ist. Grundsätzlich stehen die Sitzungen des Gemeinderates unter dem Gebot der Öffentlichkeit. Nichtöffentlich darf nach der Gemeindeordnung nur verhandelt werden, wenn es das öffentliche Wohl oder das berechtigte Interesse einzelner erfordern. Über Gegenstände, bei denen diese Voraussetzungen vorliegen, muss nichtöffentlich verhandelt werden.

Personenbezogene Daten dürfen nicht veröffentlicht werden

Der Prüfungsbericht der Gemeindeprüfungsanstalt enthält eine Vielzahl personenbezogener Daten oder auf Personen beziehbare Informationen, die nach dem Landesdatenschutzgesetz nicht veröffentlicht werden dürfen. Solche Daten und Informationen betreffen nicht nur den früheren Geschäftsführer der Philharmonie, sondern auch Verwaltungsmitarbeiter und Mitarbeiter des Orchesters. Viele von ihnen haben mit der Frage über die Ursache des Defizits bei der Philharmonie nichts zu tun.

Bericht hat vorläufigen Charakter

Hinzu kommt, dass der GPA-Bericht neben einer Vielzahl von Prüfungsbemerkungen 46 Einzelfeststellungen enthält, zu denen die Verwaltung, Mitglieder des Orchesters und der frühere Intendant Stellung zu nehmen haben. Die GPA behält sich hier eine abschließende Bewertung vor. Es kann also durchaus sein, dass einzelne Prüfungsbemerkungen korrigiert werden müssen oder sich als gegenstandslos erweisen. Bevor die Stellungnahmen nicht vorliegen und bearbeitet sind, hat der Bericht lediglich vorläufigen Charakter. Auch aus diesem Grund kann die Verwaltung die Gemeinderäte zum jetzigen Zeitpunkt nur nichtöffentlich über den Bericht unterrichten.

Transparenz und Öffentlichkeit

Die Verwaltung hat von Beginn an betont, dass sie die Vorgänge um das Defizit der Philharmonie sorgfältig und umfassend prüfen wird und bei dem Verfahren die weitestgehende Transparenz und größtmögliche Öffentlichkeit herstellen möchte. Die Transparenz in dem Verfahren wurde bzw. wird durch den Bericht der Gemeindeprüfungsanstalt, den Bericht des Rechnungsprüfungsamts, die Organisationsuntersuchung des Hauptamts und die Prüfung des städtischen Justiziariats hergestellt. Die Informationen aus diesen Prüfungen erhält der Gemeinderat als Kontrollorgan. Die Information der Öffentlichkeit erfolgt innerhalb des gesetzlichen Rahmens, den die Verwaltung einhalten muss.

Wie geht es weiter?

Das weitere Verfahren sieht vor, dass der noch ausstehende Bericht des städtischen Rechnungsprüfungsamtes, die Organisationsuntersuchung des Hauptamtes und die Feststellungen der Verwaltungsmitarbeiter zum GPA-Bericht gemeinsam mit dem bereits vorliegenden GPA-Bericht am 18.07.13 im Orchesterausschuss und im Gemeinderat behandelt werden. Auch bei diesen Berichten ist im Einzelfall zu prüfen, welche Themen in öffentlicher Sitzung beraten werden können und welche nichtöffentlich behandelt werden müssen.

Zur Chronologie

Der Gemeinderat hat am 22.11.12 die Gemeindeprüfungsanstalt Baden-Württemberg (GPA) beauftragt, bei der Südwestdeutschen Philharmonie eine Sonderprüfung vorzunehmen, die sich unter anderem mit den Gründen für die Entstehung und das Anwachsen des Defizits beschäftigt. Den angeforderten Bericht hat die GPA im Mai 2013 vorgelegt. Nach Eingang des Berichts hat Oberbürgermeister Uli Burchardt die Gemeinderäte davon unterrichtet, dass er im Rathaus eingesehen werden kann. Zusätzlich wurde er den Gemeinderäten für die nichtöffentliche Beratung in der Gemeinderatssitzung am 20.06.13 übersandt.

Autor: PM/hpk

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