Eine Kandidatin und zwei spendable Wolkenschieber

Konstanzer Wirtschaftsverbände hatten zur Debatte geladen und dachten wohl, das Konzil würde ähnlich aus den Nähten platzen wie beim letzten Mal. Doch nur rund 100 Interessierte waren gekommen, um zu hören, was die OB-KandidatInnen zu wirtschaftlichen Fragen zu sagen haben. Wer nicht da war, hat nicht viel verpasst. Alles hatte man schon mal gehört und Neues kam nicht dazu.

Zu martialischen Rockklängen marschierten die verbliebenen BewerberInnen ein. Das wirkte schon ziemlich affig im fast leeren Oberen Konzilsaal. Und auch die Reihen der KandidatInnen haben sich gelichtet, denn nur noch Sabine Seeliger, Uli Burchardt und Sabine Reiser buhlen ernsthaft um die Gunst der Wählerinnen und Wähler.

Um es kurz zu machen: Bei fast allen angesprochenen Punkten (Tourismus, Gewerbe, Handel, Verkehr) hatte die grüne Kandidatin Sabine Seeliger die durchdachteren und nachhaltigeren Konzepte. Sie sprach sich für Jugendcampingplätze aus, möchte den Radtourismus fördern, plädierte für eine benutzerfreundlichere Ausschilderung des Bodensee-Radweges und forderte eine insgesamt verbesserte Infrastruktur für Pedalisten. Sabine Reiser hingegen hatte dazu wenig beizutragen. Im Sommer, so die CDU-Frau, kämen die Gäste „von alleine“ und im Winter – Thema Saisonverlängerung – verwies sie auf den Weihnachtsmarkt mit seiner „schönen Beleuchtung“, außerdem gebe es in Konstanz ja tolle Museen. Danke.

Neuer Schub für den Radverkehr
Die neue Förderrichtlinie des Landes für die Radverkehrsinfrastruktur bringt neuen Schwung für den umwelt- und klimafreundlichen nichtmotorisierten Verkehr in unseren Städten und Gemeinden“, so der BUND Ba-Wü in einer aktuellen Mitteilung. Erstmals könnten nun verkehrswichtige Radwege mit Landesmitteln gefördert werden, die unabhängig von Straßen geführt werden. Der BUND verweist auf das Beispiel der Stadt Freiburg, die auf der Grundlage der neuen Fördermöglichkeiten die Anlage von speziellen, das ganze Stadtgebiet durchmessenden Radschnellwegen plane. Städte und Gemeinden werden aufgefordert, die neue Förderung rege in Anspruch zu nehmen und fortschrittliche Radverkehrskonzepte umzusetzen. „Nun können die Landkreise und Gemeinden ihren Beitrag zur Reduzierung der gesundheitsschädlichen Feinstaub- und Stickstoffdioxid-Emissionen leisten“.

Uli Burchardt, der zweite CDU-Kandidat, möchte „für alles, was hier läuft, eine bessere Vermarktung“, der „Qualitätstourismus“ (welcher?) müsse belebt werden, Konstanz sollte Kongresse an den See locken, ein Museum für moderne Kunst hätte er auch gerne, dazu ein Konzerthaus. Da pflichtete ihm Reiser bei und bot noch ihre tiefgründige Erkenntnis an: „Der Bodensee ist schon eine tolle Marke“. Beide, Burchardt wie Reiser, wähnen die Stadt auch finanziell wieder im Aufwind. Sparen, so Burchardt, solle man „nur bei Not“. Unter dieser leide Konstanz nicht, meinte der Unternehmensberater. Kurz vor der Veranstaltung habe er gehört, dass der Kämmerer wieder rund sieben Millionen Euro auf der hohen Kante habe. Die könne man doch frohgemut aus dem Fenster schaufeln.

Seeliger konterte ruhig: „Das sind noch die Gewerbesteuern aus besseren Nycomed-Zeiten, die in Zukunft fehlen werden“. Sie weiß eben, dass durch den Weggang des größten Steuerzahlers ein riesiges Finanzloch entsteht und dahergeplauderte Versprechungen für teure Wunschprojekte einfach unseriös sind. Burchardt und Reiser, das zeigt sich seit Wochen bei allen Diskussionen, haben nur wenig Ahnung sowohl von den aktuellen als auch den kommenden Problemen, mit der die Stadt zukünftig zu kämpfen haben wird. Und für deren Bewältigung es einen klaren Kopf braucht und keine Wolkenschieber.

Burchardt möchte auch liebend gerne internationale Kongresse an den See holen. Ein Photovoltaik-Kongress, erklärte er fast schon triumphierend ob des vermeintlich innovativen Vorschlags, das wäre doch was. Stimmt, erwiderte ihm Seeliger freundlich – aber offensichtlich sei ihm entgangen, dass dieser Kongress gerade vor wenigen Monaten erfolgreich hier im Konzil stattgefunden habe. Verlegenes Räuspern im Saal. Wenn es eng wird, beschwört Burchardt ständig „verbessertes Marketing“. Mehr kommt nicht, und das ist eindeutig zu wenig. Und Reiser betet bei allen Veranstaltungen das herunter, was auf ihrer Homepage steht. Mehr kommt auch bei ihr nicht, eher noch weniger. Da hilft auch der softe Ökotouch nicht, der Reiser von ihrer PR-Frau Waltraud Kaesser ins Programm genagelt wurde. Dann doch lieber das bodenständige Original mit dem Blick fürs Machbare?

Wie immer in den vergangenen Wochen kam auch die Verkehrssituation zur Sprache. Burchardt ist wenigstens ehrlich: „Ich bin kein Verkehrsexperte“. Er schwadronierte über ein „Gesamtkonzept“ – das es schon lange gibt. Man kann ja nicht alles wissen. Reiser möchte eine Tiefgarage unter dem Döbele, um – und dann kommt es knüppeldick – „mehr innerstädtischen Parkraum“ zu schaffen. Dazu der erhellende Nachsatz: „Der Verkehr aus der Schweiz möge noch lange kommen“. Will heißen: Frau Reiser würde als Oberbürgermeisterin noch mehr Blech in die Stadt locken. Seeliger blieb weitgehend bei ihren mittlerweile sattsam bekannten Vorschlägen. Park & Ride, gut getaktete Gratis-Shuttlebusse Richtung Zentrum, dazu ihre abgespeckte City-Maut, zuerst auf Probe. Dann sollten die BürgerInnen entscheiden. Immerhin.

Sie finden, meine Einschätzung der KandidatInnen sei einseitig? Ich stimme zu, denn nach vielen Besuchen diverser Podien hat sich für mich herausgestellt, dass man Burchardt oder Reiser die Stadt nicht überlassen kann. Das wäre grob fahrlässig. Beide hängen am Tropf der hiesigen Wirtschaftslobby und würden von deren Zampanos täglich am Nasenring durch die Manege geführt. Vor allem der bürgerliche Block im Gemeinderat weiß allzu gut, dass Burchardt und auch Reiser schwache Führungspersonen wären, von denen man nichts zu befürchten hätte.

Und sie machen Stimmung gegen die grüne Kandidatin. Wer Seeliger wähle, ist des öfteren und immer lauter zu hören, liefere sich einer ökologischen Fundamentalistin aus, die Konstanz um Jahrzehnte zurückwerfen würde. Dazu üben sich einige Kreise in Sippenhaftung. „Wieviel Schäfer“, fragte sogar eine ansonsten seriöse Tageszeitung, „steckt in Seeliger?“ Günther Schäfer, Seeligers Ehemann und ehemaliger grüner Landtagsabgeordneter, hat sich durch seine eloquente Art einige Feinde geschaffen. Aber ohne ihn wäre wohl der Bürgerentscheid gegen das KKH nicht erfolgreich gewesen. Für Konservative das ideale Feindbild. Sie haben die KKH-Klatsche nicht vergessen und nähren täglich das übelriechende Gerücht, Seeliger würde im Erfolgsfall von Schäfer fremdgesteuert. Eine perfide und höchst frauenfeindliche Attacke aus den muffigsten Kellern der Konstanzer Altstadtgassen. Sabine Seeliger hat bereits während ihrer langjährigen Zeit als Gemeinderätin gezeigt, dass sie eine eigenständige Frau ist und ihre Politikvorstellungen auch sehr konsequent lebt. Und damit zurück zur Überschrift.

Autor: H.Reile