Geschwätz von gestern?

Schon 2011 war die Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte fester Bestandteil des Koalitionsvertrags zwischen den Grünen und der SPD. Doch die Umsetzung dämmerte vor sich hin. Nun, Kretschmann bastelt gerade an einer Koalition mit der CDU, ist das Thema wohl ganz vom Tisch. Unser Gastautor Dennis Riehle kann das nicht glauben und hat einen geharnischten Brief an den baden-württembergischen CDU-Chef Thomas Strobl geschrieben.

„Sehr geehrter Herr Strobl,
mit großem Entsetzen lese ich von Ihren Position, die bereits angedachte Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte in der Legislaturperiode einer möglichen grün-schwarzen Regierung nicht weiter zu verfolgen.

Sie sprechen von einem Misstrauen, was mit einer Identifizierung der Beamten den Polizisten gegenüber entgegengebracht würde. Ich war über Jahre in einer Menschenrechtsorganisation tätig und habe hunderte Fälle von Polizeigewalt dokumentiert. Fast nie kam es zu einer strafrechtlichen Verfolgung, weil die Polizisten nicht ermittelt werden konnten. Was glauben Sie, wie es auf Opfer von solchen Taten wirkt, wenn Sie nun nicht einmal einer abgeschwächten, nämlich anonymisierten, Pflicht zur Kennzeichnung zustimmen?

Ihr Weltbild zielt offenbar darauf ab, dass Polizisten stets rechtmäßig handeln. Das ist aber falsch. Denn glücklicherweise berichten Medien wiederkehrend darüber, dass Beamte über ihre Grenzen gehen und Gewalt anwenden, wo sie nicht nötig wäre. Der grüne Verhandlungspartner verwies auf die Ereignisse im Schlossgarten. Spätestens dort wurden die Auswüchse der Polizeigewalt deutlich. Ich erinnere mich, dass Ihre Partei damals an der Regierung war. Und jetzt? Haben Sie noch immer nichts gelernt? Verwehren Sie künftigen Betroffenen neuerlich das Recht, im Zweifel auch einen Polizisten als Täter identifizieren zu können?

Man fragt sich vielleicht, warum sich ausgerechnet unsere Polizisten kennzeichnen lassen sollen. Antwort: Weil sie in besonderer Stellung stehen, denn sie sind die Verteidiger des Rechts und müssen sich daher an erster Stelle an diesem messen lassen. Es ist nicht egal, ob ein Beamter einmal mehr als nötig sein Pfefferspray zieht, die „Acht“ anlegt oder jemanden auf den Boden presst. Staatsbedienstete sind zur Transparenz verpflichtet, um nicht dem Verdacht unterstellt zu sein, Willkür praktizieren zu können und zu wollen. Auch für die Polizisten selbst wäre es ein Vorteil, zugeordnet zu werden, könnten sie sich bei Vorwürfen besser rechtfertigen. Und mit einem nicht personalisierten Kennzeichen wäre man auch Ihnen erheblich entgegengekommen. Aber auch das lehnen Sie ab.

Ja, die Angriffe auf Polizeibeamte sind gestiegen. Das ist keinesfalls hinnehmbar. Aber die Reaktion aus Ihrer Partei war wieder einmal dieselbe: Rauf mit den Strafen! Doch haben Sie jemals erwähnt, wie oft unsere Gesetzeshüter selbst straffällig werden? Dazu habe ich aus dem Munde der Union noch nie etwas gehört. Viel eher wollen Sie die Ahndung für Gewalt gegen Polizisten verstärken. Wie ist das mit der Verfassung vereinbar? Jeder ist vor dem Gesetz gleich, so dachte ich. Wieso also soll ein Schlag gegen einen Polizisten anders geahndet werden als einer, der von ihm ausgeht?

Ich wende mich in diesem Thema von der CDU ab. Sie handeln aus meiner Sicht allein gegenüber den Beamten vertrauensvoll, aber unverantwortlich gegenüber den Menschen, die Opfer von Polizeigewalt werden. Ich bin nicht nur enttäuscht, sondern entsetzt von Ihrer fehlenden Dialogbereitschaft und unzureichenden Weitsicht über das gesamte Problem. Sie wollen in den Gesprächen nun einzig Ihren Machtanspruch demonstrieren, dem Ruf des „Hardliners“ gerecht werden. Mittlerweile graut es mir vor den kommenden Jahren der Regierungszeit mit Ihnen…

Als Konsequenz rate ich entsprechenden Organisationen zum Protest gegen Ihre oben genannte Haltung – und den Betroffenen zur Einreichung von unmittelbaren Klagen, wenn es auch weiterhin nicht möglich sein sollte, Polizisten für ihr Fehlverhalten belangen zu können.“

Dennis Riehle