Schäbig?
Südkurier-Lokalchef Jörg-Peter Rau setzte zum Rundumschlag an. Er bezeichnete die Kritik an einer externen Haushaltsklausur, die den Steuerzahler rund 10 000 Euro kosten wird, singemäss als schäbigen Populismus und tumbe Stammtischrhetorik. Hier eine Entgegnung
Sehr geehrter Herr Rau,
In Ihrem Kommentar vom 20.8. bezeichnen Sie die 10 000 Euro, die für die in der Kartause Ittingen geplante Haushaltsklausur wohl fällig werden, als „gut angelegt“. Ich hingegen bleibe dabei: Dieser Ausflug in die benachbarte Schweiz ist so überflüssig wie der sprichwörtliche Kropf . Eine große Mehrheit der Bevölkerung sieht das zurecht ebenso. Studieren Sie doch mal die Leserzuschriften auf Ihren Kommentar, der übrigens verdächtig schnell von der Online-Startseite verschwand.
Es ist in der Tat völlig schleierhaft, warum es Sinn machen sollte, im benachbarten Thurgau darüber nachzudenken, wo man den Rotstift ansetzt. Wird der Kopf freier, wenn man dafür einen auswärtigen Standort wählt? Sind Entscheidungen, wo man kürzt und streicht, mittlerweile ortsgebunden? Oder glaubt man, die halbwegs spirituelle Lage der Kartause Ittingen verabreiche dem Gremium feinstoffliche und bewusstseinswerweiternde Energieschübe, die durch das Tal der Tränen führen? Sollte dem so sein, wäre zu überlegen, für besonders harte Diskussionen einen Schamanen aus der Mongolei einfliegen zu lassen.
Reichlich billig auch Ihre Anmerkung, es sei absurd, dass die RätInnen für ihre Arbeit „Mineralwasser und Busfahrt selbst zahlen sollen“ , ist – mit Verlaub – durchweg töricht. Hier geht es nicht um Peanuts, sondern um nicht unerhebliche Kosten in einem hochpreisigen Etablissement.
Wir werden bei den Beratungen jeden Euro dreimal umdrehen müssen und sorgfältig abwägen, was überhaupt noch finanziert werden kann. Und nochmal, gerne zum Mitschreiben: Mit einer kostenintensiven Haushaltsklausur setzt die Verwaltung ein falsches Zeichen.
Amüsiert hat mich dann doch, dass Sie in Ihrem Furor auch noch die politische Mottenkiste vom Dachboden holten und die Linke Liste Konstanz (LLK), in deren Namen ich die Kritik an der Klausur vorgetragen habe, als postmortale Ausgeburt der DDR verkaufen wollen. Ihren KollegInnen habe ich schon mal erklärt, dass die LLK eine offene Liste ist, in der neben Mitgliedern der Linken auch ehemalige Grüne und Sozialdemokraten, engagierte Gewerkschafter und parteilose Quer- und Freidenker, zu denen auch ich mich zähle, aktiv sind. Das, Kollege Rau, wollen Sie offensichtlich nicht zur Kenntnis nehmen und schunkeln lieber mit ewiggestrigen und reaktionären Betonköpfen, die sich von ihren simplen Feindbildern partout nicht trennen wollen. Ihr Politikchef Dieter Löffler gibt ja schon seit Jahren den geifernden Linkenfresser. Diese Niederungen sollten Sie ihm weiterhin großzügig überlassen.
Bedrückend schlicht leider auch Ihre Auffassung, mit unserer Klausurkritik würden wir das Bild von „denen da oben“ bedienen. Das sei „schäbig“ und bewege sich auf populistischem Stammtischniveau. Mit Verlaub, Herr Rau: Es gibt auch in Konstanz Stammtische, an denen nicht nur Dumpfsinn herrscht. Hätten Sie vor etwa sechs Monaten den ein- oder anderen Stammtisch beehrt und Ihre Lauscher aufgestellt, wäre Ihnen vielleicht noch vor dem Bürgerentscheid klar geworden, dass das von Ihnen erträumte KKH, für das Sie sich so weit aus dem Fenster lehnten, Konstanz in den finanziellen GAU getrieben hätte. Sie erklärten ja monatelang, die Stadt könne sich eine Ausgabe von mindestens 60 Millionen Euro locker leisten .Nach der deutlichen Abfuhr für die Befürworter waren Sie erstmal beleidigt und stempelten die Nein-Sager als Fortschrittsverweigerer ab. Das könnte man im Rückblick ja fast schon schäbig nennen.
Mit freundlichen Grüßen
Holger Reile
Dem SÜDKURIER habe ich folgenden Leserbrief übermittelt:
„Abneigung im falschen Moment
Dass in einen Kommentar auch Abneigungen des Autors gegenüber politischen Parteien aufgenommen werden können, mag an der richtigen Stelle durchaus legitim sein. Betrachtet man den Standpunkt zur „Sparklausur“ der Konstanzer Gemeinderäte inhaltlich, müsste man ihm nach schulischem Benotungssystem trotz anfänglicher Präzision schlussendlich ein „Mangelhaft“ ausstellen. Leider verfehlt er im letzten Abschnitt ganz und gar das Thema, wenn darin auf die Vergangenheit der „Linken“ verwiesen wird, um damit offenkundig einem generellen Unmut über die Forderungen deren Vertreter im Konstanzer Stadtrat Ausdruck zu verleihen. Nicht nur, dass mir ein „roter Faden“ fehlt, wenn von dem Ringen der Gemeinderäte am Bodensee um einen Haushalt schlussendlich auf das Verhältnis zwischen DDR-Regime und Bürgern umgeschwenkt wird; journalistisch tiefgründig ist das Abtun einer politischen Position – egal, aus welchem Lager – mit einer Begrifflichkeit wie „schäbig“ sicher nicht. Leider ist es dem SÜDKURIER scheinbar nicht möglich, eigene Abneigungen gegenüber linken Ansichten und Verhaltensweisen argumentativ darzulegen. Statt im Hier und Jetzt zu bleiben, muss man sich immer wieder der historischen Keule bedienen. Jeder kann sich über die Verantwortung der „Linken“ in der DDR Gedanken machen, auch darüber empören, dass wenig aufgearbeitet, eingesehen oder geändert wurde, doch das dann bitte auch im dafür geeigneten Moment. Die Sparklausur des Konstanzer Gemeinderates ist sicher nicht das passende Thema für derartige Abrechnungen und Vergleiche.“
Passend zur Absurdität und pathologischen Unverschämtheit dieser sogenannten Argumentation dieser sogenannten Zeitung zum Thema sind auch die bisherigen Ergebnisse einer seit geraumer Zeit laufenden Leserumfrage. Federführend auch hier Herr Rau als vermeintlicher Volksversteher. Soweit die vom braven Leser abgesonderten Vorschläge zum Kostensparen dümmlich oder zynisch genug sind, werden sie auch veröffentlicht. Die Aufzählung dieser Peinlichkeiten will ich mir an dieser Stelle ersparen.
Jedoch, glaubt man Rau als intimstem Kenner des sogenannten Stadtführungszirkels, wird es auch dem intelligenteren Teil des Gemeinderates nicht erspart bleiben, diese in Wort und Schrift serviert zu bekommen. Als Stimme des sogenannten Volkes. Sozusagen.
Es ist aberwitzig und obendrein verantwortungslos, für eine Haushaltsklausur, in der es ums Sparen geht, 10.000 Euro ausgeben zu wollen. Diese Schnapsidee der Verantwortlichen ist dem Bürger nicht vermittelbar. Dafür bedenkenlos in den von Schwindsucht geplagten Stadtsäckel zu greifen, ist ausserdem reichlich dreist, denn es ist offensichtlich, dass der Inhalt kaum für die wichtigsten Investitionen reichen wird.
Es ist gut, dass es in Konstanz noch einige Wenige gibt, die aufzeigen, wie sorglos sogar in Zeiten knapper Kassen mit Steuergeldern umgegangen wird. Was daran „schäbig“ oder „Stammtisch-Niveau“ sein soll, werden die wenigsten Leser nachvollziehen können. Wer wenig Geld hat, muss Nichtnotwendiges streichen – das erwarten die Konstanzer auch von ihren Stadtvätern.
Um ihre Glaubwürdigkeit zurück zu gewinnen, wären die Stadtoberen gut beraten, diese NICHT notwendige und teure Auswärtsklausur schnellstens abzusagen. Es gibt soziale Einrichtungen, die auf jeden Euro angewiesen sind.
Was den Südkurier-Redakteur betrifft, empfinde ich es als Verstoß gegen die journalistische Unabhängigkeit, wenn er ins Horn der Verwaltungsspitze bläst. Wo bleibt da die kritische Distanz? Hanns-Joachim Friedrichs lässt grüssen.