Scharia in Konstanz?

Im Iran ist das „Singen und Tanzen von Frauen vor männlichem Publikum“ verboten. Und der Kulturberater von Ahmadinedschad empfahl sogar, Kinder in Kindergärten nicht tanzen zu lassen: unsittlich. Bei uns ist das natürlich anders.

Da können Kinder und Frauen tanzen, wie sie wollen. Oder etwa nicht? Vorsicht, Vorsicht: In Deutschland haben die (christlichen) Feiertage – einzigartig in Europa – einen besonderen Artenschutz, sie müssen nämlich der „seelischen Erhebung“ dienen. Sie wissen nicht, wie das geht? Müssen Sie auch nicht, denn erstens steht das so im Grundgesetz (Art. 140), und zweitens ist natürlich alles gesetzlich genauestens geregelt.

Öffentlicher Tango ist jedenfalls, gesetzlich gesehen, keine „seelische Erhebung“. Schachturniere übrigens auch nicht, weshalb sie ebenfalls unter das sogenannte „Tanzverbot“ fallen. Unglücklicherweise sind die Regeln für diese Art von Erhebung aber Ländersache, was die Sache etwas kompliziert macht.

Als Service für alle gesetzestreuen Leserinnen und Leser bietet seemoz im Folgenden eine Übersicht, wie Sie Ihr Pfingsten am Bodensee bussgeldfrei verbringen können, auch wenn Sie tanzen oder Schach spielen wollen. Dazu brauchen Sie nur eine Landkarte oder Navi und eine genau gehende Uhr.

Das „Tanzverbot“ gilt nämlich in Konstanz am Pfingstsonntag von 03:00 Uhr bis 11:00 Uhr, also praktisch Samstagnacht. Da heißt es, rechtzeitig nach Kreuzlingen (fromm, aber ohne Tanzverbot) oder Lindau ausweichen. Lindau gehört zu Bayern, und Bayern hat – Überraschung! – über Pfingsten kein Tanzverbot. Eine Alternative wäre noch Bregenz: Österreich kennt das ganze Jahr über kein Tanzverbot.

In Bremen ist es an Pfingsten einfacher: Dort beginnt die seelische Erhebung erst am Pfingstmorgen um 07:00, dort wäre also der Samstag im Wesentlichen gerettet. Der gesetzestreue Hesse fängt mit der seelischen Erhebung eine Stunde später an als der Badener, also um 07:00 Uhr, verharrt aber dafür dann auch bis 12:00 Uhr in diesem Zustand.

Kompliziert? Warten Sie bis zum Feiertag „Allerseelen“: In Niedersachsen müssen Sie vor Tanzbeginn wissen, ob 40% des Ortes katholisch sind.

Mit der Scharia hat das alles nichts zu tun, und es werden auch keine Tanzbeine abgehackt. Weder der Koran noch die Bibel dürfen Richtschnur unserer Gesetzgebung sein. Sonst hätten wir die Todesstrafe für das Verfluchen oder Schlagen von Eltern (2. Mos. 21, 12 +15), Sonntagsarbeit (2. Mos. 31, 15), Ehebruch (3. Mos 20,10), Homosexualität (ebda. Vers 13), das Wahrsagen (ebda. Vers 27), vorehelichen Beischlaf (3. Mos. 22, 21) und vieles andere mehr.

Da ist mir das Grundgesetz mit seinem kuriosen Tanzverbot doch zehnmal lieber.

Autor: Maik Schluroff