Valle Wasabi – eine Erfolgsgeschichte

Wasabi, auch japanischer Meerretich oder Bergstockrose genannt, gehört zur Familie der Kreuzblütengewächse, deren Wurzel zunächst vor allem in der japanischen Küche als scharfes Gewürz diente. Fälschlicherweise wird Wasabi deshalb den Japanern zugeordnet, aber wer hat’s erfunden? Eben.

Als die Schweiz am 24. Oktober 1648 gegen 10:30 Uhr aus dem Heiligen Römischen Reich austrat, gewahrte ein Scherflein schwedischer Landsknechte, dass es nun Abschied zu nehmen hieß von den elysischen Gefilden des Tessins. Die Vorstellung, zurück ins eisige Schweden zu müssen, wo die Winter lang und die Wände der Häuser bloß aus Knäcke sind, grauste sie derart, dass sie beschlossen, dem Wehrdienst zu entfliehen. Von Ascona aus zogen sie sich in ein damals völlig unzugänglichen Seitental des  Onsernone zurück, wo man heute noch auf ulkige Namen wie Giacomo Lundgren oder Ingmar Giacometti treffen kann. Sie bauten dort, sie kannten es ja nicht anders, flugs einige Häuser aus Knäcke. Wie aber sollten sie sich ernähren?

Im kühlen Grunde des besagten Tales aber gedeihte auf das wohlfeilste eine Pflanze. Die Blätter taugten nicht zum Salat, die Stängel nicht zum Gemüse, folglich nahmen sie sich die Wurzel vor: Pürierten sie, häckselten sie, kochten sie, aber ganz gleich, in welchem Aggregatszustand – die Wurzel schmeckte stets so höllisch scharf, dass es eine Art hatte und den Menschen das Wasser in die Augen trieb.

Andererseits heizte sie von innen, und selbst im Tessin können die Nächte kalt werden. Die Schärfe, so erkannten die Schweden, war der unique selling point der Wurzel, und so machten sie sich zügig an deren Vermarktung. Wasabi brennt übrigens nicht wie Chilischoten auf der Zunge, sondern in Nase und Rachen, was mit den flüchtigen Senfölen der Wasabipaste zusammenhängt. Bisher, und das ist wohl ihr Geheimnis, ist es den Tessiner Schweden immer gelungen, die Senföle wieder einzufangen.

Wieso aber wuchs diese Pflanze ausgerechnet hier? Weil in der Stille des einsamen Tales eine Bienenart zu Hause war, die sonst nirgends auf der Welt zu finden ist und die sich nur auf diese Pflanze kapriziert. Zu Ehren ihres Königsgeschlechtes nannten sie die Biene Wasa-Biene, und von da war es bis zum Namen Wasabi nur ein winziger Schritt, denn auch der Schwed’ hat ein Faible für Abk.

Wie aber kam der Wasabi nach Japan? 1968 fügte es sich, dass der Tenno in den gleichnamigen Ort im Mendrisotto kam, um dort innovative Methoden des Tessiner Reisanbaus in der Schweiz zu studieren. Bei seiner Abreise überreichte man ihm als Gastgeschenk ein kleines Fäßlein mit einer grünen Paste, die den Mann so begeisterte, dass er bei seiner Rückkehr verfügte, das grüne Teufelszeugs möge fortan zu jeder Mahlzeit gereicht werden. Um den spontanen Riesenbedarf zu decken, blieb den schwedischen Tessinern nichts anderes übrig, als die Pflanze zu züchten.

Selbige bietet doch mannigfaltige Gebrauchsmöglichkeiten, etwa dem Hanf vergleichbar. Nachdem z. B. das Pfefferspray schon bei kurzzeitiger Lagerung rasch an Schlagkraft verliert, versucht die Schweizer Armee in einem offiziell stillgelegten Stollen bei Andermatt einen Kampfmeerettich zu züchten. Die Stängel der Pflanze eignen sich vorzüglich zur Weiterverarbeitung.

So soll die Bespannung der neuen Tennisschläger von Tennisstar Roger Federer aus Wasabifasern bestehen, auch die Bespannung der Stühle bei Aeschbacher: In der Schweiz zählt Wasabi längst zu den Hauptnahrungsmitteln, seit es dem Wissenschaftler Bengt Ole Ricotta-Söderström gelang, Wasabi mit Erdnüssen und Chips zu kreuzen, die allein wegen der Farbe grün – E 141 – ein Renner sind.

Was dem Mexikaner sein Jalapeño, dem Kubaner sein Habanero oder dem Briten sein Paprikaschotte ist, ist dem Schweizer sein Wasabi. Von der Eidgenössischen Meerrettich-Gesellschaft EMG wurde der Kreuzblütler sogar seiner verdauungsfördernden Wirkung wegen unter Artenschutz gestellt. Das kleine Seitental des Valle Onsernone indes zählt längst zum Unesco-Welt­natur­erbe und trägt seit einigen Jahren den Namen Valle Wasabi.

Autor: Thomas C. Breuer