B wie Bildverwahrung

Bevor wir seinen Aversionen nachgehen, vielleicht unter „K wie Kapitalismus“ oder unter „G wie Gelddenken“, sei noch kurz erzählt, wie ich auf das Bild des Wüstenfahrers gestoßen war. Nach den ersten Jahren der Wiederbelebung von Mühlenwegs Büchern im Verlag, rief eines Tages Marianne Ulrich aus Steckborn an. Wir kannten uns aus der informellen Literaturszene der Region, in ihrem Haus hatte ich an einem Abend auch einem aufstrebenden Literaten zugehört, freundlicher, seltsam übersprudelnder Mann, der von seinen Erzählungen nicht mehr loskam, über den Katholizismus seiner oberschwäbischen Heimat, dem er erst in einer päpstlichen Eliteschule entkommen war.

(Der junge Arnold Stadler, bereits im Nimbus der ersten Förderpreise, aber noch Jahre bevor ihm Martin Walser oder Elisabeth Borchers die Steigbügel fürs Büchner-Ross hielten.) Marianne Ulrich also rief an: ihre Mutter habe den Fritz Mühlenweg früher gut gekannt und sie habe noch Briefe von ihm.

Die Sternstunde dann, mit der weit über achtzigjährigen Lotte Bächtold in ihrem kleinen Haus am See. Dass die stille Frau damals schon an den Rändern der großen Vergesslichkeit driftete, war für einen Außenstehenden kaum zu merken. Sie erzählte diskret und offen zugleich vom 33-jährigen Fritz M., auch von seinem Kinderwunsch, den sie nicht erfüllen mochte. Erzählte mit der Nachdenklichkeit, wie sie einer Liebe gelten kann, die überm Verlust immer bedeutsamer geworden war. Die Schatten einer verpassten Gelegenheit, es war, was es war. Und sie gab mir ein schmales Dutzend Briefe mit, die sie über 60 Jahre lang aufbewahrt hatte.

Liebesbriefe. In ihnen war aufgeschrieben und mit ihr geteilt: die Zerrissenheit des Mannes, der nach der Wüstenerfahrung mit dem Leben im politisch tumultuösen Wien des Jahres 1932 nur schlecht zurechtkam und der sich nun festlegen wollte.

Obenauf in dem Kästchen lag ein ausgeschnittener „Südkurier“-Artikel aus dem September 1961, er umriss die Erschütterung, die damals rings um den See gegangen war. Denn am 13. September war Fritz Mühlenweg mit 62 Jahren in Allensbach gestorben und zwei Tage später erlag seine Frau Elisabeth, erst 51 Jahre alt, ihrem schweren Nierenleiden im Konstanzer Krankenhaus. Neben dem Zeitungsbericht: das kleinformatige Foto des Wüstenmanns mit den Zottelhaaren. Er hatte es ihr noch aus Asien nach Steckborn geschickt.

Mühlenweg hatte im Dezember 1930 die junge Schweizerin in jenem Zug kennengelernt, der ihn vom See nach Berlin brachte, von wo aus er zur letzten Mongolei-Expedition startete. Sie hatten eine Nacht lang geplaudert, er hatte wohl den soldatischen Draufgänger markiert und war mit einer Pazifistin im Abteil in ein heftiges Gespräch geraten. Monate später schrieb er Lotte Bächtold aus der Einsamkeit der Gobi einen ersten werbenden Brief und versuchte, seinen verrutschten Auftritt zurechtzurücken: es sei ihm nur um „ein Lob des harten Lebens“ gegangen.

In der Liebesbeziehung, die er im Sommer 1932 mit der jungen Frau begann, versuchte er eine Wiederverankerung in Europa. Sein Leben hätte von hier aus in der Schweiz weitergehen können; ihre Treffen in Steckborn und in Zürich, wo sie sich am Kindergärtnerinnen-Seminar ausbilden ließ, eine mehrtägige Radtour im Donautal… Er schrieb ihr aus Assisi, Florenz und Wien. Aber sie beharrte auf ihrem eigenen Weg, der Gedanke an eine Familiengründung kam für sie zu früh. Und der Ernsthaftigkeit seines Wegs als Künstler mochte sie nicht trauen, weil er immer noch von Träumen nach der großen Freiheit in den Wüsten Asiens heimgesucht wurde.

Vorabdruck aus dem im Herbst erscheinenden Buch: Ekkehard Faude: Fritz Mühlenweg – Museum eines Lebens. Copyright Libelle Verlag.